Intellektuelle ja, aber kein Papier

■ Das Imperium des Verlages „Junge Welt“ und sein neuer Direktor / Alles wie in Blei gegossen

Andreas Keil

Die Blümchentapete im Vorzimmer des neuen Verlagsdirektors Wolfgang Titze (ehemaliger Chefredakteur beim Jugendmagazin „Neues Leben“) diente, nämlich mindestens 15 Jahre. Das Haus in dieser Nische von Berlin-Mitte, geschützt vom benachbarten Ministerium des Innern, ist so geräumig wie, gelinde gesagt, schmuddlig. Werbung für die weggeworfenen Frühstücksbrote der Klasse 4a, weggeworfene Frühstücksbrote, die jahrzenhtelang in moralischen landesweiten Feldzügen gerügt wurden. Titze ist in der zweiten Wahlrunde von der Belegschaft als Verlagsdirektor bestätigt worden. In der ersten, schlecht vorbereiteten, bei der einzelne mit zehn Zetteln Wahlbetrug trieben und die Journalisten zum Beispiel der „Jungen Welt“ nicht da waren, ging's chaotisch zu. Die zweite verlief demokratisch, freilich nach Maßgabe dessen, ob der Kandidat vielleicht schon mal auf dem Gang nicht gegrüßt hatte oder gar als Choleriker bekannt war.

Der Verlag beherbert ein ganzes Imperium an Zeitungen und Zeitschriften für die jungen Revolutionäre. Klangvolle Namen: 'Junge Welt‘, 'Junge Generation‘ (jetzt 'Pep‘), 'Neues Leben‘, 'Jungend und Technik‘, 'ABC-Zeitung‘, 'Bummi‘...‘ Wer kennt sie nicht! Hier sitzen die Redakteure und ihr Chef. Und er, Wolfgang Titze, gab Auskunft über den Verlag, über seine Perspektive und Vergangenheit.

Frage: Es bestand die Idee, die Studentenzeitschrift „Forum“ wieder herauszugeben. Warum wurde das „Forum“ eingestellt?

Wolfgang Titze: Ich kenne die Gründe, die zur Einstellung führten. Mit 20 000 Exemplaren war sie damals nicht rentabel. Das war aber nicht der Hauptgrund. Die Redaktion war zu aufmüpfig gegenüber dem Zentralrat. In der letzten Ausgabe, das hab‘ ich noch miterlebt, wurden ihr gleich sieben gravierende Fehler vorgeworfen.

Da war Krenz Erster Sekretär des Zentralrats?

Titze: Ich glaub‘ ja ... Und dann die Frage Einsparung Papier, da fand die FDJ einen guten Grund, das „Forum“ herzugeben. Man gab freiwillig ein bißchen Papier ab. Aber der Auslöser war die politische Kritikfähigkeit und der Wille, sich durchzusetzen. „Forum“ war ja traditionell immer eine Redaktion, die Schwierigkeiten gemacht hat, vom ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur Bahro angefangen ...

Und jetzt?

Nach dem November '89 tauchte die „Forum„-Idee wieder auf. Ich kenne viele Redakteure der alten Redaktion, die begeistert mitgearbeitet hätten. Wir haben immer drauf gewartet, daß der Zentralrat mal zu uns käme. Wir haben vorgeschlagen, daß sie vielleicht mal an den Verlag herantreten müßten, da das Blatt ja vielleicht durch Fachleute, also uns, gemacht werden müßte. Da kam nichts. Dann lag uns ein Kurzkonzept einer Arbeitsgruppe des Zentralrats vor, das war dilletantisch. Kein Profil, nicht mal Druckfragen geklärt, völlig falsche Daten. Ich hab‘ den Verantwortlichen für Agitation beim Zentralrat, Ivo Reuter, gefragt, wer das erarbeitet hat, er sagte: Damit haben wir nichts zu tun, das hat irgendwer gemacht. Wir hatten es schon lange satt, nur Dienstleistung des Zentralats mit Aurich zu sein ... Wir waren offen, mit dem Vvorschlag zu arbeiten, unsere Grundbedingung: keine Zeitung für wenige intellektuelle Interessierte, und professionell angefaßt! Wir können in Zukunft nicht verantworten, wie es früher beim „Forum“ war. Dieser tollen Truppe und dem „Forum“ als Organ hab ich zwar nachgeweint ...

Und was war das Dillettantische an der „Forum„-Arbeit?

Das haben Leute gemacht, die keine Sachkenntnis hatten, das waren einfach, ich denk‘ mir das jetzt mal so, ein paar Studenten und ansonsten FDJ-Funktionäre, die sich anmaßten, eine Zeitung zu machen. Das erlebe ich jetzt bei Neugründungen von Zeitungen immer wieder. Daß jeder meint, er könne eine Zeitung machen ... Meine Vorbehalte gegen das „Forum“ sind: Es sollte kein Intellektuellenblatt werden, wo sich wenige austanzen und sich selbst verwirklichen. Diesem Konzept wäre ich nicht gefolgt, wir hätten ein Gegenkonzept gehabt, das darauf hinausläuft, wenigstens 100 000 Studenten anzusprechen. Aber es gibt ja auch international keine überregionale Studentenzeitung.

Doch, zum Beispiel die „Roten Blätter“.

Die sind auch bloß subventioniert ... Damals spielte ja das Geld keine Rolle, es spielte auch keine Rolle, ob es jemand gelesen hat. Das alte „Forum“ hatte eine Auflage von 40 000, für ganze 5 000 gab's wirklich Käufer.

Was wäre gewesen, wenn die Ost-taz gekommen wäe mit dem Vorschlag, sie im Verlag „Junge Welt“ herauszugeben?

Die West-taz war hier. Die haben angesprochen, eine Ost-taz zu gründen. Aber nicht etwa mit uns, nein, über uns. Was sie wollten, war Papier und Druckkapazität, sonst nichts. Und so ein Angebot ist für mich als Geschäftsmann indiskutabel, da kann ich ja sagen: Ich mach's selber. Wenn, dann mit uns gemeinsam, da wäre ich sehr interessiert gewesen.

Und was wird aus dem Verlag insgesamt?

Unsere „Junge Welt“ hat eine Tagesauflage mit 1,6 Millionen Exemplaren, das gibt's ja kaum in der Welt. Auf Rückgang sind wir mit den neuen Preisen im April vorbereitet. Kinderpublikationen ... wird man sehen. So wie die Produktionen jetzt sind, bleiben sie nicht. Intellektuelles Potential, ja, haben wir, aber kein Papier. Unser Problem ist die Ausstattung, sind die objektiven Bedingungen, der Neuentwurf, Druckverfahren. Manche Produkte brauchen zwei bis fünf Monate, um gedruckt zu werden. So ist's in diesem Land immer noch. Wir sind leider nicht so versorgt wie Elf 99.

Und die objektiven Bedingungen: die Redakteure bleiben die alten?

Jeder hat die Chance hier zu arbeiten, hier wird keiner rausgeworfen, das hat was mit dem Sozietätsverständnis der Belegschaft zu tun. Wir entlassen niemanden, der arbeiten will. Wir arbeiten jetzt halt wie die Besessenen. Wir machen schon was Neues, zum Beispiel „Pep“, Podium unserer Probleme, das hat die ehemalige Redaktion von der „Generation“ übernommen.

Verstehen sie mein Lächeln?

Na ja ...

Die Alten nehmen neue Posten ein, was kommt dabei heraus. Wie gearbeitet wird, interessiert nicht. Sozialfürsorge plus marode Technik plus Nullinvestition geht über Leser-Leichen. Ein willkürlicher Blick in eine neuere Nummer der„Trommel„; Reformer sind am Werk: das „Wunschbild“ diesmal mit dem Eichhörnchen; ein Porträt des Newcomers Hendrik Bruch; eine ganze Seite für und über „Alf„; eine Öko-Seite über Thermoplastabfälle und unter dem Titel „Wir melden und erklären“ eine Leserzuschrift „Ich möchte auf keinen Fall eine Wiedervereinigung!“ Dagegen allerdings im Oppositionsblatt ABC-Zeitung ein Schülergedanke aus Dresden: „Mir gefällt das Halstuch nicht!“.

Alles in Blei gegossen, kein Licht-Blick. Auch weiterhin wird die berühmte Frau Feustel sowohl dem Bummi- als auch dem ABC-Zeitungsbeirat beiwohnen. Im April spätestens, wenn die Preise anziehen, werden Millionen Exemplare in die Makulatur gehen, sage ich voraus. Oh, ich bin traurig. Wer weiß, was uns aus den anderen deutschsprachigen Wäldern an Kinderblättern heranrauscht?! „Jedenfalls so einfach dem Westen verkaufen wir uns nicht“, sagt der Verlagsdirektor zum Abschluß, „in der Sommerferienzeit werden wir es wissen ... wenn wir untergehen, dann erhobenen Hauptes!“