Abschied von der Utopie

Die AL gibt die Position der Zweistaatlichkeit auf  ■  K O M M E N TA R

Die Bilanz der AL nach einem Jahr Rot-Grün fiel nicht überraschend aus: Alle sind „irgendwie frustriert“ und ernüchtert über den täglichen Kleinkrieg und die Niederlagen in entscheidenden Punkten, wollen aber weitermachen. Die Vorstellung, daß in dieser „historischen Situation“ ein CDU -Senat an die Regierung kommen könnte, treibt die verschiedenen Fraktionen innerhalb der AL zur Einheit - im doppelten Wortsinne. Zwar ist die nächste Koalitionskrise schon programmiert, die Drohung mit der Koalitionsfrage verkommt aber mit der Häufigkeit ihres Gebrauchs zum bloßen Drohritual. Ganz nebenbei: einen größeren Gefallen konnte die AL Momper wohl nicht tun, als den KiTa-Streik zum Essential zu erklären. Erhält er doch dadurch die Möglichkeit der Koalition zuliebe nachzugeben, ohne das Gesicht zu verlieren, denn auch er wird in dieser „historischen Situation“ die Koalition nicht aufkündigen (noch nicht?).

Nicht zuletzt der Angst vor dem größeren Übel und vor Hamburger Verhältnissen ist die Wende in der Deutschlandpolitik geschuldet. Der Abschied von der Zweistaatlichkeit mußte schmerzhaft sein und Zeit in Anspruch nehmen, wenn er glaubwürdig sein sollte. Trotzdem war die Neuorientierung mehr als überfällig: Unmöglich kann die AL noch länger lamentieren, daß der allmächtige Regierende Bürgermeister die Deutschlandpolitik völlig dominiert, hat sie ihm doch durch eigene Sprachlosigkeit und Handlungsunfähigkeit das Feld kampflos überlassen. Die Anerkennung der Realitäten - ob man sie für politisch wünschenswert hält oder nicht - bedeutet nicht nur Abschied von einer Utopie, sondern auch die Chance, sich endlich mit eigenen deutschlandpolitischen Zielen zu profilieren. Daß die nicht mehr im sturen Nein-Sagen liegen, hätte eher erkannt werden müssen. Die neue Position bietet die Möglichkeit, herauszutreten aus der Opferrolle und mit der Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung aktiv in die Diskussion um die deutsche Einheit einzugreifen. Im Gegensatz zu den etablierten Parteien in der BRD, die den Anschluß der DDR lieber gestern als heute herbeiführen wollen, muß die Linke alles daran setzen, eine Verfassungsdiskussion in Gang zu setzen - und das so schnell wie möglich. Gelingt ihr dies gemeinsam mit dem Runden Tisch, läßt sich auch der Prozeß zur Einheit verlangsamen. Die großen Parteien sind im Wahlkampf auf alles vorbereitet, nur nicht auf eine Verfassungsdebatte auf breiter Ebene.

Kordula Doerfler