Abgeordnete mit Debattierfrust

■ Grüne Vorschläge zur Beendigung der Strafarbeit Parlamentssitzung

Wenn SenatorInnen sich schon am frühen Nachmittag dem Trunke und JournalistInnen dem hemmungslosen Selbstmitleid hingeben, wenn Gäste nach eineinhalb Stunden gähnend die Besuchergalerie und Abgeordnete ebenso erschlafft die Stätte ihres ureigensten Wirkens verlassen, dann ist in Bremen wieder mal Bürgerschaftssitzung.

„Wenig aktuell und langweilig“ - das Lamento über den Alltag des höchsten politischen Gremiums kann seit Jahren bei schwarz/rot/gelb und grün wohlfeil und im Dutzend billiger abgeholt werden. Da der Parlamentspräsident Klink, laut Oellerich, „Anträge nur nach Eingang sortiert und zu wenig eingreift“, beginnen die Fraktionen, wenn der Leidensdruck ins schier Unermeßliche gestiegen ist, zu überlegen, ob und wie der Alltag des Parlamentes nicht ein wenig erträglicher zu gestalten sein könnte. Nach CDU und SPD waren gestern, gut geplant zur heute beginnenden 40. Sitzung der Stadtbürgerschaft, die Grünen mit ihren Vorschlägen an der Reihe.

Von einem SPD-Vorschlag halten die Grünen schon mal überhaupt nichts. Die Mehrheitsfraktion will die Abgeordneten zur freien Rede verdonnern. „Das führt dazu, daß die Rhetorikschulen in Bremen einen kurzzeitigen Boom haben und dann alle im gleichen Duktus reden“, meinte der grüne Fraktionsgeschäftsführer Rainer Oellerich. Der steht zwar selber nie am Rednerpult, hatte gestern aber auch einen echten Abgeordneten mitgebracht, den Sozialpolitiker Horst Frehe. Für den ist die Atmosphäre in der Bürgerschaft nicht nur „öde“, sondern gleichzeitig „ein wahnsinniger Streß“. Das Warten auf den Tagesordnungspunkt, zu dem man reden darf, das ständige Kommen und Gehen, das Desinteresse der Abgeordneten - die Konsequenz aus der Zustandsbeschreibung ist klar: „Kürzer und würziger“ sollen die Reden und die Tagesordnung gestrafft werden, einige Debatten zur öffentlichen Erörterung in die bislang nichtöffentlich tagenden Deputationen verlegt werden und die Stadtbürgerschaft durch einen eigenen Sitzungstag aufgewertet werden. Weil die Grünen wissen, daß das nur erste Vorschläge sind, möchten sie eine Kommission eingerichtet wissen, in der auch Journalisten, Staatsrechtler und Vertreter von Bevölkerungsgruppen helfen sollen, aus dem Abgeordnetenfrust eine Debattierlust zu machen.

Aber wer anders als die Fraktionen selbst entwickelt das hemmungslose Bedürfnis von A-Z und ohne Rücksicht auf Aktualität so gut wie alles zu bereden, was der Selbstdarstellung dient? „Einseitige Abrüstung“, Selbstbeschneidung, wäre schon ein richtiger Weg, meinen auch die Grünen. „Aber damit ist jetzt erst mal die FDP dran“, zeigte Oellerich mit dem Zeigefinger auf die anderen, die morgen über Blumenmarkt und die Förderung der plattdeutschen Sprache reden wollen. Immerhin: Die beiden Grünen versprachen in der Fraktionssitzung zu diskutieren, ob denn nicht auch ihr Antrag zum Moratorium für Straßenbaumaßnahmen im Bremer Osten vom 30. Januar dieses Jahres mangels Aktualität heute völlig entbehrlich ist.

Immerhin, einmal ist bei jeder Sitzung, für ein wenig Spannung gesorgt: bei der jeweils kurzfristig beantragten „Aktuellen Stunde.“ Untrügliches Zeichen für den allgemeinen Frust der Abgeordneten: Gerade dieser debattenträchtige Tagesordnungspunkt wird bei der morgigen Sitzung entfallen. Was bleibt? Sieben Anträge aus dem Februar, drei aus dem Januar und einer aus dem letzten November. Gute Nacht.

hbk