Ausgewogenheit und Vielfalt - wie soll sich das realisieren?

■ Zum Medienbeschluß der Volkskammer (Teil 3 / Angemessene Darstellung aller ist festgelegt / Es fehlen Aussagen, wer wozu verpflichtet ist / Presse der Parteien, Organisationen und Gruppen muß geschützt werden

Per Grundsatzbeschluß hat die Volkskammer das Recht aller staatlichen Organe, Parteien, gesellschaftlichen Organisationen und Gruppen, der Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie von Minderheiten auf angemessene Darstellung in den Medien niedergeschreiben. Zweifellos eine ehrenwerte und dem Widerspruch zwischen politischer und publizistischer Landschaft Rechnung tragende Deklaration. Aber wie soll sich das realisieren?

Soll nun jede Redaktion für sich selbst diesen Auftrag erfüllen? Kaum anzunehmen, daß sich zum Beispiel die SPD weitere Zeitungen schafft, wenn sie verpflichtet wäre, die Ideen der CDU angemessen darzustellen.

Wäre der Auftrag, alle angemessen darzustellen, auf die Medien schlechthin - also auf die Gesamtheit der journalistischen Unternehmen - bezogen, stellt sich eine andere Frage: Wonach soll entschieden werden, wie, und wer kontrolliert, ob alle Genannten eine angemessene Darstellung erfahren? Und wer soll das tun?

Wer in den Medien die Vielfalt politischer und weltanschaulicher Meinungen dargestellt haben möchte, muß als Gesetzgeber Vielfalt der Medien sicher. Um Ausgewogenheit zu erreichen, sind sowohl jene Medien notwendig, die direkt und unmittelbar Stimme einer politischen Kraft sind, als auch jene, die von politischen Parteien und Staat unabhängig sind und das gesamte Spektrum politischer Anschauungen veröffentlichen. Aber auch ein staatlicher Sektor (und sei es nur eine täglich erscheinende Zeitung) ist unentbehrlich.

Diese Formen werden sich neben dem gewinnorientierten Unternehmensbereich bewähren müssen. Erst in dieser Gesamtheit von Erscheinungsformen der Medien wird eine angemessene Darstellung aller möglich sein.

Doch schon jetzt ist Medienvielfalt gefährdet. Schon jetzt ist an den Kiosken Marktwirtschaft ausgehängt, kostendeckende Zeitungspreise machen den Leser beim Kauf wählerisch. Neue Titel feiern erstes Erscheinen, der Markt wird dichter. Die westdeutschen Presseriesen kommen mit weit mehr Erfahrungen - darin, niedere Bedürfnisse zu manipulieren und zu befriedigen. Sie kommen bunt und modern, ungewohnt und interessant.

Das steigende Angebot dezimiert die Leserschar der Traditionellen, deren Preise für Werbeplätze und Einzelexemplar steigen weiter, Modernisierungsversuche tun ihr übriges. Die Werbenden gehen zu den gutgehenden Blättern. Die schon immer in BILD oder BUNTE warben, werden es dort weiter tun, eine Anzeige für Kosmetik im „Stern“ ist nun mal glaubwürdiger als in der „Leipziger Volkszeitung“. Wo bleibt die politische Vielfalt? Marktwirtschaft ist doch zuerst Gewinnwirtschaft und nicht der Wettbewerb politischer Ansichten.

Bei solchen Aussichten kann das im Volkskammerbeschluß postulierte Gebot nur als Aufforderung verstanden werden, Medienvielfalt zu erhalten. Vorrangiges Ziel muß es sein, den die demokratische Öffentlichkeit konstituierenden, also politisch notwendigen Teil der Massenmedien, jenen, der für Willenbildung der Bürger unverzichtbar ist, als eigenständigen, nicht dem Markt und seinen Gesetzen unterworfenen Teil zu erhalten.

Die Presse der Parteien, Organisationen und Gruppen - in fast allen Marktgesellschaften zum Siechtum verurteilt - muß durch direkte oder indirekte Subventionen des Staates geschützt werden. Chancengleichheit wäre nicht erreicht, würden Parteien einen nach Anzahl der Wähler berechneten Beitrag zahlen. Dies würde neuen und kleinen Parteien den Zugang auf den Pressemarkt erschweren.

Eine auf den Titel bezogene Subvention ist notwendig. Denkbar wäre eine Festlegung, wonach generell alle Tageszeitungen zu einem Festpreis verkaufen werden und den Blättern der Parteien, Organisationen und Gruppen die Verluste zu erstatten sind. Diese Art Schutzmaßnahmen sind auch für jene Blätter gerechtfertigt, die parteiunabhängig sind, deren Beitrag zu politischen Willensbildung aber unbestritten ist (Gewerkschaftsblätter, Organe der Kirchen, Stadtblätter, politisch motivierte Privatinitiativen).

Dagegen sollten Gewinnunternehmen als solche behandelt werden. Gewinnsteuern sind zu erheben, Konzentrationsprozesse zu reglementieren, was die Offenlegung der Besitzverhältnisse und Bilanzen voraussetzt.

Geschützt werden müssen aber auch die öffentlich kontrollierten Medien. Rundfunk, Fernsehen und ADN sind als unabhängige Einrichtung unverzichtbar, um Vielfalt zu garantieren. Die Fragen der Finanzierung - Gebühren, Subventionen, Werbe- und andere Einnahmen - müssen schnell geklärt werden. Um die Werbezeiten des Fernsehens festzulegen, könnte man die für Westeuropa ausgehandelten Regelungen zum Vorbild nehmen. Darunterliegende, selbstkasteiende Werbequoten programmieren Marktnachteile vor. Der Staat muß nicht nur die Staatsunabhängigkeit dieser Einrichtungen garantieren, sondern die Unabhängigkeit schlechthin. Brauchte es für das eine nur einen politischen Akt, braucht es für das andere vor allem Geld.

Um alles das schnell zu regeln, benötigen Medienmacher und

-nutzer einen arbeitsfähigen und arbeitenden, das heißt endlich Ergebnisse vorlegenden Medienkontrollrat. Dessen Qualität wird sich nicht nur aus Demokratieverständnis und -fähigkeit seiner Mitglieder ergeben, auch aus seiner Zusammensetzung. Wenn er dieselben parteipolitischen Mehrheitsbildungen erlaubt wie ein kleines Parlament, dann wird er lediglich Regierungspolitik machen und durchsetzen.

Wenn es darum geht, die Vielfalt trotz des Marktes zu erhalten, wird man sich kaum auf jene Parteien verlassen können, die sich schon jetzt dem Markt ergeben haben. Gefordert sind die Linken in Parteien und anderswo, die Journalisten und Verleger, gefragt sind die Leser und Zuschauer.

Claus Frank