Erfurter Bürgerwache im Hungerstreik

■ Bürgerkomitee fordert Überprüfung aller Abgeordneten / Donnerstagsdemos sollen wieder aufgenommen werden

Erfurt (taz) - Das Bürgerkomitee in Erfurt hat sich am Dienstag mit einem offenen Brief an die Volkskammerabgeordneten gewandt, die Hungerstreikenden im ehemaligen Erfurter Stasigebäude zu unterstützen. Dort befinden sich seit Mittwoch, dem 28. März, acht Personen, fünf von ihnen von der Erfurter Bürgerwache im unbefristeten Hungerstreik. Sie, und mit ihnen das Bürgerkomitee fordern:

1. Eine Überprüfung aller Volkskammerabgeordneten, aller Abgeordneten zu den Kommunalparlamenten durch unabhängige Untersuchungsausschüsse auf geheimdienstliche Mitarbeit; 2. Aufhebung des Arbeitsverbots und der Strafandrohungen gegen den Unabhängigen Untersuchungsausschuß; 3. Arbeitsrechtliche und materielle Absicherung der Mitglieder des Untersuchungsausschusses und der Bürgerwache durch den Staat.

Um seine Forderungen zu bekräftigen, hat das Bürgerkomitee beschlossen, die Erfurter Tradition der Donnerstags -Demonstrationen wiederaufzunehmen. Bereits in der vergangenen Woche hatte eine kleinere Demonstration stattgefunden. Am kommenden Donnerstag soll nun nach einem Friedensgebet in der Lorenz-Kirche - auch das eine Tradition aus der Herbstrevolution - um 17.30 Uhr ein Schweigemarsch zu dem Stasigebäude in der Andreasstraße stattfinden.

In dem Bürgerkomitee sind alle in der größten Stadt Thüringens relevanten Parteien vertreten. In diesen Fragen gibt es zwischen ihnen keine Differenzen. So wird die Lautsprecheranlage für die Abschlußkundgebung von der CDU gestellt. Der CDU-Vertreter in dem mehrheitlich von Mitgliedern der Allianz-Parteien getragenen Untersuchungsausschuß, Wolfgang Hase, machte auf einer Pressekonferenz auch deutlich, daß er und mit ihm die ganze Thüringer CDU in Fragen der Überprüfung der Abgeordneten überhaupt nicht mit dem Kurs seiner Berliner Parteiführung einverstanden ist. Die Differenzen der Bürgerrechtsaktivisten mit „Berlin“ sind in allen diesen Fragen weit größer, als die Positionsunterschiede zwischen Neuem Forum und konservativen Parteien.

Das Stasigebäude, ein großer Gebäudekomplex nahe dem Stadtzentrum, ist seit dem 4. Dezember besetzt. Kontrolliert wird es von einer Bürgerwache, die inzwischen erhebliche Nachwuchsschwierigkeiten hat, da die Aktivisten seit vier Monaten fast ihre gesamte Freizeit in dieser unbehaglichen Umgebung verbringen, um aufzupassen, daß keine Akten verschwinden.

Nun erhielten sie von dem dafür verantwortlichen Mitglied der Regierungskommission zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, Eichhorn, aus Berlin die Nachricht, daß künftig in jedem Bezirk fünf Personen für fünf Tage im Monat freigestellt werden könnten, wenn deren Betriebe das tragen. Das heißt die Betriebe, die immer noch von den alten Ex-SED -Direktoren geleitet werden, sollen die Kosten übernehmen. Da dazu kaum ein Unternehmen bereit ist, werden die Untersuchungsausschüsse materiell ausgetrocknet. So sehen das die Erfurter und deshalb scheint es ihnen dringend geboten, Alarm zu schlagen.

Walter Süß