Atomkraftwerke taumeln im Störfall-Tango

■ Den Notstromdieseln in Brokdorf wäre im „Bedarfsfall“ das Öl ausgegangen / Ostern in Biblis: Schon wieder ein Leck gefunden / Bayern hält mit: Schichtleiter schaltet per Hand Gundremmingen ab / Und jetzt alle: Eine Gefährdung der Bevölkerung hat zu keinem...

Berlin/Hamburg (taz) - Seit dem Schock über den Fast-GAU im AKW Biblis überschlagen sich die Meldungen über Störfälle in bundesdeutschen Atomkraftwerken. Am Mittwoch abend überraschte das schleswig-holsteinische Energieministerium die Öffentlichkeit mit der Enthüllung über eine Super -Schlamperei im Brokdorfer Atommeiler. Aufgrund eines Montagefehlers fehlten seit Inbetriebnahme des Atomreaktors im Jahre 1986 bei allen vier Notstromdieseln wichtige Teile, die unter ungünstigen Bedingungen zum Versagen der Notaggregate hätten führen können. Weil dieser seit zwei Jahren unbemerkte Defekt erhebliche Bedeutung für die Sicherheit des Atomkraftwerks habe, sei der Störfall in die Kategorie „E“ (Eilt) eingestuft worden.

Nur zufällig war am Dienstag entdeckt worden, daß bei sämtlichen Notstromdieseln an den Stutzen der Bogenzahnkupplungen die Verschlußkappen fehlten, die unter anderem dafür zu sorgen haben, daß beim Betrieb der Dieselmotoren das Öl nicht herausgeschleudert wird. Zwar könnte die Kupplung normalerweise ein paar Stunden auch ohne Öl auskommen, doch die fehlenden Verschlußkappen gewährleisten außerdem noch die richtige Übersetzung vom Dieselaggregat auf die Pumpen, die bei einem Zusammenbruch des öffentlichen Stromnetzes und einer Abschaltung des AKWs für die Ableitung der Abwärme zuständig sind. Bei einem der Aggregate war es außerdem versäumt worden, einen Zentrierring für das Kupplungsgehäuse einzubauen. Dieser „systematische Fehler“ war bei den regelmäßigen amtlichen Überprüfungen nicht bemerkt worden. Erst am Mittwoch hatte die Brokdorf-Betreiberin Preußen Elektra den Genehmigungsbehörden ihre unangenehme Entdeckung gemeldet, jedoch am selben Tag der versammelten Presse verschwiegen, die sie wegen der Störfälle im Schrottreaktor Stade zu sich geladen hatte. Biblis leckt weiter

Nur kurz nach dem Bekanntwerden der beiden Störfälle in Block A des AKW Biblis wird jetzt auch aus dem Block B des Meilers ein Störfall der Kategorie „E“ gemeldet. Wie ein Sprechers der Betreibergesellschaft RWE mitteillte, ist bei Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten ein Leck im Nachkühlsystem des Primärkreislaufes entdeckt worden. Über die Menge an radioaktiv verseuchtem Kühlmittel, das dadurch ins Innere des Sicherheitsbehälters ausgetreten ist, konnte der Sprecher keine Angaben machen. Das Leck konnte den Angaben zufolge erst nach der Abschaltung des Reaktors festgestellt werden, weil die Entwässerungsleitung in einem der vier Nachkühlsysteme des Primärkreislaufes bei Normalbetrieb nicht unter Druck steht. Die notwendigen Reparaturen werden das für Sonntag geplante Wiederanfahren des AKWs um mehrere Tage verzörgern. Der Direktor des AKWs Biblis, Fred Meyer, hat unterdessen gestern abgelehnt, vor dem hessischen Untersuchungsausschuß zur Klärung der Sicherheit und Entsorgung kerntechnischer Anlagen beizutragen. Er berief sich auf ein Aussageverweigerungsrecht. Die Staatsanwaltschaft in Darmstadt hat gegen ihn wegen des Verdachts auf fahrlässige Freisetzung radioaktiver Strahlung im Zusammenhang mit den beiden Störfällen im Dezember 1987 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Wie jetzt bekannt wurde, ist auch im Block C des AKW Gundremmingen ebenfalls ein Störfall der Einstufung „Eilt -Ereignis“ aufgetreten. Wie der technische Direktor mitteilte, hat der Schichtleiter am 8.August den Reaktorblock per Hand abgeschaltet, weil er „das Gefühl“ hatte, daß ein Druckventil zu lange offen gestanden habe. Eine Überprüfung ergab, daß sich eines von elf Sicherheitsventilen geöffnet, aber nicht wieder gechlossen hat. Wie gewohnt erklärten auch diesmal die Verantwortlichen, zu keinem Zeitpunkt habe eine Gefahr bestanden. Das zuständige Bayerische Umweltministerium hatte nach Bekanntwerden den Störfall zunächst nicht einmal bestätigt. Es schloß sich dann den Werksangaben an.

Gaby Haas/Wolfgang Gast