Musik ohne Unterleib

■ Die letzten Musiktage der DDR

Das Nachtkonzert findet statt im fünften Stock. Der Sturm heult über den leeren Platz. Zufällig weht einer mit mir durch die Eingangstür, lacht und sagt: „Das Fundament sackt auch schon ab im Palast der Republik“. Oben spielt aber noch die Gruppe Neue Musik 'Hanns Eisler‘ Leipzig - vier Uraufführungen, die ganze Bandbreite der zeitgenössischen DDR-Kompositon. Natürlich nicht wirklich die ganze: es gibt ja tatsächlich nach wie vor diese fettigen sinfonischen Schinken der alten Herren, die den Auftakt und den Abschluß der DDR-Musiktage schmücken. Aber die sind irgendwie schon lange keine Zeitgenossen mehr.

Vier Uraufführungen also: Von konzertanter Kammermusik über das launige Lehrstück bis hin zum Provo-Happening. Doch so verschieden sie auch daherkommen, in einem sind die Stücke sich gleich: sie lieben die Tradition. Sie bleiben frühklassisch in der Konstruktion: Es grüßt die Sonate, das Sonatenrondo. Es lebe der dialektische Dreischritt. Auf A folgt B und auf B immer A-Strich. Der letzte macht die Tür zu. So soll es sein. Geschlossen sei die Form und keine Frage ohne Antwort. Dabei ist das Handwerk olympiareif perfekt und die Musikanten legen sich tüchtig ins Zeug. Nur, daß man genau das so ähnlich schon mal gebört hat und, daß man kein Stück unbedingt noch einmal hören will. Höchstens Hex von Georg Katzer. Da gibt es zuweilen die Risse im Stoff, sogar einmal einen Rhythmus und ein unverhofftes Wegjazzen. Schnell kommt alles wieder auf die Reihe: Auch Katzer komponiert seine Musik weitgehend ohne Unterleib.

Ein Bulletin des DDR-Komponistenverbandes zieht am Ende stolz die Bilanz: 18 Konzerte, 20 Uraufführungen. Ich habe nur zehn Konzerte gehört und 13 Uraufführungen, das spannendste Stück war nicht mal eine: kreon von Steffen Schleiermacher, komponiert schon 1986. Aber vielleicht gibt es ja doch noch mehr Musik jenseits der Verbandstrampelpfade in der DDR. Eine Musik, die nicht nur neo ist: neoklassizistisch, neoromantisch, neoeinfach. Neoeisler, neohindemith, neowebern, neostrauss. Es muß sie doch irgendwo geben. Denn, so sprach Katzer - vormals im Vorstand des Komponistenverbandes: eine Zensur, die habe in der neuen Musik der DDR schon seit Jahren nicht mehr stattgefunden. Hier darf jeder machen, was er will. Merkwürdig, daß alle freiwillig so ziemlich das gleiche machen. Komisch, wie ähnlich sich alles klingt.

Vieles fiel aus, die meisten Konzerte fanden statt im schönen Schauspielhaus. Links von der Freitreppe ist eine frisch aufgeworfene Pflasterstelle zu sehen: da stand noch kürzlich, neben geflügelten Worten von Schiller und Hegel, ein markiger Spruch des gewesenen Staatsratsvorsitzenden zu lesen. Ein Kindergrab - das wird die einzige Veränderung von Dauer sein. Drinnen im Saal ist das Programm sowieso gleich geblieben. Auch die Köpfe sind die gleichen geblieben. Die DDR-Musiktage fanden zwar heuer zum letzten Male statt. Aber übers Jahr, so hofft der amtierende Verbandspräsident, haben wir dann „ein deutsches Musikfest“.

Elisabeth Eleonore Bauer