Florentiner Flair: Die Farbe Lila

■ Von der Unmöglichkeit der Wiederholung eines Rauschzustandes / Werder Bremen gegen den AC Florenz 1:1

Aldo hatte auch dieses Mal nicht geflaggt. Nun kam mit dem AC Florenz binnen eines Jahres die dritte italienische Fußballmannschaft im UEFA-Pokalwettbewerb nach Bremen und das Losunglück bescherte dem Besitzer und Alleinunterhalter des kleinen Eissalons vis a vis der taz-Redaktion noch immer nicht seinen Herzenswunsch. Juventus Turin, ja, wenn die im Weserstadion auflaufen würden, dann wäre die nähere Umgebung ganz in Schwarz-Weiß gehalten. Dann wäre Aldo schon drei Tage vor dem Spiel heiser und würde seinen Stammgästen bei panini und capucchino all die Legenden und Wahrheiten von „Juve“ auftischen - ungefragt versteht sich.

Und er ist keiner, der aus seinem Herzen eine Mördergrube macht. Damit sein innigster Wunsch in Erfüllung geht, wird er auch vorübergehend zum Landesverräter, fiebert der Niederlage des AC Florenz entgegen. Beschimpft das Team aus der Toskana als „Mafiosi“, als korruptes Ensemble, in dem sich Vorstand und Spieler zu einer unheiligen Allianz gegen den Trainer verschworen haben, die Elf willentlich verliere, um den ungeliebten Coach Giorgi loszuwerden.

Doch in dieser Suada wider die Landsleute hatte Aldo auch viel Wissen um die Stärken der Florentiner versteckt. Die waren nämlich beileibe nicht so schlecht, wie es ihr Abstiegsplatz in der italienischen Liga suggerierte. Von der rauschhaften Eleganz, mit der Werder den SSC Neapel, mit Ausnahmefußballern wie Maradona, Alemao und Careca bestückt, demontiert und entzaubert hatte, war am Dienstag abend nichts zu spüren.

Zehn blinde Eiferer rannten da gegen eine bestens organisierte Abwehr an, die all den bundesdeutschen Spielern, die mit Abwanderungsgedanken gen Italien liebäugeln, demonstrierte, daß man dort gewohnt ist, sich ganz anders an die Wäsche zu gehen. Karl-Heinz Riedle, demnächst Lazio Rom, muß bei so viel Körperkontakt eine derartige Phobie entwickelt haben, daß er fortan die Brennpunkte des Geschehens mied. Und Neubarth und Bratseth eroberten sich zwar rasch die Lufthoheit im gegnerischen Strafraum, allein es nutzte nichts. Sie fühlten sich von der Rumfummelei und Grapscherei ihrer Manndecker so irritiert, daß selbst aussichtsreiche Kopfballversuche weit über oder neben dem Tor landeten.

Auf das „alte Catenaccio“ führte Otto Rehagel später zurück, daß seine Mannschaft zwar eindeutig feldüberlegen, die Florentiner aber chancenreicher waren. Zudem hätten die „zu allen erlaubten und unerlaubten Mitteln“ gegriffen. Francesco Graziani, 1972 Weltmeister mit der „Squadra Azurra“ und Interimstrainer beim AC Florenz, lächelte maliziös. Als „Spiel ohne Sechs“ hatte er die Begegnung zuvor tituliert. Ohne den brasilianischen Spielmacher Dunga, ohne Iachini, Volpecina und Facenda schien der Mißerfolg programmiert. Die Niederlage nur eine Frage der Höhe. Mit dem 1:1 und der Aussicht, alle sechs im Rückspiel in Perugia einsetzen zu können, war ihm mehr als wohl bei seinem Trainerdebüt. Und wenn Werder wieder 93 Minuten brauchen sollte bis zu ihrem ersten Tor, besteht die Aussicht, daß dann der Schiedsrichter pünktlich abpfeift und Florenz im Endspiel steht.

Am Morgen nach dem Spiel gestand auch Aldo augenzwinkernd ein, daß die italienische Seele mit ihm durchgegangen sei und er beim 1:0 für Florenz einen Luftsprung gemacht habe. Und seinen Traum vom Endspiel hat er über Nacht auch umgeschrieben: Lila gegen Schwarz-Weiß ist jetzt sein Verlangen, sein Turin gegen Florenz, deren Fans in Bremen passend zu den wunderschönen Trikothemden der Spieler lila Rauchbomben mitgebracht hatten.

Andreas Hoetzel BREMEN: Reck - Bratseth - Borowka, Otten - Bockenfeld (46. Hermann), Wolter, Votava, Eilts - Riedle, Neubarth, Rufer. FLORENZ: Landucci - Battistini - Pioli, Malusci, Pin Dall'Oglio, Kubik, Baggio - Nappi (85. Antinori), Buso (80. Callegari), Di Chiara. ZUSCHAUER: 24 465; TORE: 0:1 Nappi (78.), 1:1 Landucci (90./Eigentor).