Ändern kann sie nur ein Krieg...

Der polnische Schriftsteller und Senator Andrzej Szczypiorski zu den jüngsten Äußerungen Kohls zur Oder-Neiße-Grenze und zum deutsch-polnischen Verhältnis  ■ I N T E R V I E W

taz: Premier Mazowiecki ist über Kanzler Kohls jüngste Äußerung „verwundert“. Sie auch?

Andrzej Szczypiorski: Ich auch. Was Kohl im Moment tut ist höchst inkonsequent. Mir scheint er seit einiger Zeit in seinen Stellungnahmen - seit dem Umbruch in der DDR - immer abhängiger zu werden von der radikalen Rechten in der Bundesrepublik. Sein Ziel dabei scheint zu sein, die Republikaner auf seine Seite zu bekommen. Solche Vorgänge kennen wir auch aus Polen: daß bestimmte liberal eingestellte Politiker sich dem sogenannten Beton zuwenden, und in der Regel ohne Erfolg, denn in den Augen der Radikalen sind diese Liberalen nie vertrauenswürdig.

Die Wähler ziehen das Orginal der Kopie vor...

Eben. Diese Versuche Kohls machen so oder so keinen Eindruck auf die Republikaner. Dagegen führen sie zu Unruhe, zu einer Destabilisierung der Stimmung in den deutsch -polnischen Beziehungen. Und das ist unnötig. Für mich steht völlig außer Zweifel, daß Kohl ein Demokrat ist und in keinem Moment verdächtige ich, als Pole, ihn, daß er die Oder-Neiße-Grenze womöglich nicht für endgültig hält. Ich bin vollkommen überzeugt, daß für ihn diese Grenze endgültig ist und keiner Diskussion unterliegt. Aber für Millionen von Polen ist das sehr doppeldeutig, beunruhigt sie, in einer Lage, in der alle, denen die Sache Europas am Herzen liegt, alles tun müßten, um eine klare und eindeutige deutsch -polnische Versöhnung zustandezubringen. Dieses Junctim zwischen der Grenzfrage und den Reparationen, das ist unanständig. Die Polen sind Moralisten und die Vorstellung, daß man in der Politik so eine Art Handel abschließt, wie in diesem Vorschlag enthalten - wir erkennen die Grenze an, und ihr verzichtet auf Reparationen - ist undenkbar. Vielleicht hat Kohl schlecht geträumt, aber wir haben von Reparationen nie gesprochen. Auf diese Weise wird das hehre Ziel einer Verständigung zwischen Polen und Deutschen auf ein Krämerniveau herabgewürdigt. Davon abgesehen: Die Oder-Neiße -Grenze ist sowieso endgültig. Ändern kann sie nur ein Krieg, und den zu führen wird den Deutschen keiner erlauben, selbst wenn sie ihn wollten, was ich nicht glaube.

Mit Reparationen nehme ich an, sind die polnischen Forderungen nach einer Entschädigung für polnische Zwangsarbeiter im Dritten Reich gemeint. Für Polen sind das keine Reparationen.

Reparationen sind eine ganz andere Sache. Wir haben sie überhaupt nicht aufs Tapet gebracht. Entschädigungen für Zwangsarbeiter sind etwas anderes, das haben wir als Diskussionsthema vorgeschlagen, wir erheben keine kategorischen Forderungen in dieser Sache. Wir versuchen darüber in einen Dialog einzutreten mit Deutschland. Das steht in überhaupt keinen Zusammenhang mit der Grenzfrage, über die Grenze werden wir überhaupt nicht diskutieren.

Bisher gab es in Polen ja viele Intellektuelle und Politiker, die sich für eine Verständigung zwischen Deutschen und Polen einsetzten und die dafür in der Vergangenheit häufig kritisiert, verleumdet und diskriminiert wurden. Besteht nicht die Gefahr, daß durch solche Vorfälle wie Kohls Äußerungen diese Menschen an politischem Gewicht verlieren, daß die öffentliche Meinung in die andere Richtung zu tendieren beginnt?

Das betrifft ja mich. Noch tendiert die öffentliche Meinung nicht zu denen, aber das, was in Bonn im Moment abläuft, stärkt natürlich hier die Unruhe und Unsicherheit, die von polnischen konservativen, totalitären Kräften ausgenutzt wird. Unsere Kommunisten triumphieren natürlich und fühlen sich bestätigt: „Seht Ihr, 40 Jahre lang haben wir vor dem deutschen Aggressor gewarnt, haben wir Euch gesagt, wir müssen zur UdSSR halten wegen unserer Westgrenze. Jetzt sieht man, was das Geschwätz wert war, von wegen die Deutschen sind demokratisch, das sind Raubritter, das ist der Drang nach Osten...“ Die Leute glauben dem nicht, dafür sind die Erfahrungen mit den Anhängern dieser Ideen noch zu frisch, aber wenn das noch länger so weiter geht, dann finden solche undemokratischen, totalitären Kräfte immer mehr Gehör. Das was Kohl im Moment tut, schadet der polnischen Demokratie, der deutschen Demokratie und damit der Demokratie in Europa.

Sie sagen, noch sei es nicht soweit, daß die polnische Öffentlichkeit der kommunistischen außenpolitischen Konzeption zuneigt. Nun sind Janusz Reiter, außenpolitischer Kommentator der 'Gazeta Wyborcza‘ und Außenminister Skubiszewski sicher nicht Anhänger dieser Linie, aber dennoch hat Reiter den bekannten Kommentar geschrieben, in dem er nahelegt, die sowjetischen Truppen angesichts der Lage im Westen einstweilen noch nicht abzuziehen, ein Gedanke, dem auch Skubiszewski zuzuneigen scheint. Hängt das mit der unklaren Bonner Haltung zusammen?

Selbstverständlich. Immer mehr Menschen in Polen kommen zu der Schlußfolgerung, daß wir völlig schutzlos sein würden, würden die sowjetischen Truppen abziehen. Kohl muß sich überlegen, was er will: es sich mit der radikalen Rechten nicht verderben oder dieses brüchige Gebäude der deutsch -polnischen Annäherung, an dem wir jahrelang gebaut haben, in Stücke schlagen.

Der zweite Punkt in der Erklärung Kohls betrifft die deutsche Minderheit.

Es besteht kein Zweifel, daß Polen unter kommunistischer Herrschaft diese Sache entsetzlich vernachlässigt und zu Manipulationen mißbraucht hat. Das neue, demokratische Polen mit Mazowiecki an der Spitze steht auf dem Standpunkt, daß allen nationalen Minderheiten in Polen volle Rechte und Freiheiten eingeräumt werden müssen, das gilt auch für die deutsche Minderheit: Das sie ihre eigenen Schulen, Bücher, Kirchen und Organisationen bekommt. Und das wird völlig unabhängig von dem, was Kanzler Kohl heute sagt geschehen. Denn wir bauen hier einen demokratischen Staat auf. Und Kanzler Kohl kann sagen was er will, auch wenn es uns nicht gefällt, wir werden das nicht mit dem Problem der deutschen Minderheit in Zusammenhang bringen. Denn diese Menschen sind nicht für das veranwortlich, was Kohl sagt.

Ist denn die Politik gegenüber Deutschland in Polen noch Gegenstand der innenpolitischen Auseinandersetzung? Hat sie noch eine innenpolitische Funktion?

Natürlich, kann ja gar nicht anders sein. In Polen gab es immer - auch wenn mir das heute anachronistisch vorkommt zwei außenpolitische Konzeptionen: Eine Option mit Deutschland gegen Rußland, die andere mit Rußland gegen Deutschland. Die ganze Nachkriegspolitik der Kommunisten war darauf ausgerichtet, den Leuten einzubleuen, daß die Gefahr aus Deutschland kommt, um Polen umso fester an die Sowjetunion zu binden. Beide Optionen sind veraltet. Unsere Chance liegt heute in der Integration in den Westen. Und der einzige Weg in den Westen für uns führt durch Deutschland. Enge Zusammenarbeit mit Westeuropa bedeutet enge Zusammenarbeit mit dem deutschen Volk. Noch vor einigen Monaten waren wir einer tatsächlichen Versöhnung unheimlich nahe. Stellen Sie sich vor: Im Westen ein mit Polen befreundetes, demokratisches Deutschland, im Osten - nach dem Zerfall der Sowjetunion - ein demokratisches Rußland, eine demokratische Ukraine, ein demokratisches Litauen. Das wäre doch die Erfüllung unserer kühnsten Träume! Aber die Erklärungen in Bonn erschweren diesen Prozeß doch. Trotzdem bin ich Optimist.

Die Integration wird aber doch von vielen in Polen auch mit gewissen Ängsten betrachtet. Ängsten davor, daß dann die Deutschen Polen aufkaufen, deutsche Großbetriebe hier den Ton angeben werden... Einstweilen können Ausländer Polen noch nicht aufkaufen, weil es zuviele Barrieren gibt. Aber wenn Polen in den Gemeinsamen Markt will, werden diese Barrieren einmal fallen müssen. Und dann?

Einstweilen sehe ich dieses deutsche Kapital noch nicht, es hat eher zu wenig Interesse. Trotzdem haben Sie Recht, diese Ängste gibt es. Aber die tatsächliche Vereinigung wird Deutschland wirtschaftlich eher schwächen. Die Deutschen in der Bundesrepublik wissen noch gar nicht, was da auf sie zukommt. Sie werden so mit sich beschäftigt sein, daß von ihnen kaum eine Gefahr ausgehen wird.

Daß Deutschland durch die Wiedervereinigung geschwächt wird und sich vor allem mit sich selbst beschäftigen wird, ist nur ein schwacher Trost. Das Gegenargument lautet: Dann wird Deutschland sich auch von Europa abwenden.

Das ist möglich. Dann müssen andere Länder mehr Verantwortung für die europäische Einigung übernehmen.

Interview: Klaus Bachmann