Autonome Kühe und geschwürfreie Fischbrötchen

■ Mit vollem Bauch wählt es sich besser / BerlinerInnen stürmten Sonntag morgen das Schlaraffenland

Sonntag morgen, kurz nach 10 Uhr auf dem Hammarskjöldplatz vor den Messehallen. Aus Bussen, U-Bahnen und verstopften Parkhäusern wälzen sich Tausende Landwirte, Familien und Seniorengruppen Richtung „Grüne Woche“. Nach dem Motto „Heute bleibt die Küche kühl, wir stürzen uns ins Messegewühl“ versucht ein jeder, möglichst schnell seinen Zehn-Mark-Schein über den Tickettresen zu schieben.

Haben die BesucherInnen der „Grünen Woche“ erst einmal eine Eintrittskarte ergattern können, heißt es wiederum Schlangestehen vor der Eingangskontrolle. Warten schafft verstärktes Interesse am Geschehen in nächster Umgebung. FlugblattverteilerInnen machen sich diese erhöhte Aufnahmebereitschaft zunutze und verteilen ihre Druckerzeugnisse vor den Eingängen zu den Messehallen. „...die Welt leidet an einem katastrophalen Mangel an Nahrungsmitteln“ steht auf einem Flugblatt der rechtslastigen Europäischen Landwirtekommission. Nach kurzem Blick auf solch dubiose Botschaft lassen die meisten MessebesucherInnen das Blatt unauffällig im nächsten Papierkorb verschwinden, wohl in Erwartung dessen, was die Welt, trotz ihres angeblichen Mangels an Lebensmitteln, aufzutischen hat.

Und das zeigt sich dann auch gleich hinter dem Eingang in Halle20. „Essen aus Deutschland, Sehen, Erleben, Genießen“, ist die eßkulturelle Selbstdarstellung aller Bundesländer. Die Abteilung „Freistaat Bayern“ ist in Sachen Besucherfrequentierung absoluter Spitzenreiter. Schon am frühen Vormittag gießen sich hier ganze Scharen den „Bärwurz„-Schnaps hinter die Binde und essen bayrische „Würstel“ dazu. Milchig trüb ist hingegen die Stimmung bei den Schleswig-Hosteinern. Dort versucht der Bauernverband mit Milch- und Käseprodukten aus Kiel und Umgebung die Messebesucher zu erfreuen.

Neben den 14 Messehallen, in denen sich während der „Grünen Woche“ überwiegend alles ums Essen dreht, gibt es aber auch Nahrung fürs Gehirn. Der „Markt der Meinungen“ in Halle 14.2 ist das Podium für Ökologie und Umweltschutz. Angefangen vom „Arbeitskreis Igelschutz“ bis zum „Institut für ökologisches Recycling“, halten hier, im ersten Stock vor der Brücke zum ICC, zahlreiche kritische Initiativen und Tierschutzvereine die Stellung. Im Erdgeschoß die Fisch-Imbisse des „Seafoodmarktes“, darüber Diskussionsveranstaltungen über „Rosenkohlgeschwüre“ beim Nordseefisch. Eine gelungene Mischung, wenn man bedenkt, daß der Messebesucher gerade mit Genuß ein grätenloses Fischbrötchen vertilgt und ihm dies beim „Markt der Meinungen“ hernach madig gemacht wird.

Noch weit weniger appetitlich als in Halle 14.2 geht es bei der „Sonderschau Biotechnik“ zu. Dort geht es um Embryotransfer beim Schwein, biologische Schädlingsbekämpfung am Beispiel der Heuschrecke oder die vollautomatische Versorgung der Kuh.

Drei Prachtexemplare dieser Gattung stehen mitten im Gewühl der schiebenden und schubsenden MessebesucherInnen. Sichtlich apathisch stieren die Kuhaugen von ihrem Strohpodest, gleicherart glotzen die PassantInnen zurück. „Kühe brauchen mehr psychologische Betreuung, deshalb muß der Bauer von Arbeiten, wie Füttern und Melken entlastet werden“, erklärt ein Vertreter der landwirtschaftlichen Bundesforschungsanstalt.

Er führt der staunenden Menge vor Augen, wie das per Robotertechnik zu realisieren ist. Eine Pappkuh steht in einer Stallbox, vor der Schnauze einen Sensor, der genau feststellt, wann sie das letzte Mal gefüttert und gemolken wurde. Dementsprechend kommt vollautomatisch Futter aus einem Trichter, die Melkmaschine setzt sich in Bewegung und greift sich den Euter der Kuh. Noch gäbe es Probleme mit den Sensoren, da die Kühe ja normalerweise nicht aus Pappe seien und sich leider immer bewegten, so der Vertreter der Stallcomputertechnik. In spätestens sechs Jahren sei aber auch dieses Problem gelöst, dann sei die automatisierte Milchviehhaltung auf dem Markt. Ergebnis: Der Bauer muß nicht länger eine 60-Stundenwoche schieben und kann statt dessen liebevoll sein Rindvieh tätscheln.

Gen-ethische Bedenken angesichts der Biotechnik meldet das Gen-ethische Netzwerk auf der Sonderschau an. Unter dem Motto „Kühe stellen keine Fragen, aber wir!“ informieren sie die Besucher der „Grünen Woche“ unter anderem über unkontrollierte Hantierung mit Lebendimpfstoffen, zum Beispiel gegen die Pseudowut bei Schweinen. Lebendimpfstoffe könnten ebenfalls wieder neue Krankheiten verursachen, so die Gen-ethikerInnen.

Wer davon jedoch nichts wissen will, der mache es so wie die meisten BesucherInnen der „Grünen Woche“ und versuche möglichst kostengünstig die Probierstände zu plündern. Eines sollte jeder Gourmet jedoch vorher in seinem Hirn verankert haben - die Standorte der Sanitätsdienste in Halle 25.19 und 9. Hier weiß das Rettungspersonal so manche Magenverrenkung wieder zu beheben.

Christine Berger