Selbstbewußt im Museum, flüsternd in der U-Bahn

■ Kirche, Kultur, Elite, Humor / Ein Blick in die (Sub-)Kultur der polnischen Berliner / Von Elisa Klapheck

Offiziell 16.000 Polen leben in Berlin. Ein Meer von Schwarzarbeitern? Wer hinter die Kulissen guckt, entdeckt ein humorvolles Kulturvolk, daß in Literatur, Theater und Musik schwelgt. Hier hoffen sie auf eine bessere Zukunft. Doch oft sind sie gezwungen, illegale Arbeitsverhältnisse einzugehen. Verantwortlich für die Schwarzarbeit sind meist die Berliner Arbeitsämter, indem sie arbeitswilligen Einwanderern keine Arbeitserlaubnis erteilen.

O Herr, so taub

für unsere Bitten

von morgen an

werden wir nur

mehr eine

Bitte vor dich bringen

daß du eine alte Geste

wiederholen mögest, daß

du uns herausführst

aus dem Lande Polen

dem Haus der Unfreiheit Antoni Pawlak (1982

(aus: „Schwierige Gedicht-Auswahl), Veto-Verlag 1987)

Sonntag früh. Während die meisten Berliner Pfarrer vor halbleeren Gotteshäusern predigen, strömen Menschenmassen in die Kirche an der Tempelhofer Götzstraße. Auf dem Vorplatz schart sich eine Traube um ein schwarzes Brett. Dort werden in polnischer Sprache Küchengeräte, Möbel oder Autos feilgeboten. Ein Mann verkauft in dem Menschengewühl Theaterkarten für das Kabarettstück „Kawon“. Ein anderer organisiert den „Paketdienst“. Der Paketdienst ist ein Privatunternehmen, das Pakate innerhalb von einigen Tagen per Lastwagen an Ort und Stelle nach Polen bringt. „Wenn du dagegen ein Paket mit der polnischen Post schickst, dann kommt es erst Wochen später an und ist inzwischen geplündert“, sagt einer der Kirchgänger.

Das Kirchengebäude ist so voll, daß Hunderte von Menschen auf den Gängen, neben den Bänken, ja sogar in der Vorhalle stehen müssen. Der Priester sagt ein Wort auf Polnisch. Frauen, Männer, Kinder bekreuzigen sich, knien nieder, beten, singen eine getragene Melodie auf Polnisch. Der Gottesdienst dauert eine Stunde. Draußen auf dem Vorplatz warten schon wieder Hunderte auf den nächsten Gottesdienst. Drei Messen finden hier am Sonntag hintereinander statt.

Die „Polnische Katholische Seelsorge“ wurde 1982 durch die Unterstützung von Kardinal Meisner gegründet. Das war, als im Zusammenhang mit den Solidarnosc-Auseinandersetzungen die bis heute anhaltende Auswanderungswelle aus Polen einsetzte. Derzeit leben offiziell 16.000 Polen in Berlin. Nach den Türken und Jugoslawen sind sie die drittgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe. In dieser Zahl sind jedoch weder die polnischsprachigen Aussiedler enthalten noch all die hier auf Touristenvisum eingereisten Arbeitssuchenden. „Ich schätze die Zahl der Polen auf mindestens 25.000 bis 30.000“, sagt die Journalistin Ewa Maria Slaska.

„Patriotisch? - Pustekuchen!“

Vergleicht man die Polen mit den Türken, wundert man sich, wie schnell sie sich in Berlin zurechtfinden, ja, wie bereitwillig sie ihre Identität abstreifen. „Ist doch klar“, sagt eine polnische Mutter. „Wir kommen im Gegensatz zu den Türken aus demselben Kulturkreis wie die Deutschen. Was uns von den Menschen hier unterscheidet, ist höchstens die Sprache. Aber mein Sohn spricht schon jetzt besser Deutsch als Polnisch. Mein Sohn ist eigentlich ein Deutscher.“

Während Türken und Jugoslawen hoffen, ihre Rente im Heimatland zu genießen, haben Polen eine endgültige Entscheidung getroffen: „Es gibt kein Zurück mehr“, sagen viele. Und so gehen sie bewußt - innerhalb einer Generation

-in der deutschen Bevölkerung auf. Übrig bleiben nur die polnischen Namen. Dabei heißt es immer, die Polen seien ein patriotisches Volk: „Wir sind überhaupt nicht patriotisch“, empört sich Edward Klimczak, Vorsitzender der „Gewerkschaft Solidarnosc“ in Berlin, welche die Opposition in Polen unterstützen soll. „Ist es patriotisch, wenn man für die Identität und Souveränität seines eigenen Landes kämpft? Pustekuchen! Wir sind nur nicht expansionistisch wie die Preußen oder die Russen. Im Ausland akzeptieren wir die Spielregeln der anderen.“

Kulturliebendes Volk

Erstaunlich ist die Vielfalt von literarischen, politischen und künstlerischen Aktivitäten der Polen in Berlin. Reißenden Absatz findet zum Beispiel das erst seit ein paar Wochen existierende deutsch-polnische Kultur- und Stadt -Magazin 'City-Life‘. In 'Poglad‘ (Meinung), einer Zeitschrift der „Gesellschaft Solidarnosc“, berichten Korrespondenten aus aller Welt über das politische Geschehen etwa in Afghanistan oder Tibet oder aber den USA. Der „Veto -Verlag“ veröffentlicht zweisprachige Lyrik und übersetzt Werke wie „Collin“ von Stefan Heym ins Polnische. Bei den Zeitschriften werden selbstverständlich stets Normal- sowie Schmuggel-Ausgaben im Hosentaschenformat gedruckt. Jedes Exemplar werde in Polen von mindestens 30 Menschen gelesen, sagt Klimczak. Die ehemalige Solidarnosc-Mitarbeiterin Ewa Maria Slaska, die im Kabelfernsehen ein Kultur- und Nachrichtenmagazin für die Polen in Berlin produziert, winkt allerdings ab: „Vor zehn Jahren war es wichtig, im Westen Bücher zu produzieren und nach Polen zu schmuggeln. Aber jetzt erscheint in Polen unbehelligt soviel sogenannte Untergrundliteratur, daß es vielmehr für uns Polen im Westen interessant wäre, diese Schriften aus Polen herauszubekommen, als unter den Leuten dort unsere Zeitschriften zu verteilen.“ Politische Arbeit im Westen im Dienste einer Demokratisierung Polens sei nur „Scheintätigkeit“, meint Ewa Maria Slaska. „Die Leute, die in Polen geblieben sind, brauchen von uns nur eins, und das ist Geld.“ Diese Einschätzung trifft in dieser Zuspitzung offenbar nicht zu. Slaskas Kollege Grzegorz Zietkiewicz arbeitet als politischer Journalist für die polnische Abteilung von „Radio Free Europe“, wo trotz - oder gerade wegen - der antikommunistischen Ausprägung des Senders viele geflüchtete Anhänger von Solidarnosc beschäftigt sind. In Polen, aber auch unter den Polen im Westen ist „Radio Free Europa“ der Sender schlechthin. So hielt neulich die Schriftstellerin Maria Kurecka in „Radio Free Europe“ eine Lesung. Kurz darauf riefen interessierte Zuhörer aus Polen sie in ihrer Moabiter Wohnung an.

Polen über Polen

Identisch sind der deutsche und der polnische Kulturkreis allerdings nicht. Der Küster der polnischen Kirche, Andrzej Szulczynski, hat mit anderen den „Klub der Katholischen Intelligenz“ gegründet. Darin finden sich so bekannte Persönlichkeiten wie der Komponist Witold Szalonek. Der Klub versteht sich ausdrücklich als polnische Elite in Berlin und veranstaltet Lesungen, Diskussionen und Ausstellungen. „Ohne Elite kann keine Nation existieren“, sagt Szulczynski. „Es ist gut, wenn die Intelligenz zusammenarbeitet.“ Dieser Ansicht ist auch Edward Klimczak. „Die Polen stehen in einer romanisch-katholischen Tradition und haben deshalb wie die Franzosen keine Schwierigkeit mit dem Begriff Elite. Die vom Protestantismus geprägten Deutschen hingegen wollen alle über einen Kamm scheren. Dabei ist die Realität ganz anders. Es muß Menschen geben, die die moralischen Grundsätze einer Gesellschaft repräsentieren.“

Viele der polnischen Akademiker schämen sich offen der polnischen Arbeiter, die mehr aus wirtschaftlichen Gründen gekommen sind. „Im Museum rede ich laut, in der U-Bahn dagegen im Flüsterton, damit die Leute nicht denken, ich sei einer dieser Kaufhausdiebe oder Schieber“, sagt Piotr, in Polen Student, jetzt Asylbewerber. Manche gehen mit der Mentalität ihrer Landsleute eher ironisch um. So witzelt Ewa Maria Slaska, neuerdings würden sich deutsche Prostituierte gewerkschaftlich gegen polnische organisieren wollen: „Die Polinnen drücken jeden Preis. So ist es halt mit der polnischen Wirtschaft. Selbst dieses Gewerbe haben die Polen heruntergewirtschaftet.“ Nicht selten prägt Sarkasmus die Einschätzung des eigenen Volkes. Über die Kleinkorruption sagt der Literat Wieckowski: „Dank Hitler, Stalin und dem Kommunismus ist das polnische Volk völlig degeneriert.“

Die bei der Ausländerbeauftragten für Polen zuständige Sozialarbeiterin Edda Zint sieht das ganz anders. Die Verantwortung für all die Schwarzarbeit und illegalen Geschäfte liege bei den Berliner Arbeitsämtern. Zwar werden Polen in Berlin - im Gegensatz zu anderen Bundesländern auch als abgelehnte Asylbewerber meist geduldet. Doch nur in wenigen Fällen erhalten sie eine Arbeitserlaubnis. Edda Zint: „Auf diese Weise werden die Polen - wollen sie überleben, und dazu muß man in dieser Gesellschaft arbeiten

-geradezu in die Schwarzarbeit, und schlimmer noch, in furchtbare Erpreßbarkeit gedrängt.“