Südseezaubereien

■ Inseln der Illusion - Briefe aus der Südsee

Die Südsee, sie ist seit jeher Inbegriff jener Träume vom Paradies, wo das Leben leicht, die Natur üppig und die Menschen sanft und sinnlich sind. Seefahrer wie James Cook oder John Franklin haben davon geschwärmt, der berühmte Bounty-Meuterer Fletcher Christian setzte gar Leben und Karriere aufs Spiel, um dort zu bleiben. Stummfilmstar Robert Flahery besetzte seine exotischen Naturdramen mit Inselbewohnern als den idealen Schauspielern und Gauguin entdeckte sie als vollendete Modelle seiner Malkunst. Am Anfang diesen Jahrhunderts zieht es wieder einen Engländer namens „Fletcher“ in die Südsee.

Robert James Fletcher macht sich - seines Lebens in Europa überdrüssig - 1912 auf den Weg zu den Neuen Hybriden. Dort angekommen ist er erst mal mächtig enttäuscht. Statt des ersehnten Paradieses trifft er auf Moskitoschwärme, Fieberplagen und Menschen, die ihn, den häßlichen Weißen, nicht sonderlich mögen. Trotzdem schlägt er sich über acht Jahre auf der Insel Vanuatu wechselweise als Dolmetscher, „Landvermesser“ und Plantagenaufseher durch. Er nimmt sich eine schwarze Frau. Sie fasziniert ihn, weil sie schon einmal ein klitzekleines Stückchen von einer gebratenen Missionarshand probiert hat.

Wahrscheinlich wäre Fletcher längst vergessen, hätte er nicht ein Reisetagebuch hinterlassen, das zwei zeitgenössischen Filmemachern in die Hände fiel. Diese Sammlung von Briefen bildet die Grundlage für das Drehbuch von Jobst Grapow, das Herbert Brödl mit Unterstützung von HR, BR und ORF verfilmt hat. Er schickt den Schauspieler Ulrich Wildgruber auf den Spuren Fletchers ins Inselreich der Südsee. Wildgruber begibt sich auf die Suche nach Zeitzeugen, während er unablässig aus Fletchers Aufzeichnungen zitiert oder frei assoziiert. Die Zeugen scheinen rar, und wenn er welche findet, dann sind sie meist schweigsam oder mißgestimmt wie der 120jährige Greis, der den neugierigen Weißen (Wildgruber) nicht sehen will. Er läßt ausrichten, daß mit Fletcher wohl jener „Landvermesser“ gemeint sei, der damals mit seinen Instrumenten den Leuten das Land weggezaubert hat. So war er also.

Im Film verliert sich Fletchers Geschichte immer wieder. Währenddessen sonnt sich Wildgruber in der Rolle des Wiederauferstandenen und übernimmt Fletchers Sichtweise. Wenn er über die Menschen spricht, werden koloniale Klischees erneut stapaziert. Als nicht sehr anhänglich oder besitzergreifend beschreibt er sie. Tägliche Verrichtungen hätten keine Wichtigkeit und ihre ständige Sehnsucht gilt dem Wasser und „den flüsternden Palmen gegen den Passatwind“.

Zum Glück hat der Film auch noch andere Seiten. Immer dann, wenn Brödl abschweift, um den Alltag der Inselbewohner zu beobachten, wird es wirklich interessant. Denn „die Wilden“ strahlen diese Ruhe und Magie tatsächlich aus, die Fletcher alias Wildgruber immer wieder beschwört. Andererseits sind die Menschen aber auch durchaus realistisch. Ein Busfahrer hat an die Fenster seines Transporters einen Aufruf gegen Atombombenversuche geschrieben und die Frau des verstorbenen Fletchersohnes verlangt reale 50 Dollar für die Besichtigung des Grabes.

Brödls Fernsehfilm spielt mit der Südseeromantik, aber er er stellt sie nicht wirklich in Frage. Der Eingeborene bleibt das eigenartige, wilde Geschöpf, bei dem man nie ganz sicher sein kann, ob er im nächsten Moment nicht zubeißt. „Ich werde niemals ihren Geruch vergessen, ihren süßen Atem... Ich muß meiner (weißen) Frau davon erzählen“, sagt Wildgruber zum Abschied. (23 Uhr, ARD)

-utho