Bedarf geweckt - Bedarf entdeckt

■ Wer sich über den konsumterroristischen Winterschlußverkauf erhaben wähnt, mag jäh in Rausch verfallen vor einem edlen Pulloverberg: Stück nur 45 Mark

Widerlich - wie die Menschen sich schon vor neun Uhr vor Karstadt drängeln, dann mit dem Glockenschlag durch die Portale und an die Grabbeltische fluten. Ich bin strikt gegen diesen Massenrummel: Winterschlußverkauf mit Flaggen und Fähnchen als Fest verkleidet. Konsumterror.

Als ich an dem Modesalon für solche Damen vorbeikomme, die mit der ausgestellten Garderobe

mutmaßlich nie auf einem Rad durch den Bremer Regen müssen, da haben sie so einen kleinen feinen Stapel dieser englischen Pullis im Schaufenster aufgeschichtet. Für nur 45 Mark das Stück! Zeitlos und mit V-Ausschnitt, also nicht so zugeknöpft verschlossen wie diese Schildkrötenkragen -Modelle, wo doch der Name schon so unschön ist. Lila ist jetzt wieder im Kommen, sagte neulich schon Utaka, und meine lila Sachen aus den 70ern sind lange hin. Also rein und Lila. Und doch auch Farbe „Kaffee“, streggenommen eher sanft Milchkaffee. Zweimal 45 Mark, da gibt es sonst nicht einen für. Auch Kamelhaar ist wunderschön - zu roten Haaren!

Das Preisschild verrät dezent: Ganze 139 Mark hatten die Prachtstücke zuvor gekostet. Da weiß ich doch, was ich spare: vierundneunzig Mark! Mit den Auszeichnungen ist das ja eine Sache für sich. Geradezu „eine philosophische Frage“, wie mir nachmittags ein Geschäftsführer der Handelskammer am Telefon bereitwillig erläutert. Denn wenn jetzt 50 kostet, was früher 100 wert sein sollte - was heißt da Wert und was der Preis? Ganz und gar verboten ist und war es immer schon, in Anzeigen oder im

Schaufenster mit dem (durchgestrichenen) alten Preis zu werben. Weil das nämlich erstens suggestiv ist und zweitens mißbräuchlich. Da sollen doch zum Beispiel Orientteppich -HändlerInnen einen 20.000er auf 40.000 gesetzt haben, um stolze 50 Prozent Rabatt zu gewähren. Aber an den Einzelstücken selbst darf nach wie vor alt und neu dranstehen. Und das „Schilderwald-Urteil“ des Bundes -Gerichtshofs hat seit Januar 1987 für völlige Verwirrung gesorgt: In einer Fülle von Schildern darf auch schon mal das eine oder andere mit Vergleichswerbung sein. Und ganz verrückt ist die Regelung mit den Prozenten: Mit „50% reduziert“ zu werben ist verboten, weil man das nämlich nachrechnen kann. Aber „bis zu 50% Nachlässe“ ist erlaubt, weil hinreichend unklar. „Nicht besonders gelungen, beziehungsweise klar mißlungen“ findet Herr Krauß von der Handelskammer das zu Recht.

Zum Glück kann ich weder Rot noch Blaßblau oder Rosa leiden, an mir nicht und an anderen auch nicht. Aber Schwarz zu weißer Winterhaut. Und dann gab es noch dieses Beige -Grau, für das sie den schönen Namen „Stein“ erfunden haben. Gelb ja nun nicht. Da seh ich aus wie ein Käse

kuchen. Also Lila und Kaffee und Schwarz und Stein. Und Kamel. Das ist ja Qualitätsware. Zeitlos. Um ehrlich zu sein: Blau hab‘ ich auch noch genommen - blauäugig.

Zurück in der taz, staunte die Fotogräfin Katja den herrlichsten aller Pulloverberge und mich an. „Also 45 Mark? Für alle zusammen? Für einen? Aber das war ja gar nicht so billig! “

Susanne Paas