„Hier haben die Krähen noch eine Domäne“

■ Interview mit dem Dortmunder Rechtsanwalt Christoph-M. Stegers, Verteidiger in vielen Arzt-Haftungsprozessen, über die Chance von geschädigten Patienten, vor Gericht Recht zu bekommen / Freisprüche und Einstellung der Verfahren als Regel

Das milde Urteil im Prozeß gegen den Hamburger Orthopädieprofessor Rupprecht Bernbeck ist von den betroffenen PatientInnen mit Empörung aufgenommen worden. Die hohen Geldsummen, die sie in einem früheren Vergleichsverfahren vom Hamburger Senat und der Allianz -Versicherung erhalten haben, können sie für ihre Verkrüpplungen nicht „entschädigen“. Im Gespräch mit der taz erläutert der Dortmunder Rechtsanwalt Christoph-M. Stegers, warum Ärzte in Strafprozessen so gute Chancen haben.

taz: Muß der Arzt hierzulande den Staatsanwalt fürchten?

Stegers: Nein. Die Verurteilungsquote beim Vorwurf eines Behandlungsfehlers liegt unter zehn Prozent, und die Einstellungsquote etwa wegen mangelnden Tatverdachts oder Geringfügigkeit ist überdurchschnittlich hoch. Bewährungs oder Haftstrafen im Zusammenhang mit Kunstfehlerprozessen sind mir persönlich überhaupt nicht bekannt. Eher muß der Arzt im Falle eines solchen Prozesses schlechte Publicity und Umsatzverluste fürchten.

Das klingt, als wenn geschädigte Patienten gleich auf eine Strafanzeige gegen ihren Arzt verzichten können.

Zu Strafverfahren kann man den Leuten nur unter ganz eingeschränkten Kriterien raten: wenn der Fall gesundheitspolitische Dimensionen hat, beispielsweise bei einer Serientat oder schweren Organisationsmängeln, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen diesem Behandlungsfehler und dem Schaden klipp und klar auf der Hand liegt und der zivilrechtlich geltend zu machende Schaden eher gering oder schon reguliert ist. Sonst besteht die Gefahr, daß man sich für seine Schadensregulierung selbst einen Stein in den Weg legt.

Haben Patienten, an denen gepfuscht wurde, denn vor Zivilgerichten größere Chancen?

Ja. Denn in Zivilprozessen geht es eben doch nur um die Verteilung von Schadenslasten, also ums Geld, während im Strafverfahren sozusagen die gesamte Berufsehre auf dem Spiel steht.

Wo liegen die Hauptprobleme, einen Behandlungs- oder Kunstfehler nachzuweisen?

Erstens in der Materie selbst, denn es ist schon ein Unterschied, ob ich als Gewalttäter oder als Arzt zu Heilungszwecken mit dem Messer auf jemanden einsteche. Zweitens ist aber auch die Gutachterproblematik nach wie vor von großer Bedeutung.

Hackt noch immer eine Krähe der anderen kein Auge aus?

Im Strafverfahren haben die Krähen noch eine Domäne, obwohl sie ansonsten eine vom Aussterben bedrohte Art sind. Das liegt eben daran, daß es bei Strafprozessen hauptsächlich um das berufliche Ethos geht. Da scheinen die Krähen noch ihr Futter zu finden beziehungsweise wollen Nestverschmutzung vermeiden. Wenn also an die Sachverständigen nicht die richtigen Fragen gestellt werden, erlahmt auch schnell deren Erkenntnisinteresse. Und so kommt es dann, daß sich durch geschickte Weichenstellungen der Gutachter theoretisch mögliche, vor allem aber entlastende Geschehensabläufe auf einmal zu richterlichen Zweifeln verdichten und dann zu Freisprüchen oder Einstellungen führen. Besonders schlimm ist es, wenn die Sache vor dem Amtsgericht verhandelt wird. Die überforderten Einzel- oder Schöffenrichter sind nur allzu froh, wenn sie den Fall mit einem simplen Einstellungsbeschluß erledigen können.

Sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten?

Es wäre sinnvoll, bei den Staatsanwaltschaften entsprechende Spezialabteilungen einzurichten und dort laufend medizinische Fortbildung zu betreiben. Heute sind die Staatsanwälte viel zu schnell bereit , auch schwere Fälle bei hinreichendem Tatverdacht vor der Hauptverhandlung einzustellen. Manch ein Patient empfindet das wie eine zweite Beleidigung. Aber die Staatsanwälte können sich mit Kunstfehlerprozessen eben keine Lorbeeren verdienen, weil bekannt ist, daß die Freispruchsquote so hoch ist.

Das Gespräch führte Gabi Haas