Sonnenglut im Reagenzglas entfacht?

Stimmt die Behauptung der Elektrochemiker Stanley Pons und Martin Fleischmann, daß ihnen die „kalte Kernfusion im Reagenzglas“ gelungen ist, dann wäre die Energiefrage für alle Zeit gelöst / Doch der rund um die „sensationelle Entdeckung“ entbrannte Expertenstreit gibt eher Anlaß zur Zurückhaltung  ■  Von Y. Röcker u. G. Rosenkranz

Die „Scientific community“ ist geschockt und irritiert, gespannt und aktiviert wie selten in den vergangenen Jahrzehnten. Seit kurz vor Ostern die beiden Eletrochemiker Martin Fleischmann von der englischen Southhampton University und Stanley Pons von der University of Utah via 'Wallstreet Journal‘ mitteilen ließen, ihnen sei die „Kernfusion im Reagenzglas“ gelungen, herrscht in den Physik - und Chemielabors rund um den Globus helle Aufregung. Mit wechselnden, aber stets interpretationsbedürftigen Ergebnissen wird seither von Brasilien bis Ungarn, von der DDR bis Japan, in den USA und der Sowjetunion und natürlich auch in der Bundesrepublik und West-Berlin versucht, das Experiment zu wiederholen. Einigkeit konnte bis heute nur über eines erzielt werden: Behalten Fleischmann und Pons recht, ist ihnen der Nobelpreis sicher, erweist sich ihre „kalte Fusion“ als Flop, verschwinden sie als Schmuddelkinder der Wissenschaft von der Bildfläche.

Das Spektakel um die kalte Fusion ist verständlich, denn es spielt vor einer ausgesprochen aufwendigen Kulisse: Seit Jahrzehnten fließen Milliarden Dollar, Mark, Yen und Rubel in den Versuch, auf der Erde das zu erzwingen, was die Sonne uns vormacht und womit sie unseren Planeten seit Jahrmillionen am Leben erhält: Die Verschmelzung von Atomkernen des Wasserstoffs bzw. seiner Isotope Deuterium oder Tritium. Bei den Kernreaktionen werden gewaltige Energiemengen freigesetzt, die es dann „nur“ noch zu bändigen gilt. Gelänge dies, wären alle Energieprobleme gelöst. Doch die Menschheit ist weit - mindestens ein halbes Jahrhundert - davon entfernt, eine kontrollierte „heiße“ Kernfusion zur Energieerzeugung in Gang zu setzen. Unkontrolliert gelang das Vorhaben bereits im Herbst 1952: Damals zündeten die USA erstmals eine Wasserstoffbombe und läuteten so eine weitere Runde des Wettrüstens zwischen Ost und West ein.

Es ist also keineswegs verwunderlich, daß Fleischmann und Pons‘ Behauptung einer Kernfusionsreaktion bei Raumtemperatur, erzeugt in einer Apparatur nicht größer als ein Whiskeyglas, nicht nur die Fachwelt elektrisiert. Dabei ist selbst für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Interpretation des amerikanisch-britischen Forscher-Duos am Ende Bestätigung findet, keineswegs abgemacht, daß eine auf diese Weise ausgelöste Kernverschmelzung überhaupt einen Beitrag zur Energieversorgung wird leisten können. Denn daß mehr Energie dabei herauskommt, als hineingesteckt wurde, bezweifeln auch solche Wissenschaftler, die die kalte Fusion grundsätzlich für möglich halten.

Em*c2: Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat, so lautet jene fundamentale Beziehung zwischen Masse und Energie, mit der ihr Entdecker, Albert Einstein, das Newtonsche Weltbild revolutionierte und zu einem der größten Physiker aller Zeiten wurde. Sowohl bei der Kernspaltung als auch bei der Kernfusion wird quasi begleitend Energie in Masse umgewandelt. Die Kernspaltung schwerer Atomkerne, wie etwa Uran oder Plutonium, dient in Atomkraftwerken zur Energiegewinnung. Problem: Die sichere Kontrolle der ablaufenden Kettenreaktionen - die in der unkontrollierten Variante auch für die verheerende Sprengkraft von Atombomben verantwortlich sind -, die Abschirmung der Strahlung und schließlich der vollständige Einschluß der Spaltprodukte und der radioaktiven Abfälle über Jahrtausende. Als Vorteil der bisher nur theoretischen Möglichkeit der Energiegewinnung durch die Verschmelzung leichter Atomkerne gilt, daß einer der denkbaren „Brennstoffe“, das Deuterium (Wasserstoff, der zusätzlich zum Proton im Kern ein Neutron enthält), als Bestandteil des Meerwassers praktisch unbegrenzt aus den Weltmeeren gewonnen werden kann.

Mehr noch ist es jedoch eine zweite Eigenschaft, mit der die hierzulande mehrheitlich atomkritische Bevölkerung auf dieses neue gigantische Unternehmen (Forschungsminister Riesenhuber veranschlagt jährlich 280 Millionen Mark für die Fusionsforschung, das entspricht dem Gesamtaufwand für die Erforschung aller alternativen Energieträger) eingestimmt werden soll: Man habe es mit einer „sauberen Art der Energiegewinnung“ zu tun, versprach bereits vor Jahren optimistisch und von Sachkenntnis unbelastet der innovative CDU-Professor Kurt Biedenkopf. Bei der Verschmelzung von Wasserstoffatomen werde „eine enorme Kraft aber keine Radioaktivität freigesetzt“. Biedenkopfs Behauptung ist schlicht falsch. Denn in einem künftigen Fusionsreaktor würde die bei der Kernverschmelzung entstehende Neutronenstrahlung hohe Energie die Reaktorwände und -einbauten binnen kürzester Zeit in strahlende Materie verwandeln. Unter dem Beschuß der Neutronen werden die zunächst nichtstrahlenden Bestandteile der Reaktorkonstruktion in oft langlebige radioaktive Elemente zersetzt. Wie in konventionellen Atomspaltungsreaktoren ist das Reaktorinnere für den Menschen dann nicht mehr zugänglich. Auch das Problem der Endlagerung der strahlenden Konstruktion wäre problematisch.

Fusionsreaktor frühestens 2050

In den fünfziger Jahren, als die Kernfusion als unerschöpfliche Energiequelle erstmals ernsthaft diskutiert wurde, glaubte man betriebsfertige Fusionsreaktoren bis Ende der siebziger Jahre entwickeln zu können. Heute spekulieren die Wissenschaftler vorsichtig auf die Mitte des nächsten Jahrhunderts. Die Probleme scheinen schier unüberwindbar. Warum? Um die starken abstoßenden Kräfte zwischen den positiv geladenen Atomkernen zu überwinden, müssen drei extreme Grundbedingungen gleichzeitig erfüllt sein.

Erstens: Temperaturen von über 100 Millionen Grad, zweitens eine Dichte von 1014 bis 1015 , (d.h. eine „Eins“ mit 14 bzw. 15 Nullen) Teilchen pro Kubikzentimeter. Drittens muß diese unvorstellbare Zustand über eine gewisse Zeit aufrecht erhalten bleiben. Nur dann ist eine kontinuierliche, also sich selbst erhaltende heiße Fusionsreaktion denkbar. Bis heute ist das nicht gelungen, obwohl gewaltige Großforschungsanlagen, etwa der sogenannte Joint European Torus (JET) im englischen Culham oder das Plasma Physics Laboratory der US-amerikanischen Princeton University und ähnliche Versuchsanlagen in der Sowjetunion und in Japan mit Milliardenaufwand eigens für diesen Zweck errichtet wurden.

Weil alle verfügbaren Werkstoffe bereits bei vergleichsweise mickrigen Temperaturen von einigen Tausend Grad verdampfen würden, muß mit Spulenstrom von 66.000 Ampere ein Magnetfeld erzeugt werden, um das Wasserstoff-Gas zu verdichten. In diesem Zustand schwebt die heiße Suppe aus freien Elektronen und „nackten“ Atomkernen, ohne die Gefäßwand zu berühren. Das erzeugte Magnetfeld ist 100.000mal größer als das der Erde.

Ein Kochrezept zur „kalten“ Fusion

Zurück zu Pons und Fleischmann. Ihr Versuchsaufbau ist so trivial wie ein Kochrezept: Man nehme schweres Wasser (D2O, in dem der Wasserstoff des normalen Wassers, H2O durch Deuterium-Atome ersetzt ist), tauche zwei Elektroden aus den Edelmetallen Platin und Palladium hinein und lege eine Gleichspannung an. Das Schwere Wasser spaltet sich: Am Minus -Pol aus Palladium entwickelt sich zunächst Deuterium-Gas (D2), am Plus-Pol aus Platin Sauerstoff. Doch dieser Elektrolyse genannte Prozeß ist nicht alles, was geschieht. Seit fast hundert Jahren ist eine wichtige Eigenschaft des Palladiums bekannt: Das Metall saugt sich unter bestimmten Bedingungen mit Wasserstoff oder in diesem Fall Deuterium regelrecht voll. Feinverteiltes Palladium kann das 870fache seines eigenen Volumens an dem Gas aufnehmen. Dabei streifen die Wasserstoff- oder Deuterium-Atome ihre Elektronen ab und besetzen als nackte Kerne die Lücken im Palladium. Dann wird es natürlich eng, oder wissenschaftlich ausgedrückt: Der Deuterium-Druck im Palladium entspricht, so haben es Fleischmann und Pons überschlägig berechnet, der unvorstellbaren Größe von 1026 Atmosphären (eine „Eins“ mit 26 Nullen). Ein solcher Druck wäre auch bei Raumtemperatur theoretisch imstande, die Abstoßungskräfte zwischen einigen positiv geladenen Deuterium-Kernen zu überwinden und Verschmelzungsreaktionen auszulösen. Daß tatsächlich Kernfusionen stattgefunden haben, schlossen Fleischmann und Pons aus dem Umstand, daß eine ihrer Palladium-Elektroden im Verlauf des Versuchs aufschmolz (Schmelzpunkt bei 1.552 Grad Celsius). Gleichzeitig habe man die bei Fusionsreaktionen erwartete Neutronenstrahlung gemessen. Ihr Pegel sei um einen Faktor drei höher gelegen als die stets vorhandene (natürliche) Strahlung, der sogenannte „Untergrund“.

Die meisten Wissenschaftler sind inzwischen zu dem englisch -amerikanischen Gespann auf Distanz gegangen. Für die gemessenen Effekte könnten ebensogut andere Vorgänge verantwortlich sein, heißt es. Zu den Skeptikern sind auch jene Wissenschaftler von der Freien Universität (FU) und vom Hahn-Meitner-Institut (HMI) in Berlin zu zählen, die ungewöhnlich genug - ihre Einschätzung gegenüber VertreterInnen der Presse zum besten gaben.

Professor Armin Henglein, Strahlenchemiker am HMI, kennt Fleischmann als soliden Wissenschaftler. Er müsse wohl seine Gründe haben, derart aufsehenerregende, aber eben auch fragwürdige Ergebnisse in diesem Stadium zu veröffentlichen, mutmaßt Henglein und zeigt damit mehr Wohlwollen als beispielsweise der Kernphysiker Professor von Oertzen und Dr. Bertschat vom HMI. Die beiden Herren konnten sich anläßlich des Pressetermins nur mit sichtlicher Mühe zurückhalten, das Ganze nicht gleich als baren Unsinn zu verwerfen. Ihr Hauptargument: Würde Fleischmanns Interpretation der beobachteten Wärmeentwicklung zutreffen, müßte die mit ihr einhergehende Neutronenstrahlung enorm sein. Fraglich ist, ob die Sensationsforscher ihr Experiment dann überhaupt hätten überleben können. Zuviel Wärme, zuwenig Strahlung, diesen Widerspruch bestätigt auch Professor Weidinger, Festkörper-Physiker am HMI: „Die Neutronen-Strahlung war millionenfach geringer, als man aus der Wärmeentwicklung erwarten würde.“ Das sehen auch Pons und Fleischmann so, ohne in ihrer inzwischen im 'Journal of Electroanalytical Chemistry‘ erschienenen Arbeit eine Erklärung anbieten zu können. Eine mögliche Erklärung glauben Chemiker der FU Berlin gefunden zu haben. Deuterium und Sauerstoff könnten insbesondere bei dem im Verlauf des Experiments sinkenden Schwerwasser-Spiegel unter der Wirkung des Palladiums „rekombinieren“ und wieder Schweres Wasser bilden. Zu gut deutsch: Eine schlichte Knallgasreaktion könnte die Ursache für die Wärmeentwicklung sein.

Der renommierten, in London erscheinenden Fachzeitschrift 'nature‘ war die Geschichte denn auch zu heiß. Um ihren guten Ruf besorgt, schickten die Briten die Arbeit von Pons und Fleischmann zunächst einmal, gespickt mit Detailfragen, an die Absender zurück. Die verzichteten daraufhin vorläufig auf die Veröffentlichung.

Inzwischen reißen Wissenschaftler-Kollegen aus aller Welt fast täglich neue Lücken in das Interpretationsgebäude des amerikanisch-britischen Forscher-Duos. Die vorgebrachten Argumente sind vielfältig, das Ergebnis ist fast immer dasselbe: Pons und Fleischmann hätten nur „Schmutzeffekte“ gemessen, ihre Entdeckung sei Resultat mangelnder Sorgfalt. In den USA erteilte nach anfänglicher Unsicherheit schließlich Anfang Mai die Creme der amerikanischen Naturwissenschaftler die fast endgültige Absage. Nichts an dem Experiment deute bisher daraufhin, erklärte am Rande der Frühjahrstagung der „American Physical Society“ ein Chemiker des California Institute of Technology, „daß irgendetwas anderes passiert ist als konventionelle Chemie“. Und Ronald Parker, seines Zeichens Direktor des Zentrums für Plasmaphysik am Massachusetts Institute of Technology, meinte: „Die Leute wollen das glauben, aber wir haben keinerlei Hinweis auf unbekannte Kernprozesse.“

Wissenschaftler-Rivalitäten und viel Geld

Eingemischt hat sich auch jetzt der international renommierte Physiker Peter Hagelstein. Er rühmt sich, mit quantenmechanischen Eigenschaften des Palladiums die kalte Fusion theoretisch erklären zu können. Sein Geheimnis wird jedoch noch nicht gelüftet. Hagelstein meldet erst mal Patent an. Aussicht auf wissenschaftliche Anerkennung haben derzeit die Physiker Steven Jones von der Brigham Young University und John Rafelski von der University of Arizona, die bei einem ähnlich angelegten Experiment ebenfalls Kernfusions-Reaktionen entdeckt haben wollen, allerdings ohne die von Pons und Fleischmann beobachtete Wärmeentwicklung und mit einer Neutronenstrahlung, die nur wenig über dem natürlichen „Untergrund“ lag. Die gemessene Neutronen-Strahlung lag an der Ja/Nein-Grenze. Professor von Oertzen hält die Überlegungen von Jones und Rafelski für bedeutungsvoll. Ähnlich müssen es wohl auch die 'nature' -Gutachter sehen. Sie hoben die Arbeit im Gegensatz zu der von Fleischmann und Pons unbeanstandet ins Blatt.

Bleibt die Frage, warum sich angesehene Wissenschaftler dazu haben hinreißen lassen, mit unausgegorenen Ergebnissen an die Weltöffentlichkeit zu treten. Seit mehreren Wochen schon tobte zwischen der Universität von Utah, der Fleischmann angehört, und der Brigham University, wo Jones im Sold steht, ein (Patent-)Streit darüber, wer als erster die sensationelle Entdeckung gemacht hat. Pikantes aus der Tratschecke: Jones soll zu jenen Gutachtern gehört haben, die über einen Forschungsantrag von Pons und Fleischmann zu entscheiden hatten - und ablehnten. Die griffen daraufhin zur Finanzierung ihrer Experimente zunächst in die eigene Tasche und dann zum Mittel der Öffentlichkeit.

Am Ende könnte sich der finanzielle Erfolg der beiden Elektrochemiker umgekehrt proportional zu ihrem wissenschaftlichen Ansehen entwickeln. Nachdem Pons und Fleischmann ihre Arbeiten vor einem Unterausschuß des Repräsentantenhauses in Washington erläutert hatten, beantragte eines der Ausschußmitglieder, noch in diesem Jahr 25 Millionen Dollar für die Forschungen bereitzustellen trotz der Zweifel an der Seriösität der Ergebnisse. Der Preis für das Edelmetall Palladium, der nach den ersten Meldungen von 28 auf 168 Dollar pro Unze geschnellt war, ist - so ist zu hören - inzwischen auf Talfahrt.

Bleibt das Schlußwort von HMI-Pressesprecher Robertson: „Die Sehnsucht nach einer billigen, sauberen und unerschöpflichen Energiegewinnung ist groß. Tatsächlich aber ist unsere Energiegewinnung teuer, erschöpflich, gefährlich und schmutzig.“