Kommunen tricksen Arbeitsämter aus

Zeitarbeitsvereine lassen Sozialhilfe-Empfänger ein Jahr lang auf ihren Gehaltslisten laufen / Danach zahlt das Bundesarbeitsamt und nicht mehr die Kommunen  ■  Von Karl Nolte

Der Kniff ist denkbar einfach: Die Gemeinde gründet einen Verein, stellt eine Reihe Erwerbslose ein, für deren Lebensunterhalt in Form von Sozialhilfe zwar die Kommunen aufkommen mußte, weil die Betreffenden nicht anspruchsberechtigt für Arbeitslosengeld oder -hilfe sind. Während dieses in der Regel ein Jahr dauerenden Beschäftigungsverhältnisses zahlt der Verein für jeden Angestellten Beiträge in die Arbeitslosenversicherung. Ist das Arbeitsverhältnis erloschen, hat der ehemalige Sozialhilfe-Empfänger Anspruch auf Arbeitslosengeld. Anschließend bezieht er bis zu seinem Lebensende Arbeitslosenhilfe - vorausgesetzt, er meldet sich weiter arbeitssuchend. Die „Hilfe“ aber bezahlt der Staat aus seinem Sozialhilfe-Etat, der in den vergangenen Jahren immer stärker aus den Fugen geriet. Die Kommunen sind aus dem Schneider. Sie sparen bei jedem, der das Arbeitsverhältnis nicht gehalten hat, Ausgaben (siehe Kasten).

„Die schießen zur Zeit wie Pilze aus dem Boden“, erklärt Holger Dohnt, und seine Kollegin Heike Baumann nickt beifällig. Dohnt und Baumann meinen die kommunalen Zeitarbeit-Unternehmen und wissen, wovon sie sprechen: Beide sind Öffentlichkeitsarbeiter der „Hamburger Arbeit Beschäftigungsgesellschaft mbH“ (HAB). Fast täglich erscheinen bei der HAB Kommunal-Politiker aus allen Teilen der Bundesrepublik, um das Hamburger Modell zu begutachten.

Das „Hamburger Modell“ ist eine „Institution zur Rückführung von Sozialhilfe-Empfängern in die Arbeitswelt“, betonen Dohnt und Baumann immer wieder. Der „positive finanzielle Effekt“ für das Hamburger Stadtsäckel stehe keinesfalls im Vordergrund. Doch während es mit der Rückführung der Sozialhilfe-Empfänger noch etwas hapert, ist der finanzpolitische Erfolg der HAB mittlerweile unübersehbar.

Zwar belasten die annähernd 1.300 jetzt bei der HAB beschäftigten ehemaligen Sozialhilfe-Empfänger samt Verwaltungs- und Betreuungspersonal den Etat der Freien und Hansestadt jährlich mit circa 35 Millionen Mark, umgerechnet also etwa 27.000 Mark pro Nase - dafür spart die Stadt jedoch an die 15,5 Millionen Mark Sozialhilfe jährlich. Die Hansestadt nimmt dadurch aber zunächst Mehrausgaben von 20 Millionen Mark in Kauf. Da die HAB-Klientel jedoch anschließend vom Arbeitsamt mit Arbeitslosengeld und darauf mit Arbeitslosenhilfe versorgt wird, geht die Rechnung langfristig auf.

Circa 5.000 ehemalige Sozialhilfe-Empfänger wurden auf diese Weise seit Gründung der Gesellschaft im Jahre 1983 durch die HAB geschleust. Und es sollen mehr werden. 2.000 Mitarbeiter wünscht sich die HAB-Geschäftsleitung für die Zukunft, weitere 600 Noch-Sozialhilfe-Empfänger sollen in der Anfang Oktober dieses Jahres gegründeten Schwestergesellschaft „HAB-West“ Brot und Arbeit finden.

Inzwischen hat das „Hamburger Modell“ zahlreiche Nachahmer gefunden. Ein ähnlich gelagertes Programm wurde vom Land Nordrhein-Westfalen aufgelegt. Städte wie Köln, Essen, Berlin, München, Frankfurt, Kassel, Bremen und zahlreiche andere Kommunen haben einem Teil ihrer Sozialhilfe-Empfänger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verschafft.

Grundlage dieses Verfahrens ist Paragraph 19 des Bundessozialhilfegesetzes, der in Absatz 2 besagt: „Wird für den Hilfesuchenden Gelegenheit zu gemeinnütziger oder zusätzlicher Arbeit geschaffen, kann (...) ihm das übliche Arbeitsentgelt (...) gewährt werden.“

„Mittlerweile werden jährlich wohl mindestens 10.000 solcher Arbeitsverhältnisse neu geschaffen“, schätzt Hans -Jörg Böhringer, Geschäftsführer des Landesverbandes des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) Baden -Württemberg. Der ehemalige Unternehmensberater war bis vor kurzem Vorsitzender des Vereins „Neue Arbeit“, dem Stuttgarter Dependant zur HAB im Norden. Jetzt ist Böhringer ehrenamtlicher Leiter eines gleichartigen Vereins in Sindelfingen. Dort hat der DPWV-Geschäftsführer Erfahrungen gesammelt, wie schwer es ist, die Langzeitarbeitslosen in der freien Wirtschaft unterzubringen: Immerhin 400.000 Mark hatte die mittelgroße Stadt für Unternehmer zur Verfügung gestellt, die bereit sind, Sozialhilfe-Empfängern befristete Arbeit zu geben. Lediglich zweimal wurde dieses Angebot wahrgenommen, das Ergebnis des Experiments blieb zwiespältig: Eine der beiden subventionierten Arbeitskräfte wurde kurz nach Beginn des Arbeitsverhältnisses wieder entlassen, der andere Billig-Arbeiter später von seinem Chef übernommen.

Natürlich ist es für die jahrelang der Arbeit entwöhnten und teilweise mit Alkohol-Problemen belasteten Sozialhilfe -Empfänger schwer, sich in der Arbeitswelt wieder zurechtzufinden. Grund, warum alle heute auf diesem Gebiete tätigen Vereine und Gesellschaften Augenmerk auf die soziale Betreuung ihrer Schützlinge legen. Je nach Art der Auswahl und Umsorgung ihrer Zeitarbeiter haben die Arbeitgeber Ausfallquoten zwischen zehn und 40 Prozent zu verzeichnen. Jene, die den Übergang in das Arbeitsleben nicht schaffen und nach einiger Zeit wieder aufstecken, belasten aufs neue den städtischen Etat. Bemerkenswert und doch folgerichtig ist dabei, daß in Städten wie Hamburg, wo praktisch jeder gewillte Sozialhilfe-Empfänger bei der HAB eine Chance erhält, die Zahl der „Abgänger“ trotz relativ intensiver sozialer Betreuung mit 40 Prozent besonders hoch ist.

Mit ungefähr 30 Prozent überall gleich hoch beziehungsweise niedrig liegt hingegen die Zahl jener, die aufgrund ihrer subventionierten Stelle letztendlich den Sprung in die „reguläre“ Arbeitswelt schaffen. Nur wenigen allerdings gelingt nach übereinstimmenden Angaben der kommunalen Zeitarbeits-Geschäftsführer der Einstieg in die private Wirtschaft. Der Großteil der „erfolgreich Integrierten“ findet später Arbeit bei seinem eigentlichen Brötchengeber. Den kommunalen Verwaltungen.

Dabei wäre es allerdings falsch, allen kommunalen Zeitarbeitsvereinen als alternatives Motiv die Umwidmung von Sozialhilfe- zu Arbeitslosenhilfe-Empfängern zu unterstellen. K., ein 30 Jahre junger Mann aus der bürgerkriegsumtobten äthiopischen Provinz Eritrea, scheint nicht so recht zu wissen, was man denn eigentlich von ihm will: Mit zusammengezogenen Schultern, auf seinem Stuhl weit vornübergebeugt, sitzt der Sozialhilfe-Empfänger da; die Ohren gespitzt, und versucht angestrengt zu verstehen, was die drei freundlichen Herren vor ihm wohl zu sagen haben.

Daß man ihm Arbeit offerieren möchte, hat er verstanden. Daß er nicht unbedingt arbeiten möchte, hat nach einer halben Stunde mühseliger Konversation auch das Einstellungs -Komitee der „Werkstatt Frankfurt“ begriffen. Die Herren lassen den Geladenen ziehen, ohne auch nur ein konkretes Angebot gemacht zu haben. Die Berufswünsche des seit drei Jahren in der Bundesrepublkik lebenden und immer noch die deutsche Sprache radebrechenden K. erschienen den Dreien letztendlich doch wenig realistisch: Bibliothekar oder Pförtner sind nun einmal Arbeitsplätze, die gewisse Deutschkenntnisse voraussetzen.

„Der wollte nicht arbeiten. Hätten wir dem einen Job verschafft, wäre er nach kurzer Zeit eh‘ wieder abgesprungen“, verteidigt Sozialamtsmitarbeiter Heinemann gegenüber dem anwesenden Berichterstatter die Zurückhaltung des von ihm geführten Einstellungsteams. Seine Kollegen von der kommunalen Werkstatt Frankfurt pflichten bei: Dank einer relativ strengen Prüfung der mehr oder weniger freiwillig erscheinenden Bewerber für einen 18 Monate währenden Arbeitsvertrag bei der „Werkstatt“ liegt die Quote der „Abspringer“ in Frankfurt mit ungefähr 20 Prozent nicht allzu hoch. Das freut den Stadtkämmerer, der den Etat der „Werkstatt“ finanziert. Denn Abspringer, die nicht so lange sozialversichungspflichtig gearbeitet haben, bis sie Anspruch auf Arbeitslosengeld besitzen, sind so gut wie herausgeworfenes Geld.

Aber Oskar Pfreundschuh, stellvertretender Leiter der „Werkstatt“, versichert, ihm ginge es nicht um eine Kostenbelastung des arg strapazierten Sozialetats der Stadt. Man kann ihm dies glauben: Ein Großteil der insgesamt 600 Mitarbeiter wird statt der gesetzlich notwendigen zwölf Monate eineinhalb Jahre von der „Werkstatt“ beschäftigt, und 60 ehemalige Sozialhilfe-Empfänger, die „auf dem freien Arbeitsmarkt wirklich chancenlos sind“ (Pfreundschuh), haben hier einen Dauerarbeitsplatz gefunden. Noch sozialer präsentiert sich die „Neue Arbeit“ in Stuttgart, ein Verein, der von Wohlfahrtverbänden getragen und der Stadt bezahlt wird.

Von den 500 ehemaligen Sozialhilfe-Empängern im Verein gelten 350 als Menschen „mit besonderen sozialen Schwierigkeiten“, wie Böhringer formuliert. Nichtseßhafte, im Volksmund auch „Berber“ oder „Landstreicher“ genannt. Diese 350 Menschen haben in der „Neue Arbeit“ einen Dauerarbeitsplatz gefunden, etlich sogar in Privat -Unternehmen. Das Prinzip der Kostenumverteilung von den Kommunen weg hin zum Staat gilt in Stuttgart als untergeordnetes Ziel.

Ganz anders läuft die Chose hingegen in Berlin: Dort wird knallhart nach der Prämisse gehandelt, Sozialkosten zu drücken. Wer hier einen Zeitarbeitsplatz auf dem Programm des Sozialsenators erhalten will, muß zunächst einmal die ungeliebte „gemeinnützige zusätzliche Arbeit“ (gzA) verrichten: Eine Tätigkeit, die vom Sozialamt mit ein paar Mark als Dreingabe zur laufenden Sozialhilfe vergütet wird.

Stolz verweist die Pressestelle von Sozialsenator Ulf Fink auf die Rendite des gzA-Programms: „Den in den letzten fünf Jahren gezahlten Entschädigungen für gzA-Einsätze in Höhe von rund 9,6 Millionen Mark“, heißt es in einem Papier, „stehen Ausgabenentlastungen (...) infolge Kürzungen und Versagungen (bei der Weigerung, gzA zu leisten) in Höhe von 13,5 Millionen Mark gegenüber.“ Weiterer Effekt: Nur jeder zehnte der gzA-getrimmten Zeitarbeiter bricht später seinen Job ab. Alle anderen entlasten später den städtischen Sozialetat.

Die 1.000 vorgesehenen Zeit-Arbeitsplätze sind nicht gerade billig. Der zuständige Referatsleiter Jürgen Sander hält eine Einstellung von 33.000 Mark je Zeit-Job im Haushaltsplan für realistisch. Die damit verbundene relativ gute Bezahlung der ehemaligen Sozialhilfe-Empfänger dient dem simplen Zweck, eine anschließende Arbeitslosenhilfe zu garantieren, deren Höhe erneutes Einspringen des Sozialamtes erübrigt.

Ob freiwillig oder unter Zwang, die kommunale Zeitarbeit ist im Kommen. Natürlich sind sich die Chefs der städtischen Unternehmen bewußt, daß die Entwicklung Reaktionen der Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosengeld tragenden Stellen auslösen könnte. Noch aber sieht das Bundesarbeitsministerium „die Sache gar nicht so negativ“, erklärt eine Sprecherin. Und ein Spitzenbeamter der Bundesanstalt in Nürnberg begründet die Untätigkeit seines Amtes angesichts des Phänomens mit der Notwendigkeit, die „Leute in der Nähe des Arbeitsmarktes zu halten“.