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Schleichender Sozialabbau an der Humboldt-Universität

Berlin (taz) - Auch an der Alma mater zu Berlin kann man jetzt ein Phänomen beobachten, das seit einiger Zeit in vielen staatlichen Leitungen von Institutionen und Betrieben grassiert: die schnellbesohlten Neokapitalisten. Dem Rektor der Uni, Professor Hass, kommen dabei seine in 19jähriger SED-Mitgliedschaft antrainierten Verhaltensweisen zu Gute bedingungslose Anpassungsfähigkeit an gegebene oder sich abzeichnende Machtverhältnisse und ein jegliche Konzeption entbehrender Pragmatismus. Man erinnert sich noch gut daran, wie dankbar Herr Hass der damaligen SED- und FDJ -Kreisleitung im Oktober 1989 war, die das geplante Meeting von über 6 000 Studenten erfolgreich in sieben oder acht verschiedene Hörsäle dezentralisierten und so eine geballte Willensäußerung a la Peking verhinderten, gegen die der Rektor womöglich die im Keller bereitstehenden Kampfgruppen hätte einsetzen müssen.

Eben jener Mann sprach den sich am 8. März 1990 im Hauptfoyer versammelten Studenten (siehe taz vom 10. 3.) von Vernunft und Demokratie. Offensichtlich schien ihn die Zahl der Anwesenden, 100 bis 150 Studenten, diesmal nicht sonderlich zu beunruhigen. Nachdem der Sprecher des SSB nicht seinen Rücktritt forderte, sondern lediglich die Einbeziehung des Runden Tisches der Uni bei allen Entscheidungen über die Zukunft der HUB bis zur voraussichtlich am 4. 4. stattfindenden Rektorwahl, hatte der Rektor die Chance, seine Ansichten vorzutragen.

Das oberste Gebot, mit dem der Rektor alle Entscheidungen neuerdings begründen möchte, ist die Freiheit des Individuums, die Verwirklichung des verfassungsmäßig garantierten Rechts auf Bildung für alle. Es geht also um die Aufhebung des Numerus clausus. Die Studenten befürchten, daß westliche Universitätsverhältnisse bei Humboldts Einzug halten - überfüllte Hörsäle, Seminare, Bibliotheken und Mensen, keine ausreichenden Wohnheimplätze, Bafög statt Stipendium.

Doch da nach Meinung des Rektors die DDR kurz vor dem wirtschaftlichem Zusammenbruch stehe und nur mit Hilfe aus dem Ausland aus der Misere kommen kann, ist die Humboldt -Universität nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Zum Beispiel an BRD-Bildungsminister Möllemann, der ja nicht von ungefähr die HUB als erste Hochschuleinrichtung der DDR im Januar mit seinem Besuch beehrte. Das Signal für die westlichen Sponsoren sei die Öffnung der Universitäten. Rektor Hass kann sich gut vorstellen, daß die Humboldt-Uni nicht nur 12 000, sondern 20- bis 30 000 Studenten verkraften könne. Man muß konkurrenzfähig werden. Denn wie Michail Gorbatschow schon sagte: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ (Zitat Rektor)

Daß die staatliche Leitung nicht nur redet, sondern auch schon handelt, und zwar hinter dem Rücken des Studentenrates, bewies ein Student der Rechtswissenschaften am Beispiel der neuen Nutzungsvereinbarung für Studentenwohnheime. Diese strotzt vor restriktiven Maßnahmen, die eine vollständige Kontrolle der Wohnheime ermöglichen.

So ist zum Beispiel die Wohnheimleitung berechtigt, jederzeit jede Wohnung zu besichtigen und nach ihrem Gutdünken neue Schlösser in Wohnungstüren einzubauen. Sämtliche elektrische Geräte bedürfen einer Genehmigung der Wohnheimleitung. Die Stromrechnung begleicht jedoch der Student.

Desweiteren wird tunlichst vermieden, von Mietpreisen zu reden, es heißt im Formular Nutzungsentgelt. Dieses soll jedoch den ortsüblichen Miettarifen entsprechen, und die können hoch werden in Berlin. Außerdem muß diese Nutzungsvereinbarung jedes Studienjahr neu abgeschlossen werden. Das ermöglicht der Wohnheimleitung, erstens unliebsame Bewohner loszuwerden, und zweitens innerhalb eines vier- bis fünfjährigen Studiums mehrmals die Miete zu erhöhen. Bei Abschluß dieses Vertrages hat der Student bei der Wohnheimleitung eine Kaution zu hinterlegen, die bei Schadensersatzansprüchen des „Überlassers“ verrechnet werden kann. Die Höhe der Kaution steht noch nicht fest. Man spricht von 600 bis 2 000 Mark. Diese Kaution wird nicht verzinst. Einziges Recht des Studenten ist Einspruchsrecht bei Kündigung und zwar bei demjenigen, der die Kündigung veranlaßt, dem Wohnheimleiter.

Die Vordrucke für diese Nutzungsvereinbarung liegen schon in allen Wohnheimen und sollen ab Mai ausgefüllt werden.

K. P.

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