Die Wüste lebt

■ Theatralischer Systemvergleich in Marzahn

Thomas Gawlick

Während in Ost-Berlins Berufsbühnen noch um die Bewältigung der spätstalinistischen Vergangenheit mit den Mitteln des mehr oder weniger sozialistischen Realismus gerungen wird (Plenzdorfs „Kein runter, kein fern“ durfte gespielt werden, seine „Freiheitsberaubung“ nicht“), geht man in den vorstädtischen Großbauplatten-Betonwüste andere Wege: Die Theatergruppe des Klubs 2000 unter der Leitung von Horst Kolbe brachte am 22. Februar zwei beklemmend aktuelle Einakter des absurden Theaters östlicher Provenienz zur Aufführung.

„Striptease“ des Exilpolen Slawomir Mrozek paraphrasiert die kafkaeske Ohnmacht gegenüber einem willkürlichen Machtappparat: Zwei Männer finden sich unversehens in einem Verlies wieder. Der ältere glaubt, durch Handlungsverzicht wenigstens die innere Freiheit bewahren zu können, der jüngere versucht es mit Widerstand, was aber nur dazu führt, daß die beiden von einer stummen Hand mehr und mehr ihrer Freiheit in Gestalt ihrer Kleidungsstücke beraubt werden.

Dies versucht der Ältere sich durch vorauseilenden Gehorsam und pseodointellektuelles Gewäsch erträglich zu gestalten Kolbe selbst verkörpert diese Figur mit ausufernder, fast kabarettistischer Gestik; eine Gratwanderung zwischen überheblicher Gelassenheit und bitterer Selbstironie, die erahnen läßt, welches Ausmaß von„Zwiedenk“ und Rückgratverkrümmung für den sozialistischen Gang vonnöten war.

Das aktionistische Aufbegehren des Jüngeren, dargestellt von Andreas Keil, erstickt nicht nur unter äußerem Druck, sondern auch in seinem Körperpanzer; eine in Mimik und Sprechweise stimmige Figurenzeichnung. Das körperliche Unbehagen an derartiger, nicht bloß auf der Bühne anzutreffenden innerlichen Verkrampfung überträgt sich auf den Zuschauer und kulminiert in der speichelleckenden Unterwerfung der beiden unter die Hand.

„Das Kamel“ von Dumitru Solomon nimmt einen ähnlichen Verlauf. Ein gewiefter Verkäufer (Kolbe) versucht, einem Jugendlichen (Jens Hübner) statt des gewünschten Motorrads, „das es natürlich nicht gibt“, ein unsichtbares Kamel aufzuschwatzen. Neben Kolbes wieder recht dominantem Spiel fällt es Hübner schwer, seiner Figur Konturen zu verleihern, die Entwicklung vom Unentschlossenen, hinhaltend Widerstehenden zum glücklichen Kamelbesitzer bleibt zweifelhaft.

Mehrmals wird die Handlung von Musikeinblendungen unterbrochen, während derer die Akteure mit vergleichsweise unbeholfener Pantomimik des Verkäufers Einflüsterungen darzustellen versuchen. Origineller und überzeugender wirkt die Hereinnahme des Kung-Fu-Kämpfers zur Verdeutlichung des bedrohlich gehirnwäscheartigen Charakters der Manipulation. Daß es hier nicht nur ums planwirtschaftliche Weglügen leerer Regale geht, verdeutlicht das etwas plakative Einfügen des Wortes „Marktwitschaft“, wodurch Anklänge an Bedürfniserzeugung durch Werbung und Pseudobefriedigungmittel „junk food“ etc. entstehen.

Systemübergreifende Uniformiierungstendenzen suggeriert darüber hinaus die Wiederaufnahme des abschließenden Marschierens aus „Striptease“. Zudem gewinnt die Inszenierung dadurch an formaler Geschlossenheit. Die gespannte Anteilnahme des Publikums zeigt, daß absurdes Theater hier nicht als weltfernes Experimentieren oder Publikumsbeschimpfung verstanden wird, sondern als symbolisches Abbild gestörter Realität. Auch wenn man gelegentlich daran erinnert wird, daß es sich um eine Laienbühne mit beschränkten Mitteln handelt: Theater am Puls der Zeit. Und immerhin: Die Wüste lebt.

Die nächste Vorstellung im Klub 2000 in Marzahn (am Kino „Sojus“) ist am 22.März um 20 Uhr. Gastspiele in Westberlin und der BRD werden folgen. (Der Autor kommt aus Bonn, studiert zur Zeit an der Humboldt-Universität.)