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Wer zahlt für das Wirtschaftswunder?

■ Trotz der Absage der SPD an eine „möglichst große Koalition“ mit der Allianz gehen die Spekulationen über Regierungsbeteiligung weiter / SPD-Politiker wollen „soziale Komponente“ in der neuen Verfassung stärken / Währungs- und Sozialunion kostet die BRD Milliarden

Berlin (dpa/adn/taz) - Wie die SPD in die zu bildende Koalitionsregierung der DDR eingebunden wird, war gestern weiter Thema verschiedener Erklärungen und Spekulationen. Beinahe enttäuscht äußerte sich vor den verschlossenen Türen des CDU-Präsidiums der Bonner CDU-Generalsekretärs Volker Rühe über die harte SPD-Position: „Wer sich in den Schmollwinkel zurückzieht, der wird vom Wähler bestraft.“ Der DA-Vorsitzende Eppelmann meinte, die SPD habe möglicherweise auf Bonner Druck eine Beteiligung an einer großen Koalition so schroff abgelehnt, die Tür sei aber nicht zugeschlagen.

Der Bonner SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel deutete in der Frage des Weges der Vereinigung der beiden Staaten Kompromißbereitschaft an. Die DDR-SPD sei zur Mitwirkung an Verfassungsänderungen bereit, meinte er. Die Frage, ob die DDR-SPD auch einem Beitritt zur Bundesrepublik nach Artikel 23 Grundgesetz zustimmen werde, hält Vogel nicht für die „entscheidende Frage“. Es gehe vielmehr darum, daß „konkret über all die Punkte verhandelt wird, die im Zuge der deutschen Einigung geklärt werden müssen.“

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD, Angelika Barbe, nannte Voraussetzungen für eine Zustimmung der SPD zu dem Weg über den Artikel 23 Grundgesetz: Die „soziale Komponente“ müsse in einem geänderten Grundgesetz gestärkt werden. Markus Meckel erklärte, die neue Verfassung müsse ein Recht auf Arbeit, die paritätische Mitbestimmung und ein Verbot der Aussperrung enthalten.

In der Bundesrepublik gehen die Debatten über die Kosten einer Währungsunion weiter. Ohne Steuererhöhungen in der Bundesrepublik ließe sie sich nicht verwirklichen, meinte das Mitglied des von der Bonner Regierung berufenen Wirtschaftssachverständigenrates Prof. Allein 15 Milliarden D-Mark seien für die DDR-Arbeitslosenversicherung und zehn Milliarden für die Renten zu veranschlagen. Erhebliche öffentliche Mittel der Bundesrepublik erfordere zudem eine notwendige Verbesserung der DDR-Infrastruktur. Bevor die Währungsunion in Kraft treten könne, sollten die Wirtschaftsreformen realisiert werden. Dafür braucht man aus seiner Sicht jedoch noch mindestens zwei Jahre. Pohl ist zudem skeptisch, ob sich nach der Wahl die Hoffnungen in der DDR auf Direktinvestitionen von bundesdeutschen Unternehmen erfüllen.

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Heiner Geißler wandte sich gegen zu detaillierte Zahlenspiele. Nach seiner Schätzung kostet die Umstellung der Rentenzahlungen auf D -Mark eine „Anschubfinanzierung“ von etwa acht Milliarden D -Mark. Dann, so glaubt der Sozialpolitiker, werde sich die Sache danach von selbst finanzieren, „wenn man es richtig macht“. Die Arbeiter, die ab einem bestimmten Stichtag in der DDR ihren Lohn in D-Mark ausbezahlt bekämen, könnten erstens mit Lohnerhöhungen rechnen und zahlten zweitens ihre Sozialversicherungsbeiträge dann auch in D-Mark. Aber: „Wenn wir vor der Einführung der sozialen Marktwirtschaft 1948/49 in der BRD angefangen hätten zu rechnen, wie sich das alles auswirkt, beispielsweise auf die einzelnen Sozialversicherungszweige, dann wäre es nie zu einem Wirtschaftswunder gekommen“, sagte Geißler.

Mit der Sozialunion sollen nach übereinstimmender Ansicht der Sozialpolitiker der beiden großen Bonner Parteien beitragsfinanzierte Versicherungssysteme in der DDR aufgebaut werden, deren Leistungen sich wie in der Bundesrepublik am Lohnniveau orientieren. Bei Rente gelten 70 Prozent nach 45 Jahren, bei Arbeitslosigkeit 63 oder 68 Prozent. Wenn auch das BRD-Niveau nicht vom ersten Tage nach der Währungsunion erreicht werde, lägen Renten und Arbeitslosengeld höher als die im alten DDR-System gezahlten Leistungen. Dasselbe Muster könnte für Wohngeld, Sozialhilfe und Ausbildungsförderung gelten.

K.W.

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