Geheimwaffe für die sowjetische Wirtschaft

■ Joint ventures - Grauzone in der sowjtischen Gesetzgebung für die Zulassung ausländischen Kapitals / Emissäre preisen Gemeinschaftsunternehmen / Der Westen ist ungenügend auf Besonderheiten sowjetischer Realität vorbereitet / Einführung von Hochtechnologien in der SU erwiesen sich als unrealistisch

1986 sprachen die Machthaber im Kreml erstmals von der Möglichkeit, Joint ventures mit ausländischen Firmen einzugehen. Beabsichtigt war, der krisengeschüttelten Volkswirtschaft einen neuen Impuls zu verleihen und zugleich der Bevölkerung schnelle Erfolge der Perestroika-Politik Gorbatschows vorzuweisen. Viele einfache Menschen im Sowjet -Imperium glaubten damals der leninschen Mär, wonach die Kapitalisten selbst den Strick liefern würden, mit dem sie letzten Endes gehängt werden würden. In der Sowjetunion gibt es bisher keine speziellen Gesetze, die es gestatten, ausländisches Kapital heranzuziehen. Jedoch wurden in Form von Regierungsbeschlüssen und Regelungen schrittweise die Voraussetzungen geschaffen, damit sich ausländische Firmen in der SU an gemeinsamen Unternehmen beteiligen können.

Damit sollten hauptsächlich folgende Ziele erreicht werden: bessere Befriedigung des Bedarfs an strategischen Erzeugnissen, Umgehung der COCOM-Bestimmungen, Übernahme westlichen Know-how, effizientere Nutzung finanzieller und materieller Ressourcen des Westens, Entwicklung des Exports und die Einschränkung von unrentablen Importen.

Trotz vielfältiger und intensiver Bemühungen der Sowjets, häufig sogar des Kremlherrn selbst, haben die Joint ventures noch keinen spürbaren Einfluß auf die Belebung und Modernisierung der am Boden liegenden Volkswirtschaft und des Exports gewonnen. Und die Moskauer Emissäre werden nicht müde, in Worten die enormen Vorteile - riesige Rohstoffressourcen, billige Arbeitskräfte, keine gewerkschaftlichen Quertreiber - zu preisen, die die gemeinsamen Betriebe nutzen könnten.

Die gesamtvolkswirtschaftlichen Konditionen sind inzwiscvhen sogar noch schlechter geworden. Niemand weiß, ob der Untergang überhaupt noch aufgehalten werden kann. Ende 1989 waren 1.274 Gemeinschaftsunternehmen aus 55 Ländern, davon knapp 140 mit osteuropäischen Firmen, registriert.

Im Oktober 1987 waren es lediglich 13, im August 1988 - 60 und im November 1988 schon - 143. 1989 hat dann eine wahre Flut von Firmengründungen eingesetzt, nachdem weitere Erleichterungen eingeführt wurden.

Das Stammvermögen dieser Firmen betrug mit dem ersten Januar 1990 3,3 Milliarden Rubel. Die Einlagen der ausländischen Partner in Form von modernen Ausrüstungen, Technologien und Valutamitteln beliefen sich auf 1,4 Milliarden Rubel. Bisher haben jedoch nur 250 der eingetragenen Firmen die Geschäftstätigkeit wirklich aufgenommen.

Die Ursachen hierfür liegen vor allem in der Unsicherheit der Partner, in der fehlenden Möglichkeit des Retransfers der Gewinne, besonders in frei konvertierbaren Währungen und dem oft egoistischen Herangehen der einheimischen Bürokraten an die Interessen der ausländischen Partner.

Bei fast allen westlichen Investoren hat sich dadurch eine große Zurückhaltung breit gemacht, wenn es um umfangreichere Kapitalanlagen geht. Daraus resultiert, daß bisher nur 4,9 Prozent der Joint ventures im Maschinenbau und 4,4 Prozent in der Lebensmittelindustrie angesiedelt sind.

Die Masse der Gemeinschaftsunternehmen entfällt mit 32,5 Prozent auf Handel, Tourismus, Leichtindustrie und 30 Prozent auf Engineering, Forschung und Entwicklung, Beratungs- und Entwicklungsleistungen. Diese Struktur widerspiegelt in hohem Maße die Lage der UdSSR - die ausländischen Partner streben wegen des fehlenden Großhandels, des Warendefizits und des nichtkonvertierbaren Rubels danach, Betriebe mit geringem finanziellen und materiellen Aufwand zu gründen.

Die meisten Joint ventures haben einen Statutenfonds unter 0,5 Millionen Rubel. Vorstellungen, daß mit den gemeinsamen Betrieben Hochtechnologien in die UdSSR eingeführt werden könnten, erwiesen sich bis auf minimale Ausnahmen als unrealistisch.

Eine andere Schwierigkeit tut sich auf: Viele Sowjets holen zu spät oder überhaupt keine Informationen über die westlichen Firmen, über deren Liquidität, Marktanteile und anderes ein. Das führte schon mehrfach zu Problemen nach der Gründung des gemeinsamen Betriebes bis hin zu dessen Wiederauflösung.

Aber auch für den westlichen Partner fällt es oft schwer, Informationen über Bonität und Leistungsqualitäten seines künftigen Teilhabers zu erhalten. Hinzu kommt, daß der Westen nur ungenügend auf die Besonderheiten der sowjetischen Wirklichkeit vorbereitet ist und zu wenig Insiderkenntnisse über den Umgang mit der russischen Bürokratie verfügt. So kommt es, daß 90 von 100 ausländische Unternehmen, die zu Verhandlungen nach Moskau kommen, nach ersten Kontaktversuchen kapitulieren und nicht mehr an einer Zusammenarbeit interessiert sind.

Den Spitzenplatz bei Joint ventures nehmen BRD-Firmen mit über 155 vor Finnland und den USA ein. Westberlin ist mit 16 Gemeinschaftsunternehmen vertreten. Weitere 60 bundesdeutsche Firmen haben feste Absichtserklärungen abgegeben.

Diese Tendenz hat insbesondere seit dem BRD-Besuch Gorbatschows im vergangenen Sommer einen weiteren Aufschwung erfahren. Firmen wie Böwe, Heinemann, Salamander, Schieß AG und andere haben gut florierende Produktionslinien eingerichtet, aus denen sie Gewinne in Rubel und frei konvertierbarer Währung erwirtschaften. In der Bundesrepublik sind 18 Firmen angesiedelt, die sowohl sowjetisch-bundesdeutsche Joint ventures, aber auch vollständig im russischen Besitz sind. Dazu gehören die Ost -West Handelsbank AG, KG Bominflot, Deutsche LADA GmbH und Neotype Techmaschexport GmbH. Diese durchaus soliden Firmen tragen in nicht geringem Maße dazu bei, für die Sowjets „Devisen“ zu erwirtschaften und russische Produkte günstig abzusetzen.

Die DDR steht im Vergleich mit der BRD und auch international mehr als bescheiden da. Es gibt nur zwei gemeinsame betriebe mit der Sowjetunion: das nach dem Krieg geschaffene Uranunternehmen „Wismut“, das Uran für die ersten Atombomben der SU aus den Erzgebirgischen förderte, und der 1989 eingerichtete Soft-Ware-Betrieb „Zentron“ mit Sitz in Tallinn.

Der Wettlauf um die besten Marktanteile in der SU hat begonnen. Die Ergebnisse der ersten zwei Monate des Jahres 1990 bestätigen das eindrucksvoll. Das um so mehr, da die Entscheidungen in Richtung Marktwirtschaft und bürgerlicher Demokratie noch in diesem Jahr durch den Kreml verabschiedet werden sollen.

Klaus Walter