Therapie für Polikliniken

■ Projekt zur Leistungserfassung in Berliner Großpolikliniken / Arztpraxen sind bald keine Billigläden mehr / Studie westdeutscher Ärzte für Gemeinschaftspraxen mehrere Ärzte

Berlin (taz) -Was ohnehin wurmstichig ist, braucht nicht mehr madig gemacht zu werden. So scheint besiegelt, daß die mittleren und großen Poliliniken im Lande als durch „Zwangskollektivierung“ der Ärzte entstandene, planwirtschaftlich geknebelte (und somit auf den Hund gebrachte) ambulante Massenabfertigungseinrichtungen unmöglich hinübergerettet werden können in die Einheit. Verwaltungswasserkopf, Schlangen vor der Urinabgabe, unterkühltes Arzt-Patienten-Verhältnis, zum Erbrechen volle nüchterne Wartehallen - Symptome, die Mißstände benennen, aber auch pauschalisieren. Kann keine „Therapie“ verhindern, daß die Polikliniken zur Konkursmasse verkommen?

Niemand ist in der Lage zu ermessen, was die Ärzte und Schwestern in diesem wichtigen Bereich ambulanter Betreuung wirklich leisten. Bisher wurde nach Anzahl der Konsultationen abgerechnet, egal ob dem Patienten dabei der Puls gefühlt oder der Magen gespiegelt wurde. Ein Projekt zur realen Leistungserfassung haben die ökonomischen Direktoren von 15 Berliner Großpolikliniken (mit 500 und mehr MitarbeiterInnen) initiiert. Ein entsprechendes Kennziffernprogramm mit bis zu 170 Positionen je Fachabteilung, vorbereitet von der Poliklinik Marzahn, soll ab 30.3. allen Einrichtungen zur Diskussion vorliegen. Im April läuft die Bestandsaufnahme, also z.B. welche Therapien pro 1.000 Patienten durchgeführt wurden.

Anhand der westdeutschen Gebührenordnung soll dann berechnet werden, wieviel stolze Märker die Ärzte einer ostdeutschen Poliklinik für ihre Arbeit einstreichen könnten, d.h. von der Krankenkasse ausgezahlt bekommen müßten. Auf jeden Fall mehr, als die sich leisten kann. Der Patient wird spätestens hier begreifen, daß die Arztpraxis kein Billigladen ist. Ob sich das „Geschäft“ lohnt, hängt auch von einer realen Einschätzung der Verwaltungskosten ab, denn in Zukunft sind die Gebäude nicht mehr wie bisher mietfrei zu nutzen, werden Preise für Wasser und Energie bestimmt auch westlichen Standards angeglichen.

Wer soll das bezahlen? Der Staat wird's Säckel zuhalten die Kommunen sind gefordert. Ungeklärt auch noch die Eigentumsformen, auf deren Grundlage sich das Zusammenspiel von Ärzten verschiedener Fachgebiete vollziehen soll. Aufschlußreich zum Thema eine Studie, die der westdeutsche Verband niedergelassener Ärzte (NAV) beim Abschluß eines Kooperationsvertrages mit dem Virchow-Bund der DDR auf den Tisch legte. Vorgestellt wird darin die Gemeinschaftspraxis in der Bundesrepublik: Gemeinsam mieten mehrere Ärzte Räume und Technik, beschäftigen das notwendige Personal und rechnen die Behandlung ab. Aus den gemeinsamen Einnahmen werden sämtliche Kosten gedeckt und die beteiligten Ärzte ausgezahlt. Mit über 12.000 Ärzten sind mehr als 15 Prozent der niedergelassenen Ärzte der BRD in Gemeinschaftspraxen beschäftigt.

Die in der ambulanten Betreuung dominierende Einzelpraxis hat also Konkurrenz bekommen. Und das aus folgenden Gründen: Kostspieliges medizinisches Gerät wird finanzierbar und kann besser ausgenutzt werden. Der Patient findet unter einer Adresse gleich mehrere Ärzte. Allerdings schließen sich in der Regel zwei, selten mehr als drei Ärzte zusammen. Der Beweis, daß auch größere „Ärztehäuser“ vom Typ unserer Polikliniken effektiv heilen, steht noch aus.

Irina Grabowski