Steinkühler: „Die Arbeitgeber sind auf Eroberungen aus“

Auf der „zentralen Aktionskonferenz“ der IG Metall in Frankfurt am Main verzichtet Steinkühler ausdrücklich auf ein Inkrafttreten der 35-Stunden-Woche zum 1.April dieses Jahres / Wichtiges Thema war der solidarische Widerstand gegen die „kalte Aussperrung“ / Kirchenvertreter in die Diskussion einbezogen  ■  Aus Frankfurt Gabriele Sterkel

„Ich will die Arbeitgeber nicht mit den Nazis vergleichen, aber auf Eroberungen sind sie auch aus - auf die Eroberung der Märkte Osteuropas und der DDR. Aber wir lassen uns nicht für Eroberungen einspannen!“ rief IG Metall-Chef Steinkühler, vom Redetext abweichend, in seiner Schlußrede auf der „zentralen Aktionskonferenz“ seiner Organisation am Samstag in Frankfurt.

Mit dieser Konferenz, an der 1.300 IGMetall-Funktionäre aus der ganzen Bundesrepublik teilnahmen, soll „der Übergang vom Argumentieren in Verhandlungen zum aktiven Handeln“, so Steinkühler, eingeleitet werden. Schon 1984 und 1987 sei die IG Metall zu diesem Schritt gezwungen gewesen, aber anders als damals ist sie jetzt mit dem „gravierenden Widerspruch“ konfrontiert, daß es auf der einen Seite die politische Begeisterung über die Reformen in Osteuropa und in der DDR gebe, auf der anderen Seite die IG Metall „vor einer Wand der Gleichgültigkeit gegenüber der politischen Restauration in der BRD“ stehe. Die IG Metall sei „mit dem beschämenden Versuch konfrontiert, den Sieg des Volkes in der DDR über eine stalinistische Diktatur umzumünzen in die Beseitigung des notwendigen sozialen Ausgleichs“. Man solle sich nicht von „salbungsvollen Reden“ täuschen lassen, die Arbeitgeber, die jetzt auf den sozialen Konflikt setzten, wollten in der DDR nicht „aus blanker Nächstenliebe“ investieren. „Jeder Prozentpunkt weniger Lohnerhöhung fließt in die Unternehmerkassen und nicht in die DDR. Jede Minute weniger Arbeitszeitverkürzung nutzt den Arbeitgebern in der BRD und nicht den Arbeitnehmern in der DDR.“

Gleichzeitig zeigte sich Steinkühler kompromißbereit. Die IG Metall bestehe nicht mehr auf der Einführung der 35 -Stunden-Woche zum 1.April dieses Jahres. Zwar werde es keinen Tarifvertrag ohne die 35-Stunden-Woche geben, aber „der Kompromiß kann über über die Laufzeit gefunden werden“. Er könne über das Volumen der Lohn- und Gehaltserhöhungen erreicht werden. Der arbeitszeitpolitische Handlungsbedarf in der Bundesrepublik und in der DDR sei nicht gesunken, sondern gestiegen. „Arbeitslosigkeit droht ein gesamtdeutsches Phänomen zu werden. Deswegen muß es bei der Arbeitszeitverkürzung zu einer gesamtdeutschen Phalanx kommen.“

Es sind jedoch nicht allein der deutsche Einigungsprozeß und die Arbeitgeberoffensive, die die Tarifrunde für die IG Metall in diesem Jahr so schwierig machen, sondern auch die Bedrohung durch die „kalte Aussperrung“. Kommt es zum Arbeitskampf, ist wegen der Änderung des Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz klar, daß indirekt vom Streik betroffene ArbeitnehmerInnen kein Kurzarbeitergeld vom Arbeitsamt bekommen. Eine „soziale Katastrophe“, so Steinkühler, könne durch kein Streikkonzept ausgeschlossen werden.

So war denn auch die Frage, wie diese Katastrophe abgemildert werden könnte, in Frankfurt das beherrschende Thema in drei Forumsveranstaltungen. Dabei wagte sich die IG Metall sogar an neue Kommunikationsformen: Jeweils vier ausgewählte Experten wurden mit den Fragen und Meinungen eines offenen Podiums konfrontiert; moderiert wurde das Ganze kurzweilig von der WDR-Journalistin Carmen Thomas. Zunächst ging es um den „Kampf gegen Aussperrung im Betrieb“. Kollegen, die schon einmal von Aussperrung betroffen waren, tauschten ihre Erfahrungen aus. Viele Betroffene seien isoliert und ohne Geld. Das Gefühl, verlassen und hilflos zu sein, müsse aufgehoben werden. Es müßten Kommunikationsstrukturen und Komitees gebildet werden, mit deren Hilfe die Kollegen im Vorfeld über das aufgeklärt werden sollen, was auf sie zukommen kann. Im nächsten Forum wurde darüber gesprochen, wie DGB und Einzelgewerkschaften solidarisch sein könnten. Detlef Hensche, 2.Vorsitzender der IG Medien, forderte Solidaritätsstreiks in anderen Wirtschaftszweigen, „denn eine Niederlage der IG Metall und der IG Medien in diesem Tarifkonflikt bedeutet auch eine Niederlage für alle anderen Gewerkschaften“. Bert Thierron vom Europäischen Gewerkschaftsbund versicherte, man werde in den anderen Ländern Europas keine Streikbrucharbeiten durchführen. Die bundesdeutschen Metaller stünden nicht alleine, denn auch in Großbritannien werde für die 35-Stunden-Woche gekämpft, und in Italien und Spanien beginne ebenfalls bald der Tarifkonflikt um dieses Ziel.

Ferner stand die „gesellschaftliche Solidarität“ gegen die Aussperrung zur Diskussion, denn die IG Metall wird in diesem Arbeitskampf mehr denn je auf die Unterstützung durch andere Organisationen und die Öffentlichkeit angewiesen sein. Zum Gespräch waren zwei Kirchenvertreter sowie zwei Künstler eingeladen worden. „Erwarten Sie nicht zuviel von den Kirchen“, warnte Jesuitenpater Professor Hengsbach, wirtschaftliche Zusammenhänge seien in den Kirchen schwer vermittelbar, aber hier gehe es darum, „Lebenszeit zu entwirtschaften“ - das verstehen auch Pfarrer. Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften sei zwar in der katholischen Kirche nicht mehrheitsfähig, doch vor Ort könnten Netzwerke der Solidarität entstehen, wenn die Pfarrer direkt die Nöte der Menschen erleben, die „arbeiten wollen und draußen stehen“. Der evangelische Pfarrer Wörmann aus dem Ruhrgebiet ist schon länger mit dem Thema Arbeitslosigkeit und auch mit Aussperrung konfrontiert worden. Solidarität müsse von unten ausgehen, faßt er seine Erfahrung zusammen. Einzelne Gespräche öffnen die Kirchen, denn Aussperrung sei moralisch gesehen „die Entmündigung der Menschen durch eine Produktionsmittel besitzende Minderheit“.

Doch bevor es zu Aussperrungen kommen könnte, stellte Steinkühler unmißverständlich klar, müßte in den Tarifbezirken und in den Betrieben zunächst einmal die Streikfähigkeit organisiert werden. Die Metallarbeitgeber würden immer frecher propagieren, daß die 35-Stunden-Woche nur eine Funktionärsforderung sei und daß die Belegschaften ihren Ersatz durch Lohnerhöhungen wollten. Und fast beschwörend fügt er, außerhalb des Redetextes, hinzu: „Die Antwort auf diese Frechheit müßt ihr geben - in den Betrieben!“

Allerdings scheint dort das Engagement noch nicht so gewaltig zu sein. Die Diskussion über Mobilisierung und Aktionen in den Betrieben drohte immer wieder abzubrechen, weil es an entsprechender Beteiligung fehlte. So haben sich hier fast ausschließlich Metaller aus dem Bezirk Stuttgart eingebracht. Sie haben zum Beispiel beschlossen, die Überstunden drastisch zu reduzieren, denn im Augenblick, so ein Betriebsrat aus Stuttgart, sei ja noch nicht einmal die 37-Stunden-Woche wirklich umgesetzt: „Wir machen in der BRD 1,5 Milliarden Überstunden - das wären 500.000 Arbeitsplätze, da wird die Forderung nach der 35-Stunden -Woche doch unglaubwürdig.“