BAUERN, BONZEN, BARLACH

■ „Der arme Vetter“ aus Bremen beim Theatertreffen

Ernst Barlachs Stück ist eng mit der niederelbischen Landschaft verbunden. In den großen Mooren hausen die Geister, häufiger Nebel dämpft die Gemüter und die melancholische Atmosphäre dieser Flußlandschaft, ihre gedeckten Farben, das Braun des Moores und die eintönige Vegetation stimmen schwermütig.

Obgleich die Inszenierung von Günter Krämer aus dem nahegelegenen Bremen stammt, haftet ihr glücklicherweise wenig bodenständig Schwermütiges an. Im Gegenteil, es gibt viel zu lachen. Der Star des Abends ist Martin Reinke in der Rolle des erfolgreichen Geschäftsmannes mit dem platten Namen Siebenmark. In all seinen Auftritten weiß er der Figur mit ihren lapidaren Kommentaren, der pragmatischen, manchmal brutalen Bodenständigkeit durch den sicheren Ton und die plattdeutsche Einfärbung in der Sprachmelodie eine neue Dimension und gleichzeitig Situationskomik zu geben, die dem Stück den nötigen Atem gibt. Wie der jüngere Bruder von Hans Albers stellt er seiner Verlobten gegenüber in einer Verlegenheitspause fest: „Das war aber jetzt ein schöner Ostersonntag.“

Die beiden anderen Hauptfiguren, mit denen Barlach seine Geschichte vom armen Vetter erzählt, sind Lena Isebarn und Hans Ivers, der Titelheld. Lena (Birgit Walter) ist die Verlobte von Herrn Siebenmark, der in ihr nur sich selbst das Siebenmärksche - liebt, dem sie als Spiegel dient. Sie soll sich aber dann laut Vorlage von der reichen Erbin als Braut zur kritischen und emanzipierten Frau entwickeln, der man am Ende die Entscheidung für den Außenseiter Ivers abnimmt. Aufgrund der recht flachen Personenzeichnung Barlachs wird diese Wandlung allerdings mehr behauptet als glaubhaft. Die ihm aufgebürdete Hauptlast dieses Stücks über Weltekel, schnödes Besitzdenken und das Leiden an der Verlogenheit der Menschen kann Benno Ifland, der Darsteller des Hans Ivers, nicht tragen. Im fünften Bild, noch vor der Pause, das seiner inneren Verfassung, seinen Gedanken und Motivationen, die zu dem vorerst mißglückten Selbstmord geführt haben, gewidmet ist, spürt man die Längen in Barlachs Stück quälend.

Da wirkte die „Störung“ durch das hineingeschmuggelte und entrollte Transparent „Zusammenlegung jetzt!“ geradezu als willkommene Abwechslung. Nur, das ganz spezielle Theatertreffen-Publikum ließ die Redner bis zu ihrem Rausschmiß durch Pfiffe und Buh-Rufe nicht zu Wort kommen und forderte „Wir wollen den Barlach sehen!“, was die Ordnungskräfte der „Freien Volksbühne“ erfüllten.

Bei den nun wieder autauchenden großen Bildern, in denen das Volk in Wirtshausszenen am Anlegeplatz des Elbdampfers porträtiert wird, dessen Ausbleiben wegen Schlechtwetters erst den Ausbruch norddeutscher Leidenschaften zwischen dem Selbstmörder und dem Brautpaar möglich macht, zeigt die Inszenierung Barlachs von der besten Seite. Wie in alten Gemälden setzt Krämer in den großen Gruppenbildern auf wirkungsvolle optische Arrangements mit einseitigem Gaslicht und scharfen Schatten in den Gesichtern der Darsteller und gleicht so die Mängel des Dramatikers mit den Qualitäten des Bildhauers Barlach aus.

Susanne Raubold