Vorhang auf zum letzten Akt von „Irangate“

Reagans ehemaliger Sicherheitsberater John Poindexter, der sich ab heute vor Gericht verantworten muß, ist die Hauptperson im wohl letzten Akt des Iran-Contra-Dramas / Weder die Kongreß-Hearings noch die Prozesse gegen die Beteiligten der Affäre klärten alle Fragen  ■  Von Stefan Schaaf

Ab heute hebt sich in einem Washingtoner Gerichtssaal der Vorhang zum letzten Akt der Iran-Contra-Affäre. Mit dem Prozeß gegen Ronald Reagans ehemaligen Sicherheitsberater John Poindexter (53) wird ein Schlußstrich unter einen politischen Skandal gezogen, dessen volle Ausmaße im Dunkeln bleiben werden. „Irangate“, wie die amerikanischen Meinungsmacher die Affäre in Anlehnung an Richard Nixons Watergate-Skandal tauften, führte nicht zum Sturz Ronald Reagans, obwohl es genauso triftige Gründe für ein „Impeachment“, also eine Anklage des Präsidenten durch den Kongreß, gegeben hätte. So wie Reagans politische Initiative zur Befreiung der im Libanon festgehaltenen US-Geiseln eingefädelt worden war, so wurde seit November 1986 der politische Schaden für den Präsidenten eingedämmt. Wir erinnern uns: Um 1985 die Freilassung der von schiitischen Geiselnehmern im Libanon festgehaltenen US-Bürgern zu erreichen, hatte die Reagan-Administration auch vor unüblichen Wegen nicht zurückgescheut. Während Washington offiziell alle Verbindungen zum Iran abgebrochen hatte, war aus dem Weißen Haus ein dubioser iranischer Geschäftemacher namens Manuchehr Ghorbanifar autorisiert worden, den iranischen Machthabern dringend benötigtes Kriegsgerät zu offerieren, falls sie für die Freilassung der Geiseln sorgten.

Eine brisante Initiative, so brisant, daß sie jenseits aller etablierten Strukturen des US-amerikanischen Machtapparats von privaten Waffenhändlern abgewickelt wurde. Zur Drehscheibe wurde ein junger Marineleutnant aus dem Stab des Nationalen Sicherheitsrats namens Oliver North. Man benutzte geheime, abhörsichere Kommunikationskanäle und absurde Decknamen. Poindexter nannte sich „Beethoven“.

Um Nachfragen des Kongresses zu begegnen, griff man zu allen möglichen Tricks, die einige der Beteiligten seither vor den Kadi gebracht haben. Die Geheimnistuerei war notwendig, um - in CIA-Chef Caseys Worten - einen „selbständigen, sich selbst finanzierenden, geheimen Apparat“ zu schaffen, der nicht nur den Geisel-Deal mit dem Iran, sondern noch weitere Aktionen durchführen könnte, die dem Weißen Haus ansonsten zu heiß und dem Kongreß inakzeptabel erschienen wären.

Eine hübsche Idee

Caseys Idee von einem Geheimdienst außerhalb des Geheimdienstes begeisterte North, für den Außenpolitik eine andere Form des Krieges war. Ihm kam eine „hübsche Idee“, sagte er später vor dem Untersuchungsausschuß im Kongreß: Was wäre, wenn man die Ayatollahs auch für die Waffen bezahlen ließ, die der Kongreß den Contras nicht geben wollte? Doch die „hübsche Idee“ flog auf, als eine libanesische Zeitung 1986 den geheimen Geiseldeal enthüllte. Für North brach eine politische Welt zusammen. Er wurde von seinem Ziehvater Reagan gefeuert, sein Vorgesetzter Poindexter zum Rücktritt gezwungen. Doch zuvor vernichteten beide noch fieberhaft die Spuren ihres geheimen Treibens. Die Ermittler des Kongresses guckten in die Röhre. Nie ließ sich vollständig auflisten, was dem Iran außer Waffen noch geliefert wurde, etwa kriegswichtige Erkenntnisse amerikanischer Spionagesatelliten oder Listen mit den Namen iranischer Kommunisten, von denen bis zu 200 dank der US -Mithilfe vor Erschießungskommandos wanderten. Ungeklärt bleibt auch der Anteil des ehemaligen Vizepräsidenten George Bush an der Affäre. Allerdings ist bekannt, daß Bush bei einem Besuch in Jerusalem ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, daß man im Iran nicht mit irgendwelchen „Gemäßigten“, sondern mit den radikalsten unter den schiitischen Scharfmachern verhandle. Auch in Zentralamerika wurde Bush auf dem laufenden gehalten, stand sein Sicherheitsberater Donald Gregg doch in nahezu täglichem telefonischen Kontakt mit Helfern bei der geheimen Nachschub-Pipeline für die antisandinistischen Contras.

Ein abgrundtiefes Loch

Die Wahrheit bleibt nicht nur wegen der Vernichtung wichtiger Akten weiter im Dunkeln. Wie der Chefermittler des Iran-Contra-Komitees in einer Rede vor Studenten sagte, habe man angefangen zu buddeln, in ein abgrundtiefes Loch geschaut und sich entschieden, es schnell wieder zuzuschaufeln. Zwei wichtige Mitglieder des Ausschusses haben in einem Buch über die Affäre eingeräumt, daß die Popularität Reagans sie und ihre Kollegen vor der Versuchung zurückschrecken ließ, „dem verwundeten republikanischen Cäsar den Todesstoß zu versetzen“. Absurderweise blieb es dann Oliver North überlassen, im Rahmen seines Prozesses einiges über das verfassungswidrige Treiben des Weißen Hauses zutage zu fördern, was der Kongreß übersehen hatte. Wäre die Rolle dritter Länder bei der Contra-Finanzierung bereits in den Fernseh-Hearings zutage gekommen, hätten die Senatoren und Abgeordneten womöglich doch an Reagans Stuhl sägen müssen. Doch statt dessen wurden dessen Helfershelfer vor Gericht gestellt. Die Strafen fielen bisher recht mild aus, Gefängnisstrafe blieb allen erspart.

Fotografisches Gedächtnis

Er trieb Mitglieder des Iran-Contra-Untersuchungsausschusses zur Verzweiflung. Als er den Abgeordneten und Senatoren des Komitees fünf Tage lang Rede und Antwort stand, konnte sich John Poindexter genau 15 mal nicht erinnern. Dabei war sein phänomenales Gedächtnis das, was alle früheren Vorgesetzten an John Poindexter am meisten beeindruckt hatte. „Spektakuläre geistige Fähigkeiten“ bescheinigt ihm einer, der ihm während seiner Navy-Karriere begegnet war; ein „fotografisches Gedächtnis“ hatte man ihm attestiert. John Marlan Poindexter war die perfekte Symbiose aus soldatischer Pflichterfüllung und bürokratischer Korrektheit. Als er Ende 1985 vom Stellvertreter Robert McFarlanes zu dessen Nachfolger im Amt des Nationalen Sicherheitsberaters wurde, war er ein Kompromißkandidat, ein politisch unbeschriebenes Blatt. Die Reporter im Weißen Haus haßten ihn, weil ihm selten eine handfeste Information zu entlocken war, doch Ronald Reagans übrige Untergebene schätzten die straffe Hand, mit der er den Schriftverkehr des Präsidenten bewältigte. Auch während der Anhörung im Kongreß sollte Poindexter sie nicht enttäuschen; er blieb der loyale Untergebene. Neben dem gefälligerweise verstorbenen CIA -Direktor Casey wäre Poindexter die beste Quelle gewesen, von der man von der Mitwisserschaft Ronald Reagans über die brisanteren Aspekte der Affäre hätte erfahren können. Doch Poindexter nahm alle Verantwortung auf seine Schultern. Er habe dem Präsidenten nichts über die Zweckentfremdung mehrerer Millionen aus dem Waffengeschäft mit den Mullahs für die Kassen der Contras gesagt. Alles habe im Einklang mit dem politischen Willen des Präsidenten gestanden, doch er sei sich der politischen Notwendigkeit bewußt gewesen, Reagan von dieser Entscheidung „zu isolieren“.

Vor dem Untersuchungsausschuß gab Poindexter ohne Zögern zu, ein entscheidendes Dokument samt Reagans Unterschrift „zerrissen und in einen Beutel für die Aktenverbrennung geworfen“ zu haben. Stets hatte er obendrein das Ansinnen des Kongresses zurückgewiesen, die Außenpolitik Reagans in Zentralamerika zu korrigieren und Entscheidungen des Präsidenten umzuwerfen. „Einmischung von außen“ nannte er es, wenn im Kongreß abermals eine Debatte um eine neue Millionenspritze für die Kriegskasse der Contras ausbrach.

Doch nun ist die „Irangate„-Affäre für John Poindexter von einem politischen zu einem juristischen Problem geworden, und, wie schon im Prozeß gegen Oliver North, ist es mit pathetischen Loyalitätsbeteuerungen vorbei. Poindexter ist wegen Verschwörung, Falschaussage vor dem Kongreß und wegen Behinderung von dessen Iran-Contra-Ermittlungen angeklagt. Nun versucht Poindexter plötzlich, einen großen Batzen der Verantwortung möglichst weit oben anzusiedeln. Jetzt geht es um ein paar Jahre Knast für einen Vizeadmiral am Ende seiner Karriere. Immerhin setzten Poindexters Anwälte durch, nicht nur Reagans persönliche Aufzeichnungen zu sichten, sondern den greisen Ex-Präsidenten in einen Gerichtssaal zu zitieren, wo er den Anwälten Poindexters zwei Tage lang Rede und Antwort stehen mußte. Die Ausbeute war in beiden Fällen sehr mager - wen wundert's.