Gegen(-)Kultur im Jammertal

■ Ernsthafter Versuch, einer der (hoffentlich) aussterbenden, von Gott und Gemeinde ver- lassenen Podiumsdiskussionen über Kultur/politik informativen Un-Sinn abzugewinnen

Immerhin 18 Leute waren der Anziehungskraft eines Podiums über Kultur und Kulturpolitik(er) mit deren ranghöchste Verkörperung, BiWiKU-Senator Horst-Werner Franke, erlegen. Allein, der Senator hatte abgesagt und einen Stellvertreter, Sunke Herlyn, geschickt. So redeten denn von acht bis irgendwann nach neun alle, bis Hans-Gerd Hofschen, der alle Podien zwischen Bildung und Arbeiterbewegung moderiert, in gewohntem Charme zusammenfaßte: Zwar habe die Veranstaltung ein unkonkretes Thema gehabt, „aber Eure Beiträge waren auch nicht konkreter.“ Kulturvoll oder nicht, es half. Peter Alheit, hochschullehrender Liebhaber von Gramscis kultureller Hegemonie, konnte urplötzlich anders als vorher ohne Habermas, Hickel, Jacques Lang, ZEIT-Greiner, Knödler -Bunte, Walter Fabian und W.F. Haug allein durch den Mund seiner Tochter den leidigen Verlust der kulturellen Hegemonie formulieren. Die Tochter war nach Frankfurt ins Lager der geldwerfenden CDU-Politiker emigriert, weil „da die Post nach vorne abgeht“, wo die Gewerkschaftsjugend ihre -spitzen in der Oper trifft.

Podium und Publikum waren beim Thema angekommen. „Wir müssen diagnostizieren“, übersetzte es einer aus dem Publikum ins ABM-Missingsch, „wieso das kulturelle Reizklima in Bremen tote Hose ist.“ Oder Gil Staug, der traurige Komiker, der abendlang Flaschenbierverschlüsse gegen die Wortblasen knallen ließ, sinngemäß so: Die Vorstellung vom Armenhaus ergebe zusammen mit der ABM-Scheiße, die

freien Kulturprojekte ruiniert: „Bremen Banane.“

Vergebens stemmten sich dem Strudel des Jammertals entgegen: Reinhard Richter, gegangener Kulturamtsleiter aus Osnabrück, und ungastlich belacht, weil er kaum eine Stadt mit einem so schönen Kulturplan wie Bremen kennt, und des Senators Sunke Herlyn. Der nimmt fast etwas wie Aufbruchstimmung in der Stadt wahr und hat „wegen der pulsierenden Kreativität in den Kulturzentren immer noch den Bleistift nicht aus der Hand gelegt“, um neue Konzepte zu machen.

Der bleistiftverlassene Rest diagnostizierte, ob die tote Hose des kulturellen Reizklimas aus dem Armenhaus kommt oder nicht. Peter Alheit hielt zwar wacker daran fest, daß Gegenkultur mit Widerspruch und der Organisation von Brüchen (kulturellen, versteht sich) zusammenhängt, zu denen die Kultur des Mammons gar nicht fähig ist. Zeigte sich dann aber so fasziniert von dem Klima, das die CDU mit Geld schaffe, daß die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Helga Trüpel, widersprach. Zwar sollten statt wie bisher 1.5 künftig 3 % des Haushalts für Kultur sein, weil erst dann eine Neuverteilung auch die traurigen Einbrüche in die ABM -gestützte Kultur auffangen könne. Aber das miese Kulturklima komme nicht allein vom Geldmangel, sondern daher, daß ausgelacht werde, wer sich aus dem Sachzwangdenken „freizutrampeln“ versuche.

Helga Trüpel sieht die regierenden Sozialdemokraten selber als Klimaverderber und hält im übrigen den Transferprozeß, mit dem Sunke Herlyns kulturvermit

telnde Dienste... hautnah.. Zielgruppen erreichen sollen, für „ein technokratische Kulturverständnis“, das ihr „zuwider“ sei. Einer aus dem Publikum sekundierte: Das Schlimme in Bremen sei eine Art Haßliebe zur Behörde, die dazu führe, daß man sich „Kultur überhaupt nur noch als behördlich

angeleitete vorstellen“ könne. Anders Peter Alheits behördenfreie Klimaauffassung: Die Tatsache, daß der Kultursenator selber eines der raren kulturellen Ereignisse, sei zwar symptomatisch, aber doch nicht diesem vorzuwerfen. Wirklich nicht?

Uta Stolle