Ein Jahr Ausnahmezustand in Lhasa

■ Peking hält Tibet unter Ausschluß der Weltöffentlichkeit mit seinen Truppen unter Kontrolle / Verhaftungen, Prozesse und Folterungen halten an

Peking (dpa/taz) - Unter Ausschluß der Weltöffentlichkeit hält Peking mit seinen Truppen Tibet im militärischen Griff.

Während die amtliche Propaganda ein rosiges Bild vom angeblichem Glück der Tibeter und selbst der Gefangenen zeichnet, sieht die Wirklichkeit auf dem 'Dach der Welt‘ anders aus: „Verhaftungen, Prozesse und Folterungen gehen weiter“, konstatierte die amerikanische Menschenrechtsorganisation 'ASIA WATCH‘.

Ein Jahr nach Verhängung des Ausnahmezustandes in Lhasa sind die Sorgen der chinesischen Führung vor neuen nationalistisch motivierten Protestaktionen ebensowenig gewichen wie ihre Bereitschaft, dagegen mit Gewalt vorzugehen. Die Maschinenpistolen der Volksbefreiungsarmee haben eine trügerische Ruhe erzwungen.

Nackte Gewalt soll die buddhistischen Mönche und die Tibeter in Schach halten und von neuerlichem Aufbegehren gegen die chinesische Vorherrschaft abschrecken.

Nach der blutigen Niederschlagung der schwersten anti -chinesischen Unruhen seit 30 Jahren und dem daraufhin am 8. März 1989 verfügten Ausnahmezustand haben die Chinesen in Lhasa mit eisernem Besen gekehrt.

Die Region wurde für Ausländer - insbesondere für Journalisten - praktisch geschlossen, und die Chinesen haben sogar das Versiegen der drigend benötigten Touristendevisen in Kauf genommen, um ungestört ihre Politik durchsetzen zu können.Die Aussichten für eine Befriedung scheinen schlechter denn je.

Chinas Regierungschef Li Peng erklärte jüngst unverhohlen, alle separatistischen Aktivitäten müßten „schon im Keim erstickt werden“. Und Tibets Parteichef Hu Jintao rief vor dem Jahrestag des Ausnahmezustands, dem am 10. März der 31. Jahrestag des zusammengeschossenen tibetischen Volksaufstands von 1959 folgen wird, zur erhöhten Wachsamkeit auf, da die „separatistischen Kräfte innerhalb und außerhalb der Grenzen ihre Spalter-Aktivitäten noch nicht aufgegeben“ hätten. Im Klartext dürfte dies bedeuten, daß für die Truppen und Sicherheitskräfte höchste Alarmstufe herrscht.

Die Verhandlungspositionen zwischen dem im indischen Exil lebenden tibetischen „Gottkönig“, dem Dalai Lama, und der chinesischen Regierung haben sich indessen unüberbrückbar verfestigt.

Peking, das an seinem uneingeschränkten Souveränitätsanspruch nie hat rütteln lassen, protestierte verärgert und mit viel Donnerhall gegen die Verleihung des Friedensnobelpreises im Oktober 1989 an den Dalai Lama, dessen Rückkehr die meisten der gläubigen Tibeter erhoffen. Früher von beiden Seiten ausgesandte Signale zu einer möglichen Verständigung über den autonomen Status Tibets sind wieder totaler Konfrontation gewichen.

Edgar Bauer