Milken: die zarteste Versuchung, seit es Junk Bonds gibt

Drahtzieher des US-Marktes für windige Anleihen im Zentrum des neuesten Insider- und Börsenschieber-Skandals / USA: Ein Kredit-Kartenhaus  ■  Von U.Kulke und H.Mayer

Will ein Unternehmen umgerechnet 200 Millionen Dollar an Lohnkosten einsparen, so können schon mal über den Daumen gepeilt 5.000 Angestellte dran glauben. Das fünftgrößte US -amerikanische Investmenthaus Drexel Burnham Lambert Inc. hat es da leichter. Seine Geschäftsführung schmeißt exakt 1 Person raus und spart dadurch über 200 Millionen Dollar ein. Diese Höhe hatte der „Jahresbonus“ des Leiters der Drexel -Abteilung für Ramsch-Anleihen („Junk Bonds“) im Jahre 1988 betragen, der nun rückwirkend einbehalten wurde - das eigentliche Jahresgehalt ist darin noch gar nicht enthalten. Michael Milken wird's verschmerzen, sein Privatvermögen wird mittlerweile auf eine Milliarde Mark veranschlagt.

Mitte voriger Woche wurde Milken vor die Tür gesetzt. Der Hintergrund war allerdings kein Zwang zum Sparen, sondern die windigen Geschäfte jenes Abteilungsleiters, die inzwischen den Staatsanwalt beschäftigen. Milken hat nämlich das ganze Investmenthaus Drexel in Betrugsverdacht gebracht, das sich im Dezember mit dem Ankläger außergerichtlich auf eine Geldbuße von 650 Millionen Dollar einigte - von denen 300 Millionen in einen Fonds gehen, aus dem betrogene Anleger entschädigt werden. Der Fall Drexel / Milken geht indes über die persönliche Betroffenheit von Betrogenen und Betrügern hinaus, er tangiert den Junk Bond-Markt grundsätzlich, der die jüngste Übernahme- und Spekulationswelle in den USA gefährlich aufgeheizt hat.

In Drexels Büro in Beverly Hills laufen viele Fäden dieses Marktes zusammen. Junk Bonds werden Anleihen genannt, die ein höheres Kreditrisiko als gewöhnlich darstellen, dafür jedoch eine höhere Verzinsung bieten. Eigentlich hatte es diese sehr riskanten Bonds schon immer gegeben, von Firmen, deren Anleihen während ihrer Laufzeit in Schwierigkeiten gekommen und daher in den Ruf von Junk Bonds gerutscht sind. Drexels Dreh war nun, daß er von vornherein als Junk Bonds deklarierte Papiere an den Markt brachte und daß es dafür Käufer gab und gibt. Der Markt ist fest in der Hand von Drexel Burnham Lambert und wird inzwischen auf 160 Milliarden Dollar geschätzt. Das Investmenthaus konnte nicht zuletzt wegen des Quasi-Monopols in Sachen Junk Bonds im vergangenen Jahr 522,5 Millionen Dollar verdienen, während es zehn Jahre zuvor eher ein Mauerblümchen an der Wall Street war. Nicht daß der Handel mit hohem Risiko an sich eine unanständige Sache wäre. Immerhin treiben Namen wie Morgan Stanley und Goldman Sachs regen Handel mit Drexel, tragende Pfeiler der Wall Street also.

Nicht zuletzt aufgrund der vollzogenen außergerichtlichen Einigung zwischen dem Investmenthaus und der Staatsanwaltschaft sowie der noch laufenden Ermittlungen gegen Milken selbst und seinen Bruder sind die Vorwürfe gegen den Abteilungsleiter noch nicht in voller Konkretion bekannt. Zwei Stränge deuten sich allerdings an: Milken „überzeugte“ große institutionelle Anleger wie Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds, daß die Emittenten von Junk Bonds kaum öfter zahlungsunfähig werden als angesehene Konzerne mit hoher Bonität. Eine Reihe von Leuten wurde dadurch „reingerissen“, berüchtigten Übernahmeartisten aus der US-amerikanischen Finanzwelt wie Carl Icahn dagegen besorgte er dadurch die nötigen Milliarden für ihre riskanten Fischzüge in Sachen Konzern -Aufkäufe.

Angesichts der umfassenden Kontrolle jenes 160-Milliarden -Marktes hatte Milken darüber hinaus genügend Informationen, um aus dem Auf und Ab der Anleihekurse für die eigene Tasche Profit abzuzweigen. Es handelt sich dabei um die qua Börsengesetzlichkeit verbotenen „Insider-Geschäfte“, (Ausnutzung von Informationen über Börsengeschäfte, die man aufgrund von Vermittlertätigkeiten erhält, zugunsten des eigene Portemonnaies). Und wer wäre da für die Staatsanwaltschaft ein besserer Kronzeuge als der inzwischen legendärste Insider aller Zeiten: Ivan Boesky. Er stand vor gut zwei Jahren im Zentrum des größten Insider-Skandals. Als die Behörden die Tonbänder, auf denen seine Telefongespräche aufgezeichnet waren, konfiszierten, zitterte die ganze Wall Street: Wessen Stimmen waren auf den Magnetbändern zu hören? Auch Milken zitterte.

Boesky „singt“ auch dieses Mal. Daher gehen die Behörden davon aus, daß sich Milken nicht nur als ehrlicher Makler zwischen Anlegern und Schuldnern betätigte. Zusammen mit Angestellten seiner Abteilung gründete er zahllose Partnerschaften, die sich mit eigenem Geld an guten Geschäften beteiligten - bei anstehenden Firmenübernahmen zum noch günstigen Einkaufspreis Anteile erwarben, die später mit hohem Gewinn verkauft wurden. Da Übernahmen mit Aktienaufkäufen en gros verbunden sind, gehen die entsprechenden Kurse bisweilen wie Raketen in die Höhe.

Milkens Markstellung verschaffte ihm auch genügend Manövriermasse, um über die Manipulation von Anleihe-Kursen in die eigene Tasche zu wirtschaften - gegen die Interessen seiner Kunden, wie Boesky indirekt ausplauderte. Außerdem „parkte“ Boesky Aktienbestände für Milken, um gegenüber der Securities and Exchange Comission (Börsenaufsicht) die Eigentümerschaft zu verbergen. Die „smoking gun“ meint die Staatsanwaltschaft nun gefunden zu haben: ein Beleg für eine Zahlung von Milken an Boesky. Nicht für „Investment -Dienste“, wie offiziell deklariert, sondern für den Ausgleich für erlittene Verluste durch illegale Aktien -Manipulationen sollen die 5,3 Millionen Dollar gedacht gewesen sein.

Nicht nur Milkens Renommee ist nunmehr in Gefahr, sondern der gesamte Junk Bond-Markt. Werden die Firmen, die sich per Junk Bonds verschuldet haben, die nächste Rezession überstehen? Heute schon kann ein Dutzend Firmen nach „Leveraged Buyouts“ (LBO) die Zinsen nicht mehr aus den laufenden Einnahmen („Cash Flow“) bezahlen. Die Welle dieser LBO der letzten Jahre wäre ohne Junk Bonds beziehungsweise risikoreiche Kreditfinanzierung durch Banken nicht denkbar gewesen: Der Aufkäufer eines Unternehmens finanziert den Kauf später durch die Veräußerung von Teilen dieser Unternehmen - im Zweifel durch die Perlen davon, denn sonst gibt's kein Geld. Solcherlei Transaktionen sind bisweilen mehr als riskant. Sollen die Unternehmensteile zur Finanzierung später veräußert werden, so müssen sie für den letztendlichen Käufer attraktiv gestaltet werden, es wird mithin ein enormer Rationalisierungsdruck erzeugt. Etwas reichlich ausgestattete Firmenpensionskassen, Forschungs und Entwicklungsbudgets, Immobilienbesitz, aber vor allem Lohntarife und Arbeitsplätze sind dann naheliegende Zielscheiben. Ob die Rechnung letzten Endes aufgeht, steht dennoch in den Sternen - daher „Junk Bonds“.

Die Größenordnungen, um die es geht, sind selbst für amerikanische Verhältnisse nicht trivial. Amerikas Firmen haben in diesem Zusammenhang 370 Milliarden Dollar Kredite aufgenommen - wohlgemerkt nicht eine einzige Maschine wurde davon finanziert, nicht ein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Im letzten Jahr steckten Amerikas Banken laut IDD Information Service allein in Leveraged Buyouts (119 an der Zahl) 37,7 Milliarden Dollar.

Noch weisen Untersuchungen zwar darauf hin, daß die Bilanzrelationen und der Zinsaufwand der amerikanischen Industrie insgesamt noch nicht besorgniserregend ist, aber die Beunruhigung ist unüberhörbar. Der 'Economist‘ schloß seinen Artikel unter der Überschrift „Amerikas dritte Schuldenseifenblase“ mit folgendem Satz: „Bis 1990 erwarten die meisten amerikanischen Ökonomen entweder höhere Zinsen oder eine Rezension oder beides, und somit dürfte die verschuldete Industrie auf eine harte Probe gestellt werden.“

Wie in den siebziger Jahren mit Jumbokrediten für Lateinamerika, so sind in den achtziger Jahren die großen amerikanischen Banken voll dabei mit Konsumentenkrediten, bei der Finanzierung windiger LBOs und Firmenfusionen. Dies ist der Wachstumsmarkt im Kreditgeschäft, während die Vergabe sonstiger kommerzieller Darlehen für traditionelle Zwecke wie Investitionen oder Lagerhaltung so tief steht wie seit 25 Jahren nicht mehr.

Interessante Vorzeichen für eine kommende US-amerikanische Rezession: Überschuldete Konsumenten, hohe Staatsschulden, die Dollar-drückende defizitäre Handelsbilanz, ein angeknackstes Sparkassensystem und die beileibe noch längst nicht geklärte Anschreibung der Dritt-Welt-Kredite. Drexel Burnham Lambert ist nur eine Karte in diesem Kartenhaus.