Runder Tisch für Kosovo

■ Zeichen für Demokratisierung in Jugoslawien mehren sich

Noch vor wenigen Tagen war die Situation in der mehrheitlich von Albanern bewohnten und zur Republik Serbien gehörenden Provinz Kosovo zum Zerreißen gespannt. Fast täglich wurden durch Einheiten der serbischen Polizei Albaner erschossen, offensichtlich mit dem Ziel, die Bevölkerung zu militanten Gegenreaktionen zu provozieren. Diese Stratategie der serbischen Nationalisten, die in dem serbischen Parteichef des Bundes der Kommunisten, Milosevic ihren Rückhalt haben, war nicht erfolgreich. Sie scheiterte an der festen Haltung der albanischen demokratischen Bewegung, die trotz der Repression kühlen Kopf bewahrte und einzig zu passivem Widerstand aufrief - mit ausdrücklichem Hinweis auf den Erfolg der Demokratiebewegung in der DDR und der CSSR. Wenn heute die ersten Gespräche am Runden Tisch zur Schlichtung des Nationalitätenkonfliktes beginnen können, dann zeichnet sich auch in Jugoslawien der Triumpf der friedlichen und intelligenten Revolution gegenüber der mit der nationalistischen Karte spielenden kommunistischen Parteiführung in Serbien ab.

Denn diese Gespräche werden nicht nur die mit nationalistischen Parolen aufgeputschte serbische Öffentlichkeit zu einer Rückkehr zu politischer Rationalität zwingen. Sie sind ein Zeichen für die Demokratisierung des gesamten Staates Jugoslawien. Angesichts der einschneidenden Wirtschaftskrise und dem dramatischen Absinken des Lebensstandards fast aller Bevölkerungsschichten im ganzen Land bleibt auch der Belgrader Bundesregierung unter Ante Markovic nichts anderes mehr übrig, als über einschneidender Wirtschaftsreformen bis hin zur Marktwirtschaft nachzudenken. Und diese Wirtschaftsreformen können nur über einen gleichzeitig stattfindenden Prozess der Demokratisierung durchgesetzt werden. Daß dabei auch manche auf dem Papier ganz gut aussehende Mitbestimmungsrechte im Selbstverwaltungskommunismus auf der Strecke bleiben werden, berührt die Masse der Arbeiter kaum noch. In Wirklichkeit herrscht auch in den jugoslawischen Betrieben die Bürokratie des Staates und der Partei, mit den bekannten Folgen.

Jahrelang haben die nationalistischen Auseinandersetzungen im Vielvölkerstaat die Diskussion um die wirklichen Probleme der Gesellschaft überlagert. Die Gespräche am Runden Tisch über Kosovo könnten der Schlüssel dafür sein, auch in Jugoslawien einen Prozess einzuleiten, in dem ernsthaft über die Zukunft des Landes diskutiert wird. Darüber, wie die marode Wirtschaft modernisiert werden kann, wie die Folgen dieser Modernisierung und die jetzt schon um sich greifende Arbeitslosigkeit sozial abgefedert werden könnte.

Erich Rathfelder