Richter fürchten Würgassen-Fakten

Das OVG Münster trickst beim Stillegungsverfahren zum AKW Würgassen / Verhandlungstermin abgesagt  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster will mehrere Stillegungsklagen und Eilanträge gegen den Siedewasserreaktor Würgassen ablehnen, bevor es die entscheidenden Fakten über die Sicherheitsdefizite des Uralt -Meilers überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Dazu hat der 21.Senat des Gerichts zunächst eine für kommenden Montag vorgesehene mündliche Verhandlung kurzfristig abgesetzt, bei der es vorrangig um die technischen Mängel des von der Preussen Elektra betriebenen Würgassen-Reaktors gehen sollte. Gleichzeitig kündigte OVG-Richter Günther in einem Schreiben an den Marburger Klägeranwalt Peter Becker an, unter Umständen noch in diesem Jahr ohne mündlichen Termin über den Stillegungsantrag entscheiden zu wollen. Mehrere andere Verfahren werden wie vorgesehen am Montag verhandelt und voraussichtlich entschieden.

Hintergrund des richterlichen Winkelzugs: Seit Ende November liegen in den Schubladen des OVG jene Bände des Sicherheitsgutachtens der „Elektrowatt Ingenieurunternehmung“ (EWI) über die Atomanlagen in Nordrhein-Westfalen, die sich mit dem Reaktor in Würgassen befassen. Die brisanten und bisher nur in einer entschärften Zusammenfassung veröffentlichten Gutachten stellte der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Jochimsen (er ist Auftraggeber des Gutachtens und Beklagter im Rechtsstreit um Würgassen) dem Gericht Ende November zunächst nur unter der Bedingung zur Verfügung, „daß sie Dritten, insbesondere den Klägern sowie ihren Prozeßbevollmächtigten, vor der Freigabe nicht zugänglich gemacht werden dürfen.“

In dieser Situation habe das OVG wegen der „gebotenen Waffengleicheit“ aller Verfahrensbeteiligten vor der Alternative gestanden, so Gerichtssprecher Bernd Wortmann zur taz, sich entweder über Jochimsens Sperrvermerk hinwegzusetzen oder die Gutachten in der Schublade zu lassen. Man entschied sich für die zweite Möglichkeit.

Insbesondere die Begründung für die Vogel-Strauß -Entscheidung des OVG empört die Kläger der Initiativgruppe „Unrast“. Tatsächlich wolle sich das Gericht „vorsätzlich dumm“ halten und das Verfahren ohne Einstieg in die Sachdiskussion beenden, meinte ihr Rechtsanwalt Becker gegenüber der taz. Nachdem der Antrag, um den es gehe, bereits seit März 1988 beim OVG liege, gebe es überhaupt keine Notwendigkeit, nun plötzlich aufs Tempo zu drücken. Vielmehr liege der Verdacht nahe, daß das Gericht befürchtet, nach Kenntnis der Gutachten den Stillegungsantrag nicht mehr ablehnen zu können.

Eine neue Wendung im Hickhack um die Gutachten scheint diese Annahme zu bestätigen. Am Mittwoch teilte der Sprecher des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Jochimsen, Ewald Schulte, mit, man wolle nun doch auch der Klägerseite „weitestgehende Einsicht“ in die Würgassen-Gutachten gestatten und sich damit über den Widerstand der Betreibergesellschaft Preussen Elektra hinwegsetzen.

OVG-Sprecher Wortmann erklärte daraufhin, schon aus zeitlichen Gründen werde die nun eingetretene veränderte Situation für die aufgehobene mündliche Verhandlung am Montag ohne Konsequenzen bleiben. Außerdem sei fraglich, ob die Gründe, die das Gericht zur Absetzung des Termins veranlaßt hätten, nicht weiterhin bestehen.