: Wer hat Angst vor Karajan?
■ Auch nach seiner Kündigung vom 24. April wird der „Größte Dirigent aller Zeiten“ vom Berliner Kultursenat und den Philharmonikern mit Samthandschuhen angefaßt
Christiane Peitz
Eigentlich ist alles in bester Ordnung. Das Berliner Philharmonische Orchester kann erleichtert aufatmen und sich in Ruhe einen neuen Chefdirigenten suchen, der, anders als Karajan, seinen Aufgaben auch nachkommt. Karajan selbst kann endlich soviel beziehungsweise sowenig gastdirigieren, wie er will - schließlich ist der Mann 81 Jahre alt, und wer wollte es ihm da nicht vergönnen, sich allmählich auf sein wohlverdientes Altenteil zurückzuziehen. Die Stadt Berlin kann anstelle der seit Jahren gepflegten Karajankultpolitik wieder zu vernünftiger Kulturpolitik in Sachen Berliner Philharmoniker zurückkehren, und das Orchester kann endlich außer Japan, Salzburg und Luzern wieder die Bundesrepublik und das europäische Ausland bereisen, ohne jede Rücksicht auf die Kapriolen und Krankheiten des Meisters. Auch die seit Jahren überfällige Israelreise, die im Koalitionspapier von SPD und AL bereits versprochen ist, dürfte nun kein Problem mehr sein.
Alles in Ordnung? Spricht man mit den Betroffenen und Beteiligten, scheint eher das Gegenteil der Fall. Obwohl Karajans Kündigungsschreiben das Orchester und die Stadt einmal mehr offen brüskierte, obwohl die Kultursenatorin sich statt einer Begründung für Karajans Schritt mit einem Handkuß begnügen müßte, obwohl auch die eilends nach Salzburg gereisten dienstältesten Philharmoniker ihren Bittbrief nur der Sekretärin aushändigen durften, ist niemand empört oder beleidigt ob der öffentlich ausgeteilten Ohrfeigen. Nicht einmal Erleichterung wird hörbar.
Dabei hat der Größte Dirigent aller Zeiten mit seinem lapidaren Kündigungsbrief nicht nur Berlin und die Philharmoniker gedemütigt - letztere wurden nicht einmal benachrichtigt, und schließlich kündigt er seinen Hauptjob, während er anderswo seine Tätigkeiten erhöht -, er hat auch schlicht gelogen. Seine beleidigte Anmerkung, daß er auf die wiederholte Bitte an den Kultursenat, doch seine Pflichten und Rechte „grundsätzlich“ festzulegen, nie eine Antwort bekommen hätte, ist einfach falsch. Exkultursenator Hassemer windet sich zwar, als ich ihn frage, ob Karajan denn recht habe, und betont mit nicht zu überhörendem Stolz, im Gegensatz zu seiner Nachfolgerin habe er eben gewußt, wie man mit dem Genie umgehen müsse. Wenn Karajan wieder einmal verstimmt war, sei er sofort ins Flugzeug gestiegen und habe ihn vor Ort in Salzburg oder wo auch immer besänftigt. Nur so habe er erreichen können, daß Karajan zu Beginn der laufenden Saison seinen vertraglichen Verpflichtungen (sechs Doppelkonzerte in Berlin) auch nachgekommen sei. Schriftliche Antworten erübrigen sich da.
Die Version seines Exstaatssekretärs von Pufendorf klingt etwas anders. Immer wieder, so bestätigt er am Telefon, habe er Karajan seinen Vertrag in Kopie ausgehändigt. Im vergangenen Mai habe er ihm sogar einen achtseitigen Brief geschrieben, in dem er noch einmal Punkt für Punkt die Rechte und Pflichten des Chefdirigenten dargelegt habe. Karajan verlangt also eine Klärung, wo es gar nichts zu klären gibt, spätestens seit 1984 nicht mehr, als nach den Auseinandersetzungen um die Klarinettistin Sabine Meyer und nach der Entlassung von Karajans Lieblingsintendanten Peter Girth sämtliche Streitfragen in einer Zusatzerklärung gelöst worden waren. Dort hieß es unter anderem, daß Gastspielreisen wie im früheren Umfang durchgeführt werden müssen, auch wenn Karajan nicht kann, und daß bei Probespielen, wenn der Chef nicht anwesend ist, das Orchester entscheidet. Warum also stellt die neue Kultursenatorin nicht öffentlich klar, daß es keineswegs ihre schnoddrige Art war, die Karajan zur Kündigung veranlaßte - wie aus CDU-Kreisen verlautet? De facto hat Karajan wohl spätestens beim Senatswechsel begriffen, daß er seinen lange gehegten und von Hassemer zum Glück nie erfüllten Wunsch nach Vertragsänderung vergessen kann und daß er das Orchester endgültig nicht als willfähriges Instrument zur eigenen, absolutistischen Verfügung haben wird. Es fragt sich auch, warum niemand sich mehr daran erinnert, wie oft Karajan seinerseits seinen Vertrag gebrochen hat. Während der Ära Girth war es ihm gelungen, sich entgegen seinen vertraglichen Verpflichtungen von den Abonnementskonzerten freizumachen und seine Auftritte in Berlin auf abonnementfreie Konzerte zu reduzieren. Zwar berichtete die Berliner Presse seinerzeit über diesen Coup, aber die öffentliche Reaktion blieb aus; der Vertragsbruch wurde seitdem stillschweigend geduldet. Darüber hinaus sagte er auch diese wenigen Berliner Konzerte immer mal wieder kurzfristig ab. Silvester 86 zum Beispiel und, wegen Darmgrippe, das E88-Eröffnungskonzert. Am Tag danach jettete er, flugs wieder gesundet, nach Japan und feierte dort Triumphe.
Alice Übe, die persönliche Referentin der neuen Kultursenatorin, will von diesen Fragen nichts wissen. Sie wolle und könne mir zwar nichts vorschreiben, aber in dieser hochempfindlichen Angelegenheit sei es am besten, wenn in zwei Wochen niemand mehr von Karajans Kündigung rede. In der Vergangenheit zu wühlen, hält sie zum jetzigen Zeitpunkt für einen ganz großen Fehler. Auch Herr Mehlitz, der Musikbeauftragte des Senats, möchte mir den Pufendorf-Brief nicht zur Verfügung stellen. Das habe erstens Datenschutzgründe, denn dort sei ja der Vertrag zitiert, und der ist und bleibt wohl „top secret“, und zweitens könne er grundsätzlich nur auf höhere Weisung handeln. Wenn Herr von Pufendorf ihn um eine Kopie bitte, sei das etwas anderes. Aber von Pufendorf ist nach dem Senatswechsel außer Dienst und meint, das dürfe er gar nicht. So versteckt sich einer hinter dem anderen, als übe Karajan über alle Parteigrenzen hinweg nach wie vor eine geheimnisvolle Macht aus.
Immerhin ist ein wenig von dieser Macht in jüngster Zeit hin und wieder sichtbar geworden. Als der 'Spiegel‘ vor einem Jahr die finanziellen Machenschaften von Karajans und der weltweit größten E-Musik-Agentur „Cami“ mit seinen Agenten Wilford und Gelb offenlegte, war alle Welt empört. Hassemer selbst maßregelte den Dirigenten und sagte kurzerhand die für den Herbst geplante USA-Tournee ab. Momper forderte vom Senat Härte gegenüber Karajan. Und die AL, die sich zur Zeit öffentlich ausschweigt, sprach zum wiederholten Mal von der offensichtlich notwendigen Trennung zwischen Karajan und Orchester.
Solch harsche Töne sind jetzt nicht mehr zu hören. Dabei wurde „die Geschichte mit Taiwan“ seinerzeit keineswegs „vollständig aufgeklärt“, wie Lutz von Pufendorf in einem 'Berliner Morgenpost'-Interview behauptete. Die Tourneeverträge haben dem Intendanten der Philharmoniker, der für solche Vertragsabschlüsse eigentlich zuständig ist, niemals vorgelegen. Über die ebenfalls im 'Spiegel‘ erwähnten Summen, die Japan für die Tournee hinter den Kulissen hinblättern mußte, ist bis heute nichts bekannt. Ganz abgesehen davon, daß sich die Stadt Berlin bei den taiwanesischen Veranstaltern, immerhin einer Regierungsinstitution, für die überhöhten Forderungen von seiten Gelbs (600.000 Mark Honorar und der Kauf von zehn Videofilmen zum Stückpreis von 35.000 Dollar) niemals entschuldigt hat. Auch die längst überfällige Israelreise des Orchesters ohne Karajan (der wegen seiner Nazivergangenheit in Jerusalem nicht erwünscht ist) fand selbst im letzten Herbst nicht statt: Die Gedenkfeierlichkeiten zur „Reichskristallnacht“ wären ein guter Anlaß gewesen. Anstelle der USA-Tournee ging es nach Spanien. Hassemer beteuert in diesem Zusammenhang, daß ihm nie eine offizielle Einladung aus Israel vorgelegen habe und daß selbst der Zentralratsvorsitzende und Chef der Berliner Jüdischen Gemeinde, Galinski, keinen Keil zwischen Orchester und Karajan treiben wolle. Was absurd ist, denn erstens braucht die Stadt nicht Herrn Galinski vorzuschieben, wenn sie kulturpolitisch Wichtiges aus Rücksicht auf den Maestro versäumt.
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