Deutsche Linke braucht neuen Auftrieb

■ Erste Schritte: Gesetzentwurf zur Abschaffung des Wehrdienstes, Vorbereitung der Kommunalwahlen / BILD-Vorwurf völliger Schnee und Blödsinn / Für die Leitung der Partei keine Chance auf Demokratie

taz: Welche Prioritäten setzt sich die Oppositionspartei PDS in den kommenden Monaten Priorität?

Gregor Gysi: Gesetzgebungsinitiativen, das Öffentlichmachen von Fragestellungen, die sich aus Gesetzgebungsvorhaben der neuen Partei ergeben, und das Einbringen von Kompetenz in die Ausschüsse, um so viel wie möglich im Interesse von Demokratie und Ökologie, Wirtschaftlichkeit und vor allem sozialer Sicherheit einbringen zu können. Und die Vorbereitung der Kommunalwahlen.

Von Ihnen stammt der Vorschlag für die Aufhebung des Wehrdienstes. Bleibt die PDS dran?

Wir werden diesbezüglich sogar einen eigenen Gesetzentwurf einbringen.

Welche Chance sehen Sie, für sein Durchkommen?

Gute. Ich weiß nicht, wie man zum Beispiel Mitglied einer Christlich-demokratischen Union in der DDR sein kann mit all den Forderungen in der Vergangenheit - wenn Sie einmal an die Auseinandersetzungen zu den Gesamtfragen von Wehrunterricht und Militär denken -, wie man aus einer solchen Position heraus jetzt plötzlich gegen die Abschaffung der Wehrpflicht stimmen will, ohne jeglichen Rest ab Glaubwürdigkeit zu verlieren.

In Hamburg wurde kürzlich die West-PDS gegründet. Gibt es dorthin Kontakte?

Nein.

Welche Aussichten hat die PDS in einem vereinigten Deutschland?

Gute. Weil die deutsche Linke einen neuen Auftrieb braucht, weil sie auch irgend eine Aktionsgemeinschaft benötigt, um überhaupt eine Chance in einem vereinigten Deutschland zu haben. Wenn sie diese Chance nicht erkennt, wäre das eine Katastrophe. Ich glaube aber nicht, daß sie diese Chance vorbeiziehen läßt.

Einige Grüne in der Bundesrepublik können sich eine Zusammenarbeit mit der PDS vorstellen. Wie stehen Sie zu einem rot-grünen Bündnis?

Ich hoffe, daß die Grünen insgesamt Chancen zur Zusammenarbeit mit der PDS sehen.

Die Ost-Grünen haben sich davon distanziert.

Ich meinte zunächst mal die West-Grünen. Was die Grünen in der DDR betrifft, so wird sich zeigen, daß es so häufig in der Sache Übereinstimmung gibt, daß man eine Art gemeinsame Aktion einfach bilden muß. Das sind doch auch ein bißchen Profilierungsängste, was einfach damit zusammenhängt, daß man mit der Geschichte der PDS nicht identifiziert werden will. Wir sind ja die einzigen, die sich zu ihrer Geschichte bekennen. Das bringt uns viel Kritik ein, aber es gibt uns eine einmalige historische Chance zur Ehrlichkeit. Und außerdem lebt es sich mit der Geschichte auch wieder gar nicht so schlecht, wenn man sie bis hinein ins letzte Jahrhundert verfolgt - wenn ein bißchen historischer Abstand da ist und die Prozesse differenzierter beurteilt werden können.

Die PDS hat im zurückliegenden Wahlkampf vor allem von zwei Namen gelebt: Gysi und Modrow. Die Personaldecke in der PDS -Führungsspitze ist dünn. Wie fühlt man sich als einsame Gallionsfigur?

Ich glaube, daß das ein Irrtum ist. Unsere Personaldecke ist wohl im Vergleich zu den Personaldecken anderer Politiker riesig. Die größeren Parteien, die Mutterparteien in der Bundesrepublik haben, waren ja nicht mal in der Lage, überhaupt etwas mit eigenen Politikern zu bestücken und mußten sich überwiegend mit westlichen Politikern aushelfen.

Und zweitens, wenn dieses Bild so entstanden ist, so stimmt es auch von der Sache her nicht. Wir haben lauter Volkskammerkandidaten, die eine hohe Fachkompetenz präsentieren. Aber hier sehen Sie einfach die Macht der vierten Gewalt, nämlich der Medien. Wenn die Medien nur zwei Personen verfolgen, dann kommen eben auch nur diese zwei Personen herüber.

„Die Zukunft hat zwei Namen: Gysi und Modrow.“ Das ist ein Sruch der PDS.

Da hat sich die PDS dann nach den Medien gerichtet. Ob das nun richtig ist, weiß ich nicht.

Ein Kommentar zum BILD-Vorwurf?

Das ist einfach völliger Schnee und Blödsinn. Welches Interesse sollte denn die PDS daran haben, irgendwelche Daten zu haben? Wir sind nicht das Schutzorgan der ehemaligen Mitarbeiter des MfS. Und was zum Beispiel Salzgitter betrifft, so ist das eine Angelegenheit zwischen beiden Regierungen, damit hat die PDS überhaupt nichts zu tun. Und außerdem muß die BILD-Zeitung uns ja für bescheuert halten, es gibt in der PDS überhaupt keine vertraulichen Materialien mehr, das ist sämtlichst abgeschafft. Ein vertrauliches Material heute an 15 Bezirksvorstände zu verschicken, wenn man weiß, daß jedes Dokument innerhalb von 24 Stunden bei der BILD-Zeitung ist, dazu müßte man ja auch restlos bekloppt sein. Und einen solchen Grad an Intelligenz kann man mir immerhin zutrauen, daß, wenn ich so etwas vorhätte, das so ganz bestimmt nicht handhaben würde.

Außerdem hatten wir gerade in dieser Zeit ganz andere Sorgen. Die Partei ging im Januar/Februar ihrem Ende entgegen, und dann stand für uns der Wahlkampf im Vordergrund und nicht die Materialien irgendwelcher offizieller oder inoffizieller Mitarbeiter des MfS.

Aber das ist ja nichts Neues. Als die Sache mit dem Demokratischen Aufbruch begann, hat ja auch der Generalsekretär des DA versucht, das Herrn Modrow und Herrn Gysi in die Schuhe zu schieben. Das ist innerhalb von 24 Stunden geplatzt.

Noch immer hört man von vielen Seiten den Vorwurf, die PDS hätte von der SED nicht nur das Geld, sondern auch viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter übernommen. Sie verwiesen mit Recht darauf, daß die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter in die Gesellschaft integriert werden und auch die Möglichkeit erhalten müssen, politisch zu arbeiten.

Welche Garantien sehen Sie für die PDS, daß sie nicht früher oder später in einen Skandal verwickelt wird wie der Demokratische Aufbruch?

Die Frage verstehe ich nicht. Wir haben niemand ausgeschlossen, bloß weil er Mitarbeiter des MfS war. Viele sind allerdings von sich aus gegangen, weil sie enttäuscht waren und sich von dieser Partei verraten fühlten. Nicht wenige von ihnen haben inzwischen versucht, eine Laufbahn beim BND einzuschlagen. Andere arbeiten oder sind arbeitslos und versuchen, sich in das gesellschaftliche Leben zu integrieren. Und dann muß man auch diese Mitarbeiter differenzieren und kann sie nicht alle über einen Kamm scheren. Wenn wir von einem Mitglied der Partei erfahren, daß er Gesetze oder die Würde des Menschen verletzt hat, dann werden wir die Konsequenzen ziehen. Aber wir fangen keine Razzien an.

Wir hatten eine Gruppe, die Volkswirtschaftsvernbrechen bekämpfte, darunter ausschließlich im Außenhandel und so weiter. Und wir hatten eine Gruppe für Spionageabwehr. Da haben wir allerdings auch einen großen Bereich, der sich, das kann man schon sagen, mit der Bespitzelung von DDR -Bürgern befaßt hat, und dieser Bereich ist unangenehm und überflüssig. Aber die anderen Bereiche hätte man natürlich irgendwie nutzen müssen, sie wären auch für die Rechtssicherheit unseres Landes wichtig gewesen. Wir werden da auch noch die Erfahrung draus ziehen müssen.

Und dann kann man ein Volk nicht auswechseln. Es gibt immer wieder Leute, die feststellen, daß sie jemand kennen, den sie schon mal gesehen haben. Mich wundert das nicht, wo sollte das Gesicht auch hin sein. Jeder muß die Chance zum Umdenken haben. Der äußere Druck auf die Partei hat dazu beigetragen, daß Karrieristen und Opportunisten sie verlassen haben. Insofern war das ein wichtiger Beitrag zur Erneuerung.

Der Vorwurf, die SED und später die PDS aus Karrieregründen verlassen zu haben, hat viele ehemalige Mitglieder betroffen gemacht.

Ich habe immer in vier Gruppen eingeteilt. Das entscheidende sind die, die aus Enttäuschung gegangen sind, da hoffen wir, daß sie zu uns zurückfinden, und viele finden auch zurück. Dann gibt es jene, die unter staatlichem Druck gegangen sind, für sie ist es nicht mehr möglich, in die Partei zu gehen, die sie wählen wollen. Dann gibt es viele, die sind einfach organisationsmüde, das kann ich verstehen, die brauchen Zeit. Und dann gibt es die vierte Gruppe, das sind die, die aus dem gleichen Grunde ausgetreten sind, aus dem sie auch eingetreten sind, und die wollen wir auch nicht wiederhaben. Die haben dieser Partei nur geschadet und versuchen jetzt mit allen Mitteln, in die anderen Parteien hineinzukommen. Ich finde, dort sind sie auch gut aufgehoben.

Kaum ein Politiker hat sich in den letzten Wochen im Wahlkampf so verausgabt wie Sie. Wie haben Sie das durchgehalten? Zweite Frage: Was machen Sie jetzt, nach der Wahl? Urlaub?

Wie ich das durchgehalten habe, kann ich schlecht beschreiben, es hat ganz einfach funktioniert. Ich nehme an, das hängt damit zusammen, daß ich diesen Fixpunkt 18. März hatte. Und das ich in den Gesichtern derjenigen, die mir zugehört haben, auch eine betimmte Sehnsucht nach einer Solidargemeinschaft gespürt habe. Und wenn man so etwas ähnliches wird, ein bißchen zumindest, wie ein Hoffnungsträger, hat das auch was Verpflichtendes an sich.

Aber ob ich mich allein so verausgabt habe, würd ich schon bezweifeln. Ich meine, der Kanzler hat sich auch nicht geschont. Ich weiß ja nicht, ob er nebenbei noch regiert hat in Bonn, aber falls, war das wirklich eine anstrengende Doppelbelastung, er war ja jeden zweiten Tag bei uns. Er hat zwar nicht viel gesagt, aber das kann man ihm auch nicht übelnehmen, er hat ja hier nie gelebt, kennt ja die Bürger nicht, ihre Bedürfnisse. Er ist also auf die Informationen des BND angewiesen, und die sind wahrscheinlich doch dürftig.

Was ich jetzt mache, weiß ich noch nicht. Ich hoffe, daß ich mal ausschlafen kann, und dann muß die Arbeit weitergehen. Nein, an Urlaub hab ich noch nicht gedacht. Da sehe ich auch keine reele Chance. Die Partei wird basisdemokratisch, und wenn man wirklich demokratisch ist als Partei, bedeutet das, daß für die Leitung keine Chance für Demokratie besteht. Demokratie für die Leitung der Partei bedeutet, daß für die Partei selbst keine herrscht. Für das Politbüro herrschte die größte Demokratie, damit war sie für alle anderen beseitigt.

Herr Gysi, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Gespräch führte Dirk Winkler.