Lindow ist zu fein für Honecker

■ Bürgerprotest vertrieb den Ex-Staatschef aus seinem neuen Domizil

Berlin (dpa/taz) - Kaum 24 Stunden durfte das ehemalige Staatsoberhaupt der DDR, der rekonvaleszente Erich Honecker, die Heimstatt bewohnen, die ihm der scheidende Ministerpräsident Hans Modrow als Altenteil zugewiesen hatte. In letzter Zeit hatten nämlich Ärzte des Ex-Staats und Parteichefs mehrfach darauf hingewiesen, daß der unter anderem durch eine Krebsoperation gesundheitlich schwer angeschlagene Honecker eher genesen könne, wenn er etwas mehr Komfort, Betreuung und bessere sanitäre Verhältnisse habe, als dies in Lobetal der Fall sei. Dort wohnte Honecker in einem von den Kindern des dortigen Pfarrers Uwe Holmer geräumten Zimmer.

Rund 150 protestierende Bürger vor den schmiedeeisernen Toren des regierungseigenen Ferienheims im Lindower Ortsteil Gühlen erzwangen jedoch die Rücknahme der Entscheidung, so daß die Eheleute Honecker unverrichteter Dinge wieder ins Pfarrhaus nach Lobetal zurückkehren mußten.

Vorausgegangen war die Reise vierer Regierungsbeauftragter ins lauschige Lindow, die am vergangenen Donnerstag die baldige Ankunft des pensionierten Staatenlenkers im Gästehaus verkündeten. Der Bürgermeister des Ortes erklärte sich sogleich außerstande, für die Sicherheit des einst mächtigsten Mannes der DDR zu bürgen, und am Freitag lehnte die gemeinsame Runde aller Parteien von SPD, CDU und LDP bis hin zum Neuen Forum die Einquartierung in eine Suite des Regierungsgästehauses ab, da ein staatliches Altersheim für hinreichend erachtet wurde. Noch ehe aber ein Beschluß gefaßt war, rollte bereits der Umzugskonvoi der Honeckers auf das edle Anwesen, das einst Reichsbankpräsident und Hitlerfinanzier Hjalmar Schacht als Sommerresidenz gedient hatte, welcher von den Lindowern allerdings gelitten wurde.

Am selben Abend - Ministerpräsident Modrow weilte beim frisch umgesiedelten Honecker zu Besuch - versammelte sich dann eine topfdeckelschlagende Menge, die sich offensichtlich „über'n Nuckel geschoben“ sah, vor dem Gästehaus und erreichte auf diese vernehmliche Weise die samstägliche Zusicherung der Modrow-Gesandten, den Honecker -Treck bis gleichfalls 18.00 Uhr wieder retour zu senden.

„Drei Klassen zu fein“, so Pfarrer Hans-Joachim Schubach aus der 3000-Seelen-Gemeinde Lindow, sei das 100 Quadratmeter große Appartment mit Diele, einem Wohn- und einem Schlafraum, zwei Bädern, einem Wintergarten und einem Balkon gewesen. Es sei für die DDR blamabel, daß sie nicht in der Lage sei, die Honeckers angemessen unterzubringen. Weniger moderat als ihr Pfarrer gaben sich die Lindower bei der erzwungenen Abreise der obdachlosen Regierungsrentner. Unter gellenden Pfiffen und Rufen wie „Du Mörder“ oder „Honecker muß weg, wir wollen keinen Dreck“ trat der 77jährige und seine Frau die Rückfahrt an.

st.