Tonnenweise Müll

■ Hertha schlägt Hannover durch geschenkten Elfer 1:0 / Verstaubte Mülltonnen und ausgerissene Fahnenstange / Trainer Fuchs bei Theos Umsturz unaufmerksam

Wieviel Fingerspitzengefühl besitzt eine verstaubte Mülltonne? Griesgram Oskar aus der Sesamstraße hätte als Experte wichtiges dazu sagen können, aber Hannovers Trainer Michael Krüger kam ihm - ebenso mürrisch - zuvor und stellte klar fest: „Gar keins!“. Den Vergleich mit dem Abfallbehälter münzte er auf Schiedsrichter Manfred Amerell. Warum der eine rhetorisch so glänzte und der andere sich als vorgezogener Osterhase zeigte, sei in folgender Dramaturgie der einzig wichtigen Szene des Spieles objektiv wiedergegeben.

Mittelstürmer Axel Kruse wollte sich wie gewohnt durch die Abwehr der 96er wühlen und wurde dabei so gemein behindert, daß als bestmögliche Lösung der Situation ein Freistoß blieb. Dabei standen die Herthaner ratlos und wußten nichts anzufangen mit dieser hervorragenden Standardsituation. Bei den vorhergehenden Versuchen hatten lediglich niedersächsische Gesäßmuskeln unter der Wucht des getretenen Balles gelitten oder arme Balljungens mußten das Leder aus den entlegensten Winkeln des Olympiastadions klauben.

Nun denn, jetzt die entscheidende Szene. Patzke, mit einer höllischen List im Kopf, läuft an und schiebt den Ball zum in der Mauer stehenden Gries; der dreht sich, synchron mit Gegenspieler Prange, und - unglaublich - halb zog er ihn, halb sank er hin, der Theo, doch nicht aus Liebe, mehr aus Tücke. Und tatsächlich kam der Pfiff. Die Herthaner weilten ungläubig am Tatort, während Schiri Amerell, hart umringt von den 96ern, tapfer seinen Platz am Elfmeterpunkt verteidigte.

Damit war er der erste, der nach 78 nervenzerrüttend langweiligen Minuten für Stimmung unter den 9.749 BesucherInnen sorgte. Brausender Beifall und Gejohle, nur Trainer Krüger riß eine Fahnenstange aus dem Rasen, konnte sich aber nicht entscheiden, das Ersatzobjekt seiner Wut übers Knie zu brechen oder nach Barbarenart gen Gott in Schwarz zu schleudern. Kollege Fuchs hingegen beteuerte, nichts mitgekriegt zu haben, weil er sich vor lauter Ärger über seine Mannschaft vom Geschehen weggedreht habe, „ganz ehrlich“.

Nun gut, den fälligen Elfmeter drosch Kruse so derbe unter die Latte, daß sich Hannovers Joghurt-Freak Sievers im Tor (siehe taz vom 6.11.89) nur schutzsuchend zu Boden werfen konnte. Zum weiteren Spielverlauf ein ehrliches Wort von Hertha-Trainer Werner Fuchs: „Wir haben über weite Strecken alles verkehrt gemacht, was man in einem Fußballspiel nur falsch machen kann.“

Mit wichtigen Weisheiten und interessanter Statistik wird weiterhin die These untermauert: Hertha BSC wird den Aufstieg kaum noch vermeiden können! Zum einen beweist sich in erstaunlicher Art, daß nur wahre Meister selbst solche Müll-Spiele gewinnen, zum nächsten haben die Berliner jetzt drei Punkte mehr geholt als zum gleichen Zeitpunkt der Hinrunde und zum letzten müßte ihnen - nach den Endtabellen der letzten Jahre - dreizehn Punkte aus den letzten dreizehn Spielen locker reichen für die erste Liga.

Schmiernik