Mal wieder eine neue Vorkriegszeit?

 ■ K O M M E N T A R

Verschiedentlich war in den letzten Wochen zu hören und zu lesen, in Mitteleuropa gehe jetzt durch die deutsch -deutschen Fummeleien die Nachkriegszeit endgültig zu Ende. Gesetzt den Fall, das ist so, ergäbe sich die Frage: Was kommt nach dieser Nachkriegszeit? Im schlimmsten Falle eine neue - und es wäre dann die dritte in diesem Jahrhundert Vorkriegszeit. Da scheint eine Logik zu walten, gegen die sich unser Gefühl sperrt, und die doch mit einer Konsequenz abzulaufen scheint, daß einen eine mächtige Bangigkeit ankommt.

Wenn wir beispielweise die Vorkriegszeit Nummer zwei analysieren, werden wir feststellen, daß nahezu alle Länder Mitteleuropas durch mehr- und zweiseitige Verträge (Freundschaftspakte, Friedenskonferenzen, Nichtangriffsabkommen oder Völkerbundabsprachen) voreinander gesichert, miteinander verknüpft und „freundschaftlich“ untereinander verbunden waren. Nur geholfen haben all diese Bündnisse nichts.

Vorkriegszeiten sind auch immer mit ganz bestimmten Verformungen des gesellschaftlichen, und besonders des politischen Lebens verbunden. Und diese Verformungen ähneln sich von Vorkriegszeit zu Vorkriegszeit auf eine fatale Weise. Auch heute machen sie sich in Europa wieder wie Schwären breit, trotz aller Abrüstungs- und sonstiger Konferenzen. Meist künden sich solche Verformungen dadurch an, daß jemand jemandes Grenze anzweifelt; Punkt zwei im Szenario sind oft Klagen irgendeiner Volksgruppe, die in einem Staate als Minderheit lebt, über ungerechte Behandlung und über Benachteiligungen. Letztere haben dann in der Regel offizielle Proteste der „Mutterstaaten“ zur Folge. Irgendwann dann kommt es zu einer heißen Phase - die europäische Geschichte der Vorkriegszeiten ist reich an „Blutsonntagen“. Über die wiederum lassen sich dann über Jahrzehnte hinweg die Schriftgelehrten aus; legen sie damit

-ohne es zu wollen! - schon wider neue „Munitionsdepots“ für eine jeweils nächste Vorkriegszeit an?

Leben wir auch jetzt wieder in „Vorkriegszeit“? - Der Balkan gärt; die Randrepubliken der UdSSR mucken und in Rußland setzen sie zur Hatz auf Juden an; Ungarn und Rumänen gehen sich an die Kehle; Grenzfragen kommen hoch - und über allen und über allem das schlichte Netz der in Wien und sonstwo tagenden Friedensstifter im Diplomatenrock.

Geschichte, so wurde mir beigebracht, wiederhole sich nicht. Ich war fast geneigt gewesen, es zu glauben.

Wolfgang Sabath