PARTY-ROCK'N'ROLL

■ „Sister Ray“ im Ecstasy

Das Leben ist eine einzige Party. Du brauchst nur hinzugehn, zum Beispiel Donnerstag nacht ins Ecstasy, um „Sister Ray“ aus Cleveland anzuhören. Zwei Gitarren, ein Baß und Schlagzeug: Rock'n'Roll. Endlich mal wieder eine Band ohne Schnickschnack, hier wurde reingehaun und abgeliefert. Die Band knallte einen erstklassigen Trash-Rock'n'Roll-Set runter, der von den alten Knurr-Lauten und Fuzz-Tönen der fünfziger und sechziger Jahre lebt, mit Speed und Punkfrische aufgemotzt ist, aber in keiner Sekunde nach aufgemotztem „Power-Pop“ klingt. Kann ein jeder sofort nachvollziehen, die Musik ist zwar primitiv und roh, aber auch unglaublich anregend. Dabei zeigt die Band Gespür für Struktur und Sparsamkeit. Kein Stück dauert länger als drei Minuten, und die Solis sind sehr kurz und fest angebunden, aber erbarmungslos peitschend. Die Übergänge zwischen den Liedern werden zugeschrammelt, ein Ton jagt den anderen, und alle haben wir sie schon irgendwo mal gehört.

Es geht um Energieumsetzung. Es lohnt sich nicht, sich weitere Gedanken über das Songschreiben zu machen. Der Rhythmusgitarrist muß fest seine Lippen zusammenpressen, um nicht aus dem Takt zu fallen. Es sieht aus wie Anthony Perkins mit langer Nase, der Leadgitarrist wie ein bekiffter Van Morrison, total weggetretene Rock'n'Roll-Knaben, und alle tragen sie mit Absicht ausgetretene Turnlatschen der lässigen Sorte. Sie sind die Band, die ihr Publikum so liebt, daß sie es mit (mehreren) Kleinbildkameras fotografiert. Irgendwann während des Konzerts entdeckt der abgebrühte Langnasen-Anthony einen etwa vierjährigen Balg im Publikum, dem er sofort den nächsten Song widmet: „Die young!“ Sie haben den Humor gelbäugiger Bisamratten.

Das Paar-Leute-Publikum klatscht und johlt, dreimal muß die Band zurück auf die Bühne. Dies ist die Party, zu der man nicht eingeladen wird, die ist die Party, die man lebt. Rock'n'Roll.

„Sister Ray“ haben den gottverdammten Rock'n'Roll bestimmt nicht erfunden, aber sie haben es immerhin geschafft, in unserer saftlosen Zeit, in der das Partytum auf Sparflamme zu stehen scheint, die Lunte ein wenig höher zu drehen. Schade, daß ihr nicht dabei wart.

Volker Lüke