Es sei denn, sie wären wahr

■ Zur deutschen Erstaufführung von David Mamets „Die Gunst der Stunde“ unter der Regie von Dieter Giesing in der Berliner Freien Volksbühne

David Mamets neues Stück behandelt ein Sujet, das der Bühne denkbar fremd ist. Wir kennen es viel eher als Szenarium eines jener Autorenfilme, in denen larmoyant der ewige Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz in Hollywood reflektiert wird. Doch Mamet hat dies Thema kraftvollen Bühnenfiguren anvertraut, die gerissen genug sind, die Gunst der Stunde zu nutzen, anstatt den Stand der Dinge zu beklagen.

Das Dreipersonenstück greift auf Erzählkonventionen zurück, die sich (spätestens seit Fitzgeralds Last Tycoon) bewährt haben, wann immer es darum ging, die Filmmetropole zu sezieren. Gould (Hans-Michael Rehberg) ist zum Produktionsleiter des Studios aufgestiegen und nur noch dem Studiochef Ross verpflichtet. Fox (Gerd Böckmann), der ihn seit langen Jahren des gemeinsamen speichelleckenden Erklimmens der Karriereleiter kennt, wittert seine Chance und schlägt ihm als Co-Produzent einen sicheren Publikumsrenner vor. Gould hat aber auch die leidige Pflicht, den Roman eines „schlaffen Ostküsten-Schreibers“ als „Höflichkeitslektüre“ zu lesen, eine Pflicht, der er sich dadurch entzieht, daß er seine neue Sekretärin (Marie Colbin) bittet, ihn zu lesen und nach Feierabend in Goulds Villa zu referieren. Gould und Fox haben inzwischen gewettet, ob es Gould gelänge, die Neue ins Bett zu kriegen; sie kommt zu Besuch und der Produktionschef läßt sich von ihrer echten Begeisterung für das Buch anstecken.

Doch Mamet bringt einen moralischen Konflikt auf die Bühne, dem es an Widerhaken nicht mangelt. Zum einen besitzt die Sekretärin nicht nur Idealismus, sondern auch Ehrgeiz, zum anderen weckt er massive Zweifel daran, ob der Roman eine wirkliche, seriöse Alternative zur mit zynischer Verachtung produzierten Durchschnittsware des Studios darstellt. Sein Titel „Die Brücke - Studie des Verfalls“, weist ihn als schwülstiges Kompendium modischer Endzeitklischees aus (welche Mamet überraschenderweise nicht einmal durchgehend ironisiert, sondern mitunter ernst nimmt). Der Roman mag sich auf seine Weise zwar ebenso der filmischen Adaption verweigern, wie es Mamets eigene Bühnenstücke tun. Es ist jedoch bemerkenswert, daß Mamet (der selbst als Autor und Regisseur Hollywooderfahrung besitzt) nicht die bequeme Identifikation mit der Figur des integren Künstlers, des Idealisten in einer korrupten Unterhaltungsindustrie, sucht. Mehr noch: er spart sie gänzlich aus. Dadurch gelingt ihm ein zwar modisches, dennoch aber vertretbares Bild des Neuen Hollywood der stromlinienförmigen Produzentenfilme, die sich nur noch aus einer profitablen Formelhaftigkeit inspirieren.

Daß diejenigen, die an den Schalthebeln der Massenkommunikation sitzen, selbst unfähig sind zu kommunizieren, begreift Mamet als eine verhängnisvolle Ironie. Die Produzenten sind - in einem Bühnenbild, das konsequent eine Außenwelt hermetisch ausschließt - ihrem eigenen Sprachgestus ausgeliefert. Dieter Giesing und seine exzellenten Schauspieler treffen präzis den Rhythmus der Mametschen Dialoge, in denen selbst die heftigste Zustimmung, selbst das mechanische Wiederholen der Worte des Gesprächspartners doch nur das fundamentale gegenseitige Mißverstehen offenbaren.

Nur für einen kurzen Moment der Wahrheit wird zwischen Gould und seiner Sekretärin Karen die lapidare „Ich weiß, was Du meinst„-Übereinkunft zugunsten echter Verständigung aufgekündigt. Danach regiert wieder die aggressive Eloquenz Fox‘, der für einen kurzen Augenblick befürchten mußte, die alten Spielregeln seien außer Kraft gesetzt: „Es sind doch alles nur Worte - es sei denn, sie wären wahr.“

Gerhard Midding