Es lebe die Satire!

■ Das piekt und kratzt. Haut und sticht. Das setzt Lachmuskeln in Aktion. Oder verrunzelt Stirnen...? Das macht Widerhäkchen fest. Oder läßt befreit drauflosprusten. Verursacher: 69 Karikaturisten und Pressezeichner aus Berlin und Nordbezirken eröffnen heute 11 Uhr ihre „Karigrafie '90“ unterm Fersehturm.

Kein Kahlauer, sondern ein echter „Kühlower“ (Eddi Kühlow, Berliner Satiriker und Karikaturistenförderer): „Satire übertreibt, maßlos. Aber det Leben ist ville schlimma...“ Wer hätte der schmerzhaften Erkenntnis was hinzuzusetzen, seit Ex-Stasi-Chef Mielke sein „Ich liebe Euch doch alle...“ verkündete. Das schien der Todesstoß für DDR-Satiriker zu sein, denn Steigerung nicht möglich. Aber Satire ist zäh, gottlob. Und auch nicht totzukriegen von humorlosen Oberzensoren wie Dr. Christian Hartenhauer, weiland Kulturstadtrat, nunmehr Berlins Oberbürgermeister in einsamer Kandidatur. Im Sommer '89, bei der damals obligatorischen kulturbürokratischen „Abnahme“ der Karigrafie (lange vor der „Wende“ also) ließ Hartenhauer das satirisch gepfefferte und gesalzene Katalog-Vorwort von Heinfried Henninger merzen und wies auch gleich einigen allzu unbotmäßigen Karis die Tür (statt des Katalogvorwortes gibts jetzt eine weiße Seite!)

Nun sind Satiriker zwar Idealisten, die Satire nur deshalb machen, weil sie sich beständig an der Realität wundstoßen, aber tolerant sind sie allemal. Also dürfen nun auch Wendehälse die satirische Galerie abschreiten und so tun, als würden sie befreit ablachen... Neue Nahrung für Satire jedenfalls gibts zuhauf. Da toben auf neuesten Blättern Wahlkampf, Quotierung, da buhlen die Wendehälse, da rumorts erneut in Stalins Sarge und wechseln die Stempelkissen in Bürokratenetablissements nur die Schreibtischplätze, da stinken ökologische und moralische Altlasten zum Himmel... Nein, die Satire ist nicht tot. Es lebe die Satire!

Ingeborg Ruthe