URBAN MIT INSTINKT

■ Neue Filme von Larry Gottheim im Arsenal

Das Medium bewegter Bilder zu erforschen, heißt, die kreativen Möglichkeiten, die einzig und allein in diesem Medium stecken, zu entwickeln. Unter kreativ verstehe ich nicht irgendeine vage, mystische, inspirationsartige oder esoterische Aktivität; ich meine ganz einfach, daß man hier bei uns etwas landet, das nur durch die eigene Arbeit und das Filmmedium existiert.(Maya Deren)

Larry Gottheim aus New York kommt zu Besuch ins Arsenal. Ein Experimentalfilmer, der sich aufrichtig zu dem schwierigen Genre bekennt. Vielleicht, weil er die Gesetze bei der Erforschung des Mediums anzuwenden versteht, ohne an ihrer Strenge zu leiden. Am Sonntag zeigt Gottheim ein Programm mit eigenen Klassikern, unter anderem Four Shadows (1978), Montag seine neuen Filme.

Der Titel Mnemosyne Mother of Muse, so darf man vermuten, spielt dezent auf die komplizierten Eigentumsverhältnisse und Originalitätsansprüche beim Filmemachen an. Mnemosyne ist in der griechischen Mythologie ihren neun Töchtern, den Musen, keine wirkliche Mutter: Ihr Name steht vielmehr für „die Erinnerung“, hier ein künstlerisch-intellektuelles Verhältnis jenseits des Urheberrechts. Beim Betrachten des Films scheint es, als wolle Gottheim das Medium zu diesem Ausgangspunkt zurückführen und an seinen mythischen, prä-kommerziellen Ursprung erinnern.

Immer wieder wird in Mnemosyne die Wort-Musik-Radio -Collage von stummen Sequenzen unterbrochen, wobei der Synchronton als „natürliche Einheit“ von Optik und Akustik im Ohr des Zuschauers viviseziert wird. Gottheim arbeitet in diesem Film vor allem mit Gegensätzen wie vorwärts/rückwärts, eigenes/kompiliertes Material, Farbe/Schwarzweiß, Stadt/Land, urbanes Rosa von Leuchtreklamen versus erdverbundenes Orange des Mähdreschers usw. Die Vielzahl der sich gegenseitig reflektierenden Bilder und Techniken nimmt dem Film das Nüchterne einer Versuchsanordnung. Das Experiment aber funktioniert trotzdem, weil die Symmetrie präzise ist, ohne voraussehbar zu sein.

In The Red Thread (1987) wird man das Gefühl nicht los, als sei zuerst der Titel dagewesen und dann ein Film dazu entstanden. Von Bild zu Bild wird er gewoben, der rote Faden, durch Stoffe aus aller Herren Länder bis zur flächenmäßigen Ausbreitung roter Synthetikkleidung von kleinen, spielenden, amerikanischen Mädchen. Trotz seiner Omnipräsenz ist es nicht „the leitmotif“, das den Film zusammenhält, sondern ein grundsätzlicher Gedanke, eine Art Kommentar, von einer unaufdringlichen Frauenstimme gesprochen. Sie sagt (und damit läßt sich wieder an die Eigentums- & Originalitätsfrage anknüpfen), daß ein guter Film die Balance zwischen gesammelten und kreierten Bildern halten müsse.

1988 dreht Larry Gottheim in der Dominikanischen Republik das Material für Machete Gillette...Mama. In diesem Film verläßt Gottheim den strukturalistischen Rahmen und macht vorsichtige Anleihen beim Dokumentarfilm. Ausgehend von der paradoxen Tatsache, daß selbst in vielen aufrichtig -humanitären Filmen die gute Absicht von der mediengerechten Aufbereitung geschluckt wird, erprobt Gottheim, inwieweit der Experimentalfilm andere Formen der Repräsentation, zum Beispiel der fremder Kulturen, ermöglicht.

Der Film besteht aus vier Episoden, analog zu Gottheims vier Reisen in die Dominikanische Republik. Machete Gillette...Mama beginnt mit der zeitlich letzten Episode und verweist in dieser Anordnung auf die zyklische Zeitauffassung der gläubigen Einheimischen. Die synkretistische Religion der Inselbewohner prägt die gesamte Struktur des Films, ohne jeodch allzu häufig - als vollzogene Zeremonie - im Bild anwesend zu sein. (Auf diese Weise räumt Gottheim den peinlichen Verdacht aus, in der authentischen Tropenkulisse lediglich eine neue Filmtheorie illustrieren zu wollen.)

Die Figur des Filmemachers findet in diesem, an dominikanischen Ritualen und nichtlinearen Zeitauffassungen orientierten Konzept einen ungewohnten, aber plausiblen Platz: ex-zentrisch, aus dem Mittelpunkt verdrängt. Gottheim erreicht den Effekt, indem er seinen sehr subjektiven Kommentar von einem dominikanischen Freund sprechen läßt. Der amerikanische Filmemacher verschwindet fast in dem starken spanischen Akzent, in der Präsenz der fremden Stimme. Maya Deren und ihr Haiti-Film Divine Horseman über Voodoo-Rituale habe ihn zu dieser „Rollenverteilung“ inspiriert, schreibt Gottheim. Wie Maya Deren sei er von der Idee fasziniert, daß die eigene Identität im Zustand der Trance zeitweilig aufgehoben wird und - wie im Film - durch etwas anderes ersetzt werden könne.

Was den Film auszeichnet, ist seine Fähigkeit, aus Fragmenten der dominikanischen Gegenwart politische Symbole zusammenzusetzen. Zu flüchtig, als daß sie pädagogisch sein könnten. Mit ausreichend viel Schwarzfilm und unerklärten, unscharfen Bildern, so daß sich zum Beispiel die diffuse Unruhe auf der Polizeistation eher den Instinkten als dem Intellekt vermittelt. Oder wie später bei den Szenen in den Müllbergen von Santo Domingo, wo die Slumbewohner nach Wiederverwertbarem suchen. Der Film wirkt selbst hier nicht desodoriert, die Bilder lügen den unerträglichen Gestank nicht weg.

Machete Gillette...Mama stiehlt dem Betrachter die Sicherheit, er wisse, was als nächstes passiert. Und das macht Gottheims Film als ethnographisches Experiment unbedingt sehenswert.

Dorothee Wenner

Sonntag, 8.4., Montag, 9.4., jeweils 22.15 Uhr: Filme von Larry Gottheim