„Kollekten Sammeln reicht nicht aus“

■ Vegesacks Ortsamtsleiter stellt Gemeindehäuser als Übergangswohnheime zur Diskussion / Kirchen: Gemeindearbeit gefährdet

„Es reicht nicht aus, wenn die Kirchengemeinden nur Kollekten sammeln und Hilfsgüter nach Rumänien schicken“, denkt Reiner Kammeyer, Ortsamtsleiter in Vegesack, laut über die Unterbringung von Aus-und ÜbersiedlerInnen in den Nordbremer Gemeindehäusern nach. Zumindest äußern könnten sie sich mal öffentlich, meint er, damit die Arbeit der Kirchen nicht nur im Verborgenen bleibt. Bei den Kirchen findet Kammeyer dafür allerdings kaum Verständnis. Dabei schielt Kammeyer vor der immer schwieriger werdenden Unterbringung von Aus-und ÜbersiedlerInnen in Bremen-Nord nach neuen Möglichkeiten. Von den derzeit rund 4.200 Aus-und ÜbersiedlerInnen in Bremen hat Bremen-Nord bis jetzt allein 37,4 Prozent aufgenommen. In absoluten Zahlen: rund 1.600.

Überdurchschnittlich betroffen sind davon die drei Stadtteile Burglesum, Vegesack und Blumenthal. Bis zum 18. März hat Bremen sich per Aufnahmestopp eine Verschnaufpause verschafft. Lediglich Nachzügler treffen im Rahmen der Familienzusammenführung ein. In den nächsten drei Monaten werden jedoch wieder 4.500 SpätaussiedlerInnen in Bremen erwartet. 500 bis 600 von ihnen sollen wiederum in Bremen -Nord untergebracht werden, weiß Kammeyer. Die mei

sten werden wohl in „Wohncontainern“ leben müssen.

Angesichts dieser Aussichten sieht Vegesacks Ortsamtsleiter ziemlich schwarz: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Er will die NeubremerInnen nicht in Containern untergebracht wissen: „Die letzten Wohnbaracken aus der Nachkriegszeit haben wir erst 1975 aufgelöst.“ Kammeyer fürchtet, daß die in Aussicht ge

stellten Wohncontainer für ÜbersiedlerInnen genauso lange stehen werden. Sein Ortsamt sucht deshalb fieberhaft nach Ersatzlösungen.

Wenn es nach ihm ginge, dürften die evangelischen und katholischen Gemeindehäuser bei der Unterbringung von ÜbersiedlerInnen nicht ausgenommen werden. Dies hat auch bereits der Krisenstab im Sozialsenat festge

stellt. Die Kirchen indes sind von dieser Idee nicht begeistert: Die katholischen Gemeindevertreter halten dem vor allem entgegen, daß in den Gemeinden viele Kurse für Aus -und ÜbersiedlerInnen stattfinden. Und die fielen bei Belegung der Gemeindezentren weg. Außerdem gebe es sowohl gemeindeinterne als auch von der Caritas betreute Bereiche, die nachhaltig gestört würden, wie

z.B. die Kinder-, Familien-und Jugendbetreuung. Speziell die Gemeinden in Marßel (St. Birgitta) und Grohn (Zur Heiligen Familie) bestünden bereits zu 60-70 Prozent aus AussiedlerInnen aus Polen. Diesen Gemeinden sei keine weitere Unterbringung mehr zuzumuten.

In Grohn haben 200 Aramäer (syrisch-orthodoxe Christen) ihre Heimat gefunden. „Solche Gruppen dürfen wir natürlich trotz all der Ereignisse in den letzten Monaten nicht vergessen“, appelliert Wolfgang Krzizanowski, Pfarrer in Grohn und Dechant des Dekanates Bremen-Nord/Osterholz. Sollte es wirklich zu einem Engpaß bei der Aus-und Übersiedlerunterbringung kommen, dann „öffnen wir die Türen bei Privatleuten“ (Helmut Graf, Pfarrer von Heilig Kreuz-und St. Marien-Gemeinde).

Auch in den evangelischen Gemeinden herrscht die Meinung vor, daß bei Einquartierung von Aus-und Übersiedlern in die Gemeindehäuser der Betrieb zusammenbreche. Auch sie führen die Arbeit kirchlicher und außerkirchlicher Gruppen ins Feld, die dann ihre Arbeit einstellen müßten. Selbsthilfegruppen, wie die z.B. Anonymen Alkoholiker, könnten ihre Treffen nicht mehr abhalten. Pastor Harm Ridder (ref. Gemeinde Blumenthal): „Ich bin darüber ziemlich sauer.

Wer so etwas sagt, der ist noch nie in einem Gemeindehaus gewesen.“ Als „bedenklich“ und „nicht zumutbar“ stufen die Gemeinden auch die „nicht ausreichende sanitäre Aussstattung“ der Gemeindehäuser ein.

In der Grohner Kirchengemeinde leben unterdessen seit zwei Monaten zwei übergesiedelte Männer. Und die reformierte Gemeinde Rönnebeck-Farge hat zwei Räume ihres Gemeindehauses angeboten. Auf deren Belegung wartet die Gemeinde allerdings bis heute, obwohl das Diakonische Werk die Räume schon im November der Sozialbehörde gemeldet hat. Ebenfalls im November hat die St. Martini-Gemeinde in Lesum einen Teil ihres Gemeindehauses als Wohnung hergerichtet. Und das Freizeitheim der Paul-Gerhard-Gemeinde in Meyenburg wurde auch schon früh mit Aus-und Übersiedlern belegt. Einige Gemeinden in Bremen (Thomas-Gemeinde und Zion) haben spontan Aus-und Übersiedler aufgenommen. Die Gemeinden legen den Schwerpunkt eher in die seelsorgerische Betreuung der Aus -und Übersiedler. Auf Dauer wollen die Kirchen aber„nicht immer nur die stille Reserve von Vater Staat sein“ betont Pastor Uwe Knigge (evangelisch-lutherische Martin-Luther -Gemeinde Blumenthal).

Ulf Buschmann