Flummis und Fliffis

■ Mit Kind und Kegel zur Berliner Trampolinmeisterschaft / Schon Fliegengewichte katapultieren sich gebückt, grätschend oder robbend vom federnden Sprungtuch

Beleidigt sind die leistungsorientierten BodenturnerInnen, wenn man den zeitlupenhaft gedehnten Seitwärtssalto mit gestreckten Windmühlenbeinen einem dreifachen Rückwärtssalto vorzieht. Den vierfachen Toe-Loop zugunsten eines sauberen Axels vernachlässigen heißt, sich mit den Eiskunstläufern anzulegen. Wie beim Wasserspringen so auch beim Trampolinturnen: Bei den schwierigsten Sprüngen hilft nur das verzögerungsmächtige Kameraauge, die Feinheiten der vertrackten Kombinationen zu sortieren. Die normalsichtige ZuschauerIn vor Ort aber läßt sich vorzugsweise von der Eleganz schlichter, nachvollziehbarer Trägheitsmomente verführen.

Am vergangenen Samstag, bei der Berliner Trampolinmeisterschaft 1990 in Lichterfelde, wurden die wenigen ZuschauerInnen gut mit Nachvollziehbarem bedient. Es war eine sehr familiäre Angelegenheit, die in der Turnhalle Osdorfer Straße geboten wurde. Man war unter sich - nur fünf Vereine teilten sich den Medaillenregen, wobei mangels Masse nicht alle möglichen Wettbewerbssparten beschickt werden konnten. Da war es nicht ungewöhnlich, daß eine Turnerin gleich nach ihrer Übung als Hilfestellung am Gerät gebraucht wurde, um bald darauf als Wertungsrichterin ihre Frau zu stehen, die Übungsteile wie Barani, Cody und Rudolph (ganzer Salto vorwärts mit eineinhalbfacher Schraube) benotete. Derweil mochte ein zuschauender Verwandter diese Aktion filmen, während der gerade nicht hüpfende Bruder vielleicht ein Auge auf den versammelten Nachwuchs warf.

An eben diesem aber fehlt es dem Berliner Trampolinsport, so daß ein Vergleich mit der auch international herausragenden Leistungssspitze in der Bundesrepublik nur das friedliche Bild dieser Veranstaltung verzerren würde. Auch Uwe Wochnowski vom VfL Lichtenrade, der die mit Abstand schwierigsten Übungen in der Männerkonkurrenz zeigte (jeder Springer muß zehn aufeinander folgende und unterschiedliche Sprungfiguren in den abschließenden, sicheren Stand bringen), und der sich mit einer verpatzten 2.Kür um den Titel brachte, setzt auf die Ausbildung des Nachwuchses.

Diesen zu beobachten, war eine eigene Lust: einige Knirpse mußten sich noch nicht bücken, um mal eben schnell unter dem etwa 1,20Meter hohen Gerät durchzulaufen. Die erste, nicht leichte Aufgabe für sie war stets, das Trampolin zu erklettern, wenn ihre Fliegengewichte nicht kurzerhand auf das Sprungtuch gehoben wurden. Sie zeigten das ganze Register der Grundsprünge wie Hocke, Bücke, Grätsche, Salto und Schraube, die dann in einigen Jahren vielleicht, die Schwierigkeiten steigernd, bis zu extremen Kombinationen (wie zum Beispiel einem dreifachen Salto mit dreifacher Schraube) getrieben werden können.

Aber auch das Robben auf dem Bauch durch die Turnhalle machte Spaß. Attraktiv und erholsam war dieser Tag auf seine ganz eigene Weise - man stelle sich vor: keine Werbung in der Halle, keine Hektik, weder Termindruck noch Scheinwerferaufbauten des Fernsehens, die besonders ZuschauerInnen blendend ärgern, nicht einmal die geradezu unvermeidlichen musikalischen Pausenfüller, die andernorts alle Ohren vollmüllen. Und: Niemand hat an diesem Wochenende von Olympia in Groß-Berlin phantasiert. Und auch das notorische KiTa-Problem war an diesem Tage rein sportlich gelöst worden.

So bekam also fast jede/r eine Urkunde oder eine Medaille, bevor er/sie/es sich wieder dem mitgebrachten Spielzeug und den unverzichtbaren Plüschmonstern zuwendete. Auch im Sport gibt es noch keinen dritten Weg, irgendwo zwischen (oder außerhalb) von totaler, leistungsbesessener Kommerzialisierung und dem eher leistungsfreudigen und gemütlichen Amateurwesen, bei dem man über den Spaß nicht zu reden braucht, weil man ihn den Aktiven auch ohne atemloses Statement vor dem Kürgerät „Mikrophon“ abnimmt.

Der SSC Südwest 1947 e.V. als Gastgeber dieser Meisterschaft sorgte für eine standsichere, formatgerechte Abwicklung, die als abgespeckte Variante des Fliffis (Doppelsalto vorwärts oder rückwärts mit halber Schraube) jenen Namen verdient hatte, der besser als Übungsvariante bekannt ist und vielfach gezeigt wird: Babyfliffis.

Rolf Michael Richter