Bericht der AG Sicherheit am Runden Tisch Berlin

■ Stand vom 14. März 1990 / Schwierigkeiten bei der Auflösung der Stasi

Das ehemalige MfS ist nach den Feststellungen des Zentralen Bürgerkomitees des Runden Tisches praktisch aufgelöst. Damit kann davon ausgegangen werden, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine zentralgeleitete Arbeit mehr möglich ist. Ehemalige MfS-Mitarbeiter haben sich um Arbeit bemüht und sind in wichtigen Bereichen der Volkswirtschaft eingesetzt. Unklar ist bisher die Übernahme verantwortlich leitender Mitarbeiter des MfS in die Volkswirtschaft sowie einzelne Entscheidungen bei der Übergabe von Objekten und Ausrüstungen.

Übergabe von MfS-Objekten an zivile

Einrichtungen und bewaffnete Organe

Die durch zentralen Organe an das Bürgerkomitee übergebenen Objektlisten erwiesen sich im Nachgang als sehr unvollständig.

Durch Bürgerinitiativen und Einzelmitteilungen aus der Bevölkerung konnten diese Listen ergänzt werden. Ebenfalls gestützt auf Hinweise an die AG Sicherheit konnten Unregelmäßigkeiten bei der Übergabe von Objekten festgestellt werden. Häufig haben Leiter ehemaliger MfS -Dienststellen unter Umgehung der geltenden Beschlüsse der Regierung und des Runden Tisches die Übergabe von Objekten an Betriebe und staatliche Institutionen eingeleitet.

Im Stadtbezirk Pankow werden durch einen Sonderbeauftragten des Bürgermeisters die Anträge für die MfS-Objektvergabe bearbeitet. Diese zu vergebenden Objekte wurden nicht öffentlich bekanntgegeben.

Für die Vergabe der 11 Objekte wurden nur 55 Anträge berücksichtigt, obwohl etwa 2 000 Anträge vorlagen. Die 55 Antragsteller hatten sich über die Objekte informiert und konnten gezielt ihre Anträge formulieren. Durch die AG Sicherheit wurde erreicht, daß alle Anträge geprüft werden.

Übernahme von Mitarbeitern in staatlichen Betrieben

In vielen Betrieben des Dienstleistungssektors (KWV, Post) sind zusätzliche Mitarbeiter aus dem Personalbestand des ehemaligen MfS eingestellt worden, obwohl abzusehen ist, daß bei den zu erwartenden Strukturveränderungen mit Reduzierungen der Mitarbeiterzahlen zu rechnen ist. Das führt zu Unsicherheiten bei den Beschäftigten im Hinblick auf die künftige Arbeitsplatzsicherheit.

In den Fernsprechämtern der Deutschen Post wurden MfS -Mitarbeiter in sensiblen Bereichen, wie Endvermittlungsstellen, Hauptverteilerstellen, zentrale Entstörungsstellen, Sprechstellenbau und der Stromversorgung, aber auch in der allgemeinen Verwaltung, eingestellt. In einigen Bereichen arbeiten bis zu 25 Prozent ehemalige Mitarbeiter des MfS. Für diese bestehen so Möglichkeiten des Zugriffs zur zentralen Rufnummerkartei, der Einschaltung in Gespräche, der Verfügung über Generalschlüssel zum Betreten aller Räume, auch außerhalb der Arbeitszeit, und der Unterbrechung des Fernmeldebetriebes durch Unterbrechung der Stromversorgung.

Bei den Neueinstellungen handelt es sich um qualifiziertes Personal, das entsprechend umgeschult werden soll. Die Mitarbeiter der Post sind über die Neueinstellungen weder befragt noch informiert worden. Obwohl kein weiterer Personalbedarf besteht, sind weitere Einstellungen vorgesehen. Dazu wurden Planstellen geschaffen. Die Bezahlung liegt zum Teil über den Tarifen, die für derartige Tätigkeiten gezahlt wurden.

Umwandlung von MfS-Betrieben

Besorgniserregend ist die komplette Übernahme von Objekten, einschließlich der Mitarbeiter und der Struktur des ehemalgen MfS, in neue Rechtsträgerschaft. Auf diese Weise werden die Beschlüsse des Runden Tisches zur Auflösung des MfS unterlaufen.

So wurde das Objekt Hans-Loch-Straße 2 (Fahrbereitschaft des Ministerrates), vom Dienstleistungskombinat des Ministerrates übernommen. Durch den Wirtschaftsrat des Bezirkes wurde mit Unterstützung der AG Sicherheit des Runden Tisches Berlin festgelegt, daß die Versorgungseinrichtungen unter neuer Rechtsträgerschaft für den Bevölkerungsbedarf arbeiten sollen. Tatsächlich wurde aber das gesamte Objekt und Personal übernommen und für den Betrieb des Objektes eingesetzt. Nur ein geringer Teil der Kapazität wurde der Bevölkerung zur Verfügung gestellt.

Ein weiteres Beispiel ist das Rechenzentrum des MfS Wuhlheide, bei dem sechs Großrechner und etwa 360 Mitarbeiter geschlossen von der Interflug übernommen wurden.

Verbleib von Ausstattung, Inventar und Immobilien

Bei der Auflösung des MfS ist, insbesondere aus kleineren Objekten, die nicht unter Kontrolle von Bürgerkomitees standen, ein Teil der Geräte und Ausrüstung durch Angehörige des ehemaligen MfS vor der Übernahme durch andere Nutzer entfernt worden. Hinweise dafür gab es aus der Bevölkerung. Überprüfungen ergaben, daß es sich unter anderem um Rechentechnik, Meßgeräte, Importelektronikbauelemente, aber auch hochwertige Konsumgüter, handelte. So wurden bei einer Kontrolle durch die AG Sicherheit in der Köpenicker Allee 19 (Entwicklungsstelle Gebäudesicherung), die auf einen telefonischen Hinweis erfolgte, Räume für die rechnergestützte Leiterplattenentwicklung, Meßlabors und Lagerräume vorgefunden, die offensichtlich hastig geräumt worden waren. Aus Beschriftungen an Räumen und Schränken und den zurückgelassenen Materialien konnte auf die rühere, nicht mehr vorhandene, moderne Ausrüstung geschlossen werden. Nach Angaben von Anwohnern sind anfang Februar während mehrerer Fahrten in den Nachtstunden Kartons mit einem PKW Wartburg-Tourist abtransportiert worden..

im Objekt Prenzlauer Allee 6 wurden Einrichtungsgegenstände mit einem VW-Bus abtransportiert. Ein Mitarbeiter des MfS gab bei der Kontrolle an, die Beräumung erfolge in Abstimmung mit dem Runden Tisch Berlin, was nicht den Tatsachen entspricht, und der Vesorgungseinrichtung des Ministerrates. Der wesentliche Teil der Einrichtung war vor Sicherstellung durch die AG Sicherheit bereits geräumt und, wie aus vorgefundenen Schriftstücken ersichtlich, an Privatpersonen billigst verkauft. Der Verbleib des Erlöses konnte nicht ermittelt werden.

Informelle Mitarbeiter in leitenden Funktionen

Zahlreiche Hinweise zeigen, daß Mißtrauen gegenüber leitenden Mitarbeitern in Betrieben besteht, von denen angenommen wird, daß sie als informelle Mitarbeiter des MfS gearbeitet haben. Durch den Runden Tisch beziehungsweise die künftige Regierung sollten Festlegungen getroffen werden, ob informelle Mitarbeiter weiterhin Leitungsfunktionen ausüben sollten und wie die Überprüfung derartiger Hinweise aus den Betrieben erfolgen könnte.

Beschlüsse zum Verkauf von Immobilien

Ein sehr großes Problem stelle der Ministerratsbeschluß vom 14. 12. '89 dar, der Funktionären aus Partei und MfS, die in Villen sowie 1- und 2-Familien-Häusern wohnen, ein Vorkaufsrecht dieser Objekte des MfS und der Versorgungseinrichtung des Ministerrates zusicherte. Dies konnte zwar durch den Beschluß des Zentralen Runden Tisches zurückgewiesen werden, die Durchsetzung der Aufhebung dieses Beschlusses erfolgte aber im allgemeinen nicht. Da bei diesem Beschluß geltendes Recht gebeugt wurde, ließ es sich die Volkskammer auf ihrer letzten Tagung nicht nehmen, dazu ein Gesetz zu verabschieden, daß auch den Ministerratsbeschluß nachträglich legalisiert, und damit auch die bisher vollzogenen Verkäufe. Durch einen Beschluß des Ministerrates (Durchführungsbestimmung) zur Personalaktenüberarbeitung in Betrieben und Einrichtungen, wird es in Zukunft sehr schwer, wenn nicht unmöglich, auch derartige Handlungen zurückzuverfolgen.

Zur Arbeit der AG Sicherheit des Runden Tisches Berlin

Durch die Mitglieder der AG Sicherheit wurden insgesamt 1 192 Hinweise zu MfS-Objekten bearbeitet. Es gingen etwa 350 telefonische Hinweise bei der AG ein, davon etwa 100 zu bekannten Objekten, ebenfalls etwa 100 zu neuen MfS -Objekten. 100 Anfragen gingen zu Personen und Vorgängen ein und etwa 50 zu persönlichen Problemen.

Fazit der AG Sicherheit

Durch die Staatsanwaltschaft, in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei, ist der Diebstahl von Eigentum des früheren MfS zum persönlichen Vorteil zu verfolgen und die strafrechtlichen Schlußfolgerungen zu ziehen. Es ist zu verhindern, daß zu einem späteren Zeitpunkt ehemalige MfS -Mitarbeiter private Unternehmen mit Material und Ausrüstungen aus MfS-Beständen gründen. Die durch den Verkauf von Gegenständen erzielten Gelder sind an den Staatshaushalt abzuführen. Der Magistrat von Berlin muß aufgefordert werden, durch geeignete Maßnahmen die Realisierung der Beschlüsse des Runden Tisches Berlin und zentral zur Auflösung des ehemaligen MfS durchzusetzen.

Anlehnend an die Empfehlung des zentralen Runden Tisches zur Schaffung von Vertrauensverhältnissen in den Betrieben, rufen wir die Werktätigen auf, über ihre Interessenvertretungen das Mitspracherecht zu allen Entscheidungen über die betrieblichen Belange durchzusetzen.