Menschensucher

■ Kunstaktion und Grafikausstellung in der Berliner Galerie Baumschulenweg

Intermediales war angesagt. Eine Kunstaktion mit dem Titel „Momentmale“. Die Akteure: Fine Kwiatkowski, Tanz, Martin Müller, Grafik, Wilfried Staufenbiel, Violincello und Gesang.

Musiker, Tänzerin und Grafiker stehen in einem intuitiven Dreiecksverhältnis. Nur die Rahmenbedingungen der Aktion sind abgesprochen, alles andere zwischen diesen Dreien ist Improvisation, intensivste gegenseitige Inspiration. Einige der emotionalen und geistigen Vorgänge mögen nachvollziehbar sein anhand der Bilder, die Martin Müller während des Happenings mit Spritzpistole, Pinsel oder Stiften auf Leinwand oder Folie brachte, und die noch bis 30. März in der Galerie zu betrachten sind.

Ebenfalls ausgestellt sind viele der Fotos, die bei der Aktion entstanden. Beweisstücke eines Kunstvorganges, der im Vergleich zu schon Gesehenem - spannungsgeladen, von emotionaler Tiefe und sinnfällig war. So straff und auch asketisch die Handlung, so reich die Assoziationsmöglichkleiten. Das Publikum war einbezogen, wurde vom Gefühl her Mitakteur.

Keine der auf vier Abende verteilten Aktionen nahm mehr Zeit in Anspruch als, sagen wir, eine Schulstunde. Und so kam der erste, zunächst immer zaghafte Beifall wie das unerwartete Klingelzeichen nach einer spannenden Schulstunde. Immerhin hatten zu Beginn einige Besucher die kahlen, nur mit kalter, steriler Klarsichtfolie ausgekleideten Galerieräume irritiert und wohl auch enttäuscht wieder verlassen. Martin Müllers „over-head -Projektionen“, mittels derer graphische Chiffren an die Wand und auf den von liturgischer Musik inspirierten, manipulierten und ekstatisch tanzenden Frauenkörper schrieb, waren wohl nicht das, was jene Gäste sich vorgestellt hatten. Vielleicht war man auf weniger Existenzielles eingestellt und erwartete eine unbelastete Lambada -Vorstellung...?

So hatte sich an diesem Abend eine eher kleine, aber stabile Zuschauergemeinde zusammengefunden, sensibilisiert bis in die Zehenspitzen, unter denen die Folie knisterte, als sei es das Echo der gespielten und getanzten Botschaften. Fine Kwiatkowski tanzte, theatralisierte Leben, das unsere, jetzt. Zwischen Aufbruch und Resignation, Hoffnung und Enttäuschung, Ausgesetztsein und Irritation, Anpassung und Zerrissenheit, Angst und Wut. Und sie tanzte Menschensuche. Suche nach Wärme.

Das Violincello - ein Kosmos an Tönen, die lockten und verführten, den tanzenden Körper streichelten und immer wieder zu expressiver Bewegung trieben. Jeder Teil dieser Aktion, zunächst stark vergeistigt, abstrakt und verfremdet, geriet zunehmend stofflicher. Was zuerst wie eine Vision erschien, wurde Bild, Metapher. Manchmal ging die Tänzerin auf unmittelbaren Publikumskontakt, saß einmal da, verletzlich nackt, nur in Mullschlauch gehüllt, den Kopf umwickelt mit leinenen Tüchern, starr und einsam unter uns. So, als suchte sie Berührung und Nähe. Aber niemand von uns traute sich, die wie im Suchen erstarrte Hand der Gestalt anzufassen. Hinterher fragten wir uns, welche Barriere ins uns mochte das verhindert haben...?

An diesem Abend ahnte ich, was Joseph Beys wohl mit seiner sozialen Botschaft einer „Wärmeplastik“ gemeint haben mochte. Die drei Künstler, diese Antwort ergab sich später im Gespräch, wollen mit ihren Aktionen die verschiedenen Seiten des eigenen Ichs bewegen, freilegen, Schalen, Verkrustungen und Versperrungen aufbrechen - in einer bewußt künstlich gebauten Umgebung körperliche, sinnliche Natürlichkeit erstehen lassen. Ziel: sensibilisieren.

Der Schluß: Staufenbiel zelebrierte expressionistische Else -Lasker-Schüler-Lyrik. Die Tänzerin riß sich vermeintliche Fesseln und schnürende Bindungen von Kopf und Leib, warf den Ballast zu Boden. Nun aber irritiert von dem Gefühl, frei zu sein, scheinbar unfähig, diesen Zustand zu nutzen, floh sie erneut in Erstarrung und Einsamkeit, kroch unter die unnatürliche kalte Folie. Nur die melodische Sprache des Violoncellos konnte sie von dort zurückholen, half ihr den Ekel und die Selbstaufgabe zu überwinden. Die gezeichnete Gestalt gab sich den sanften TÖnen ganz hin, anverwandelte sich ihnen, glücklicher Moment von Einssein. Erfüllte Menschensuche. Wärme..

Inge Ruthe