Schriftstellerverband der DDR: “... und viel Kraft für Hermann Kant“

■ Der außerordentliche Kongreß des Schriftstellerverbandes der DDR beschloß ein neues Statut und wählte einen neuen Vorstand / Beim Thema „Aufarbeitung der Verbandsgeschichte“ schieden sich die Geister

Berlin (taz) - Als am Samstag das Ergebnis zur Wahl des neuen Vorsitzenden des DDR-Schriftstellerverbandes bekanntgegeben wurde, vergingen ein paar überlange Sekunden, bevor der Beifall einsetzte.

Der Versammlungsleiter gratulierte dem neuen Vorsitzenden, dem Lyriker Rainer Kirsch, fuhr fort mit dem Procedere, hielt dann beinahe erschrocken inne und holte schnellstens die vorgeschriebene Frage nach: „Nehmen Sie die Wahl an?“ „Ich hab‘ doch schon die Blumen angenommen!“ rief Rainer Kirsch.

Der lockere Umgang der DDR-SchriftstellerInnen mit Verbandsregularien war sympathisch, offenbarte aber zugleich die mangelnde Vertrautheit mit den praktischen Ritualen der Demokratie. Eine stundenlange Verfahrensdebatte bei Kongreßbeginn hatte das Interesse schnell erlahmen lassen: Von den anfangs anwesenden 579 SchriftstellerInnen verschwanden immer wieder für Stunden so viele, daß die Beschlußfähigkeit der Versammlung dauernd in Frage stand.

Immerhin war schnell beschlossen worden, daß alle anwesenden SchriftstellerInnen aktives und passives Wahlrecht haben sollten, unabhängig von ihrer Mitgliedschaft oder ihrem Status im Verband. Damit wurde eine direkte Folge von SED-Herrschaft und SED-Kulturpolitik außer Kraft gesetzt, durch die viele nie aufgenommen, andere ausgeschlossen worden und einige jetzt erstmals angereist waren.

Stefan Heym hatte den DDR-Schriftstellerverband am ersten Kongreßtag als „Transmissionsriemen“ im Machtgefüge der SED bezeichnet; er wurde - per Akklamation - zum Ehrenpräsidenten ernannt. So hörte niemand, wieviele nicht klatschten. Versöhnung schien angesagt, und so wurde der überraschend zur Kandidatur bereite, nach der Biermann -Ausbürgerung nicht in die DDR zurückgekehrte Bernd Jentzsch zum stellvertretenden Verbandsvorsitzenden gewählt.

Mehr als „Wiedergutmachung“, nämlich „wirtschaftliche und juristische Rehabilitierung“ wurde indes für Jutta Bartus, Erich Loest und Karl-Heinz Jacobs gefordert und mit Applaus unterstützt. Doch sobald diese Thematik konkret zu werden drohte, entzündeten sich die wenigen heftigen, wirklich kontroversen Dispute.

Rainer Kirsch hatte sich nämlich schon früh gegen die Weiterarbeit der unter Heinz Kahlau tätigen Untersuchungskommission über die eigene Verbandsgeschichte ausgesprochen und vor den Gefahren gewarnt: Neues Mißtrauen würde entstehen, „neue Lügen“ könnten zwischen die Wahrheit geraten.

Der sorbische Schriftsteller Juri Brezan, seit 1951 in unterbrochener Folge im Vorstand, hielt einen Untersuchungsausschuß für eine „kreuzgefährliche Geschichte“. Auf den Zuruf: „Für wen?“ kam seine gelassene Antwort: „Nicht für die, die untersucht werden sollen.“ Da platzte Joachim Seyppel der Kragen: „Ich bin denunziert worden, als Antisemit!“ Und Erich Loest brüllte von der Galerie herunter: „Ich will bloß meine Akte!“

Gerüchte über Aktenvernichtung - auch im Schriftstellerverband - waren im Umlauf. Jürgen Rennert wollte deshalb vom noch amtierenden langjährigen Verbandssekretär Gerd Henniger wissen: „Sind Akten vernichtet worden?“ Henniger: „Es ist nichts vernichtet worden.“ Daraufhin der Versammlungsleiter: „Das ist eine klare Auskunft.“ „Ja“, sagte Rennert, „auch die Unwahrheit ist eine klare Auskunft.“ Am Ende gab es dann doch eine Abstimmungsmehrheit für die Weiterarbeit des Untersuchungsausschusses. Die Modalitäten dafür blieben jedoch - wie so vieles - unklar und umstritten.

Zur Verabschiedung des neuen Statuts kam man nur über einen Geschäftsordnungstrick: Die Anwesenden bescheinigten sich per Abstimmung die „Kompetenz“ für diesen Akt.

Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR - der Name wurde beibehalten - kann nun „jede/r Schriftsteller/in“ werden, was sofort eine Kontroverse über Aufnahmekriterien, literarische Qualität und gewerkschaftliche Öffnung auslöste. Für die im neuen Statut vorgesehenen siebzehn Vorstandssitze lag eine Liste mit 125 Kandidatennamen vor, auf der auch der Name Hermann Kant auftauchte.

Kant hatte sich wegen Krankheit per Brief entschuldigt. Der langjährige, auch schon vor der Wende umstrittene Präsident war Ende Dezember nach heftigen Mitgliederprotesten zurückgetreten, nachdem er sich noch Anfang Dezember von seinem Vorstand das Vertrauen hatte aussprechen lassen. Daß Namen von Repräsentanten des Ancien regime wie Kant, Holz -Baumert, Rudi Strahl überhaupt als mögliche Kandidaten genannt wurden, galt (auch wenn die Kandidaturen von den Vorgeschlagenen selbst nicht aufrechterhalten wurden) manchen TeilnehmerInnen als deutliches Zeichen dafür, daß die „wirkliche Erneuerung“ des Verbandes mehr als fraglich sei. Bezeichnend war jedoch, daß solche Kommentare die Pausengespräche und kaum die öffentlichen Debatten bestimmten.

Nach Programmvorstellungen war niemand gefragt worden, und selbst Insidern war ein Teil der verbliebenen 38 KandidatInnen völlig unbekannt. Joachim Walther, der Gegenkandidat von Rainer Kirsch, hatte sich eindeutig für eine Aufarbeitung der Verbandsgeschichte ausgesprochen. Als einer der beiden stellvertretenden Vorsitzenden wird er seine Position nun doch noch einbringen können.

Kurz vor Kongreßende befand Walter Flegel, der alte Vorstand habe es „verdient, daß man danke sagt“. Als er dies mit allerlei guten Wünschen für „viel Kraft“ für Hermann Kant verband, gab es heftigen, langen Beifall.

Christa Wolf meldete sich spät zu Wort, sprach von Zweifeln, ob dieser Verband sich in der alten Zusammensetzung erneuern könne, kritisierte aber auch, daß zu viele Klage geführt hätten, Opfer gewesen zu sein. Sie hätte es vorgezogen, ein wenig mehr über „rückwärtsgewandte Wehmut“ zu hören. Rainer Kirsch zitierte in seiner kurzen Schlußansprache Volker Braun, der seinerseits Stephan Hermlin zitiert hatte. Einer, der jetzt austreten will, sieht in dieser Reihung mehr als nur einen Zufall. Was hatte Volker Braun auf die Frage, was er nun von den Veränderungen halte, geantwortet? „Nichts wird besser.“

Anna Jonas