Keine Alternative zum Konsens

■ Angesichts der „Republikaner“ und einer drohenden Großen Koalition ist die AL (noch) einig: Für Rot-Grün

Die Parteizentrale der AL in der Badenschen Straße in Wilmersdorf macht am Morgen nach der Wahl einen aufgeräumten Eindruck. Doch in den Köpfen der AL-Politiker, die sich zur Vorstandssitzung des Geschäftsführenden Ausschusses (GA) bereits um 9Uhr eingefunden haben, herrscht Chaos, produktives wohlgemerkt. Mit am Tisch saßen fast alle Parlamentäre der jetzigen und zukünftigen Fraktion der AL im Abgeordnetenhaus. Über Nacht mit dieser sensationellen Situation konfrontiert, wurden innerparteiliche Fraktionskämpfe zurückgedrängt durch die Macht des Faktischen. Zwischen Pragmatismus und Aufbruch bewegte sich der Diskurs. Dem politischen Spiel um die Macht verweigern wollte sich kaum einer. Wer erwartet hatte, der Parteivorstand würde sich angesichts dieser Lage heillos zerstreiten, sah sich einem bemerkenswerten, wenn auch verhaltenen Pragmatismus in Richtung rot-grün gegenüber. Deutlich wurde: die AL meint es ernst mit ihrer Öffnung gegenüber der SPD. „Einerseits steht eine rot-grüne Mehrheit, andererseits eine Große Koalition im Raum“, so Birgit Arkenstette (GA). Erschreckend allerdings sei das starke Abschneiden der Republikaner, fügte sie gleich hinzu. Es fand sich kaum einer, der sich angesichts dieser Situation einer Zusammenarbeit mit der SPD verweigern wollte. Schon fast verdächtig war dieser Konsens, auch wenn die AL früher immer betont hatte, bei ihr gäbe es keine Flügelkämpfe wie bei den Grünen (Links-Kreuzberger Dirk Schneider).

Unterschiede machten sich hauptsächlich an Sprachregelungen fest, hinter denen sich möglicherweise mehr verbirgt. Aber das einzuschätzen wäre zu früh. So kritisierte Christian Stroebele (GA) gleich zu Beginn Bernd Köppl von der zukünftigen Fraktion, der am Abend zuvor im Fernsehen seiner Meinung nach die „Koalitionsfrage“ zu sehr in den Mittelpunkt gestellt hatte. Stattdessen müsse die AL versuchen, ihre inhaltlichen Ziele zu betonen, und die SPD damit fordern.

Es käme gerade angesichts des Wahlerfolgs der Republikaner darauf an, klar zu machen, daß es etwa in der Ausländerpolitik eine „humane Alternative“ gebe.

Die Analyse, so Stroebele weiter, die Rechten hätten den Senat gestürzt, sei falsch. „Es gibt eine rot-grüne Mehrheit in der Stadt und am 11. Februar (Mitgliederversammlung der AL) muß der SPD gezeigt werden, daß Rot-Grün machbar ist.“ Es gebe nur eine Chance, so Bernd Köppl, die „Republikaner„ -Erfolge zu reduzieren: Die CDU müsse in die Opposition.

Hilde Schramm widersprach ihm an diesem Punkt entschieden und warnte vor solcher Arithmetik. Denn dahinter verberge sich die Vorstellung, die CDU solle wieder weiter nach rechts rücken. „Wir müssen doch gesamtgesellschaftlich etwas anderes wollen.“

Sie, Bernd Köppl und auch andere machten sich dann gemeinsam stark für eine stadtweite Politisierung im Blick auf Rot-Grün. Unter Ausklammerung der drei von der SPD genannten Knackpunkte für eine Zusammenarbeit mit der AL solle versucht werden, unabhängig von Verhandlungen öffentliche Diskussionen, z.B. mit den Studenten und SPD und AL-Politikern zu initiieren, um öffentlich klar zu machen was Rot-Grün bringt.

Die drei von der SPD immer wieder genannten Essentials, an denen sich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der AL angeblich entscheiden solle, wurden letztlich nicht als wirkliches Problem eingeschätzt. So sei der Abzug der Alliierten auf eine symbolische Stärke kein Gegenstand von Koalitionsverhandlungen, weil das die Siegermächte selbst und nicht das Abgeordnetenhaus zu entscheiden habe, so der pfiffige Köppl. Renate Künast hielt ihm zwar vor, daß es schließlich bei dieser Frage auch auf die Akzeptanz in der Bevölkerung ankäme, aber daß daran eine Zusammenarbeit mit der SPD nicht scheitern werde. Auch in der Gewaltfrage gebe es eindeutige Programmaussagen, die festlegten, daß die AL ihre politischen Ziele mit gewaltfreien Mitteln durchsetzt: Dies wurde gleich von mehreren in die Diskussion geworfen.

Schwierig schien einzig die Frage der Übernahme von Bundesgesetzen. Doch wurde auch dieses Problem mehrfach in der Debatte als ideologisches Problem ohne praktische Konsequenzen behandelt, denn erstens werde es immer eine satte Mehrheit im Abgeordnetenhaus dafür geben und zweitens sei auch im AL-Programm die Einheit mit dem Bund, so Köppl, „klar“ formuliert. Ausgenommen seien Gesetze, die aus objektiven Gründen (Mietgesetzgebung z.B.) für Berlin eine Sonderregelung notwendig machen würden. Renate Künast, zukünftige Abgeordnete und Rechtsanwältin, widersprach Köppl heftig. Für sie sei die Frage der Übernahme von Bundesgesetzen eine Frage, „die an die Grundfeste der Partei gehe“. Sie müsse diskutiert werden.

Trotz solcher kleineren Wortgefechte: Man konnte die Gegner einer Zusammenarbeit mit der SPD an diesem Vormittag in der AL-Zentrale an einer Hand abzählen, ob das auch auf Mitgliederversammlungen so sein wird, bleibt abzuwarten. Bezeichnend für einen möglichen Konflikt in der AL, der sehr schnell virulent werden könnte, war dann die Diskussion über Ad-hoc-Maßnahmen. So betonte der GA, daß er die Verhandlungen mit der SPD federführend gestalten wolle zwar in Zusammenarbeit mit der neuen Fraktion, aber keinesfalls als Mauerblümchen am Rand des politischen Geschehens im Rathaus. Am kommenden Mittwoch wird der Delegiertenrat auf Vorschlag von Harald Wolf (GA) eine Verhandlungsdelegation wählen. Sie soll bis zur Mitgliederversammlung ein politisches Konzept für Verhandlungen erarbeiten und wird wohl auch die Gespräche mit der SPD führen. Am kommenden Samstag soll eine AL -Großveranstaltung zur politischen Lage stattfinden. Tenor der Diskussion: Der Wahlkampf für Rot-Grün hat begonnen. Denn bei aller Betonung der rot-grünen Mehrheit in der Stadt hatte wohl „Cola“ Kuhn, noch-Abgeordneter, recht, der Stroebeles und anderer Euphorie entgegenhielt, daß die Stadt „nicht rot-grün gewählt, sondern den CDU/FDP-Senat abgewählt hat“.

mtm