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Alaskas Öl-GAU - ein Jahr danach

■ Auch ein Jahr nach der Havarie der "Wxxon Valdez" ist Alaska weiterhin wie gelähmt

„Wir wollen von Exxon und der Katastrophe nichts mehr wissen.“ Michelle O'Leary ist Fischerin und lebt in Valdez. Draußen, im Prinz-William-Sund, lief vor einem Jahr, am 24. März, der Tanker „Exxon Valdez“ auf ein Riff. 42 Millionen Liter Rohöl verseuchten Wasser und Küsten und erstickten Zehntausende von Vögeln und Säugern, die Fischsaison war gelaufen. Das Leben der Menschen am Sund und weit darüber hinaus ist seitdem aus dem Gleis geraten. „Nur Aufruhr hat es gegeben“, murrt O'Leary, „wir wollen endlich unsere Ruhe haben.“

Der in Alaska weitverbreitete Wunsch, die Katastrophe einfach ad acta zu legen, wird nicht in Erfüllung gehen. Exxon gab Ende Februar bekannt, daß die Säuberungsarbeiten Anfang Mai wiederaufgenommen werden: Die Winterstürme haben nicht mitgespielt, haben die letzten Ölreste, wie von Exxon geplant, nicht von den Küsten gespült. Auf soviel Selbstreinigungskraft der Natur hatte allerdings außer Exxon auch niemand gehofft. Mehr als 200 Kilometer Küste sind noch mit zähem Ölschlick, dem „mousse“, überzogen. So werden Exxons Säuberungsmannschaften in diesem Frühling erneut anrücken, um mit Schläuchen, Feudeln und Tüchern Steine und Felsen zu reinigen. Und Sandra Cesini befürchtet, auch in diesem Jahr nicht genügend Arbeitskräfte für ihren Betrieb zu finden. Dreimal soviel bezahlt der Multi fürs Öl wischen als Sandra Cesini ihren Leuten im „Seahawk Seafoods“ fürs Fisch eindosen. „Außerdem“, stöhnt Cesini, „kamen die Saubermänner vom Staat alle Nase lang und fahndeten nach Öl in den Fischen. Die kamen so oft, die hatten bei mir schon ihre eigenen Kaffeetassen.“

Die Cesinis sind für ihre Verluste noch immer nicht entschädigt worden. Ihr Papierkrieg mit Exxon läuft noch auf vollen Touren. Wie die O'Learys würden sie lieber ihr Geld mit der gewohnten Arbeit verdienen, statt Prozesse zu führen und Formblätter auszufüllen. Tom und Doris Lopez dagegen sind für ihre Ausfälle mehr als entschädigt worden. Die beiden Fischer hatten Exxon ihren Kutter für die Reinigungsarbeiten zur Verfügung gestellt. Das „ölgetränkte Stück morsches Holz“, das sie zurückbekamen, haben sie mit der schnelleren neuen „Blue Jay“ ersetzt. Außerdem haben sie sich einen Anbau geleistet. Exxons Gelder machten es möglich.

Doris Lopez hat erfahren, daß Exxons Strategie, die Düpierten mit Geld zufriedenzustellen, in ihrer Heimatstadt Valdez funktioniert: Die meisten ihrer Nachbarn sehnen sich nach ihrem gewohnten Alltag und sind im Stillen erleichtert, daß Exxon den Weg dahin großzügig mit Geld pflastert. Eine Greenpeacesprecherin in Washington ist überzeugt, daß die Exxon-Gelder auch in diesem Jahr wieder für Verluste entschädigen werden: Studien haben ergeben, daß das Öl die Fortpflanzung von Lachsen, Heringen und Krebsen beeinträchtigen wird. Ihre Eier sterben in verseuchten Gewässern in großen Mengen ab, und die Jungfische können sich nicht normal entwickeln. Außerdem ziehen Lachse im ölverpesteten Wasser langsamer als sonst zu ihren Laichplätzen zurück. Wie sich dies auf ihren komplizierten Lebenslauf zwischen Süß- und Salzwasser auswirken wird, ist ungewiß.

Enttäuschte Liebe

Auch für Exxon und die gesamte US-amerikanische Erdölindustrie sind die Zeiten unsicherer geworden. Alaskas Liebe zu den Ölgiganten hat einen Knacks bekommen. Im Staatsparlament von Juneau zerfiel im Sommer letzten Jahres die „unholy alliance“, eine Mehrheit, die sich seit Anfang der achtziger Jahre stur auf die Seite der Industrie gestellt hatte. Jetzt gelten neue Sicherheitsbestimmungen und Steuern: In den nächsten 20 Jahren werden Exxon und Co. mehrere Milliarden Dollar aufbringen müssen. Gouverneur Steve Cowper und ein Großteil der Bevölkerung hatten schon vor der Katastrophe im letzten Jahr strengere Auflagen für die Industrie gefordert. Dennoch sind die Gesetzesvorschläge, mit denen die Industrie gezügelt werden soll, nach Ansicht von Umweltvertretern noch viel zu zahm. Cowper gab dem Druck konservativer Regierungskollegen nach, die davor warnten, die Industrie, die für fünfundachtzig Prozent des Einkommens des Staates Alaska verantwortlich zeichnet, zu verprellen.

Mehr als in Alaska bekommt die Ölindustrie die Auswirkungen der Katastrophe in Washington zu spüren. Dort bastelt der Kongreß an einem Gesetz, das Umweltschützern viel Freude und der Ölindustrie Alpträume bescheren wird. Es zwingt die Industrie, innerhalb der nächsten 15 Jahre alle Tanker mit doppelten Böden auszurüsten. Es fordert die Verschärfung der Haftpflicht bei Katastrophen sowie eine gründliche Überprüfung der Trans-Alaska-Pipeline. Die Pipeline beginnt zur Verwunderung aller Beteiligten heftig zu korrodieren. Als die Rohre 1977 ihrer Bestimmung übergeben wurden, hieß es, daß sie 30 bis 40 Jahre rostfrei bleiben würden. „Die haben's so eilig gehabt, das Ding anzudrehen, daß der Frostschutz nicht richtig aufgetragen wurde“, meint Robert LaResche, der die Pipeline im Auftrag des Staates Alaska untersucht hat.

Für die beiden Bundesstaaten Kalifornien und Florida ist die Katastrophe im hohen Norden zum Glücksfall geworden. Pläne, vor den Küsten der beiden Staaten mit Ölbohrungen zu beginnen, sind vom Tisch. Innenminister Manuel Lujan unterrichtete Industrievertreter im vergangenen Herbst, daß es mindestens für die nächsten zehn Jahre keine Probebohrungen in den Küstengewässern der beiden Staaten geben werde. Die Opposition dagegen sei zu stark. Selbst von Ölbohrungen an der Küste des Naturparks „Arctic National Wildlife Refuge“ im nördlichen Alaska ist keine Rede mehr. Die Bush-Administration hatte sich gegen die Proteste der Naturschützer wiederholt für die Freigabe zur Erforschung der Vorkommen ausgesprochen.

Umerziehungseffekt

Doch im Moment mag niemand das heiße Eisen anrühren. So ist die Erdölindustrie zumindest nicht ganz ungeschoren davon gekommen. Das wahre Ausmaß der Konsequenzen wird jedoch erst bekanntwerden, wenn die Gerichte demnächt über Exxon urteilen. Der US-amerikanische Justizminister hat den Konzern Ende Februar wegen Verstoßes gegen geltende Umweltgesetze in fünf Punkten angeklagt. Das Verfahren wird zweifelsohne zum umweltrechtlichen Präzedenzfall werden. Eine für Exxon ungünstige Entscheidung wird die Industrie wahrscheinlich effektiver umerziehen als so manches Gesetz. Um so wichtiger ist es für die Multis, ihr angeknackstes Image wieder aufzupolieren. Dafür wird weder mit Geld noch mit fragwürdigen Tricks gespart. Letzter Schachzug der Ölunternehmer: Sie kauften die vom Konkurs bedrohte 'Anchorage Times‘, die nun in schamloser Manier die Interessen der Erdölindustrie vertritt.

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