Studentenwanderung zwischen Ost und West

■ „Grenzenloser“ Hochschulwechsel zwischen FU und Humboldt-Uni / Unklarheiten bei der Gewährung von BAFöG für DDR-Studenten Humboldt-Uni steht West-Studenten offen / Weiterentwicklung abhängig von der Hochschulpolitik der neuen Regierung

Berlin (taz) - In Berlin ist das Streben nach Hochschulbildung im wahrsten Sinne des Wortes „grenzenlos“. Die Öffnung der Mauer, das BRD-Grundgesetz und das für Westberlin geltende Hochschulgesetz machen es möglich: DDR -Bürger können im Westteil der Stadt studieren. Dort sieht man dem zu erwartenden Studentenandrang mit zwiespältigen Gefühlen entgegen. Das Sommersemester steht vor der Tür. An der Freien Universität haben sich für Fächer, die der universitätsinternen Zulassung unterliegen, 160 Interessenten beworben. Besonders weit oben auf der Wunschliste stehen geisteswissenschaftliche Studiengänge wie Slawistik oder Theater- und Kunstwissenschaften. An der Technischen Universität hatten sich bis Mitte Februar 43 DDR -Bürger eingeschrieben. Sicher ist, daß die Bewerberzahlen für das Herbstsemester sprunghaft in die Höhe gehen werden, wenn keine Veränderungen eintreten. Bereits jetzt wurden an der Technischen Universität 1300 gezielte Anfragen, vor allem für Wirtschaftswissenschaften und Informatik, registriert. Dazu kommt noch, daß es dieses Jahr ungefähr 10 000 Abiturienten ohne Aussicht auf einen Studienplatz in der DDR geben wird.

Traugot Klose, zuständig für Studienangelegenheiten an der Freien Universität, wies auf ein Problem gerade bei zulassungsbeschränkten Fächern hin: „DDR-Abiturienten haben bei den jetzt gültigen Zulassungsverfahren bessere Chancen als ihre Konkurrenten aus der BRD und Westberlin. Bei beiden Zulassungskriterien - den Noten und der Wartezeit - sind DDR -Bewerber in der Regel im Vorteil. Die haben so gute Noten, da staunen wir immer.“ Dem Verdrängungsprozeß soll nun Einhalt geboten werden. Umrechungsfaktoren für DDR Abiturnoten und Einschränkungen in der Anerkennung von Wartezeit sind Überlegungen, die für's Herbstsemester in Betracht kommen. Um die Immatrikulationsfreudigkeit ein wenig zu bremsen, wurde entschieden, die Gast- bzw. Nebenhörerschaft kostenlos zu ermöglichen. Aus Kapazitätsgründen, so meint man an der FU, werden sicher neue Zulassungsbeschränkungen notwendig. Derzeit ist auch unklar, wie es mit der Gewährung von BAFöG weitergehen soll. Rechtlich gesehen, können Studenten mit der Staatsbürgerschaft DDR das Darlehen erhalten. Das würde sogar die meisten betreffen, da die Einkommen der Eltern in der DDR vergleichsweise sehr niedrig sind. Fast jeder Student könnte somit zwischen 500- und 870 DM im Monat einstecken, auf Pump versteht sich. „Daran können wegen des Wirtschafts- und Währungsgefälles weder wir noch die Ostberliner Seite interessiert sein“, meinte Herr Klose.

Wie zur Bestätigung heißt es beim Studentenwerk-Anträge auf BAFöG von DDR-Bürgern werden derzeit nicht bearbeitet. Man wartet auf eine Lösung. An der Humboldt-Universität gibt es entgegen mancher Vermutung keine Anzeichen für einen baldigen „Exodus“ durch Abwanderung der Studenten. Die Zahl der Exmatrikulationen ist nicht nennenswert gestiegen. Aufgrund von Gesprächen mit der westlichen Seite steht die Alma Mater Berolinensis nun auch Studenten aus der BRD und Westberlin offen. Sie können sich als Gasthörer in der Uni anmelden. Die Teilnahme an Lehrveranstaltungen ist kostenfrei. Ebenso steht es mit der Nebenhöherschaft, die es bisher in der DDR nicht gibt, aber versuchsweise eingeführt werden soll. Das Interesse der „Weststudenten“ ist jedoch eher verhalten. Vollimmatrikulationen sind auf kommerzieller Basis möglich, gab Prof. Müller, Direktor für Studienangelegenheiten, Auskunft. Voraussetzung dafür sei natürlich ausreichende Ausbildungskapazitäten. Tendenzen und Veränderungen bei den Zulassungen und Stipendien lassen sich gegenwärtig noch nicht voraussehen. „Nach wie vor gelten bei uns Prinzipien sozialer Absicherung der Studenten“, sagte Prof. Müller. Und so fügte er hinzu: „Auf beiden Seiten ist nicht gewollt, daß riesige Studentenströme hin und her marschieren“. Wie es weitergeht an den Berliner Universitäten, wird eben maßgeblich von der Hochschulpolitik einer zukünftigen Regierung abhängen.

M.K.