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„Ich spreche als arische Frau“

Rassismus/Sexismus. Frauen und Fremde war das Motto der 8. Bremer Frauenwoche. Die Teilnehmerinnen taten sich schwer mit dem Thema und beklagten die aggressive Stimmung. Den Anstoß für das Thema gab die Tagung „Frauen und Rassismus“ im letzten Herbst.  ■  Aus Bremen Barbara Debus

Ein Vorfall, geschehen letzte Woche während der Bremer Frauenwoche auf der „Aktionsdemo gegen Rassismus und Sexismus“: Die Parolen heißen „Feuer und Flamme dem Patriarchat!“ oder „Feuer und Flamme den Ausländerbehörden!“ Zwei Frauen sind den anderen unbekannt, sie heben sich durch ihre Kleidung ab, fallen auf, da sie anders aussehen als die Mehrheit der Demonstrantinnen. Für einige der Aktionsteilnehmerinnen ist der Fall sofort klar: Bei den beiden handelt es sich um „Zivilbullen“. Ohne daß eine der Frauen mit den beiden „Fremden“ ein nachfragendes Wort redet, fängt frau an zu tuscheln, dann wird laut denunziert. Eine geht zum Infowagen und verlangt die Durchsage: „Da sind zwei Buletten. Frauen, laßt keine neben Euch gehen, die Ihr nicht kennt.“ Lale Direkoglu, Mitorganisatorin der Frauenwoche und mitverantwortlich für den Infowagen, lehnt das Ansinnen ab. Daraufhin kriegt sie zu hören: „Ich will mein Recht, Frauen ausgrenzen zu können.“ Ein Gespräch entsteht erst, als die beiden ausgegrenzten Bremer Demonstrationsteilnehmerinnen sich im Büro der „Bremer Frauenwoche“ beschweren. Sie haben Angst vor der nächsten Demonstration, Angst davor, das Tuschelstigma „Bullette“ in Bremen nicht wieder loszuwerden. Sexismus als Ausweichthema

Der Vorfall an sich ist schon perfide genug, was ihm aber noch besondere Bedeutung verleiht, ist, daß er sich ausgerechnet im Rahmen einer Frauenwoche ereignete, die wider die „Ausgrenzung“ wirken wollte: „Sexismus/Rassismus. Frauen und Fremde“ hieß das Thema. Viele ältere Teilnehmerinnen beklagten das aggressive Klima in ihren Veranstaltungen. Einige zogen dann die Konsequenz und blieben weg. „Diese Frauenwoche ist so aggressiv und so zu wie keine davor“, sagte Lale Direkoglu.

Ist das ständige Ausgrenzen und „Dichtmachen“ „bloß“ der realistischer Ausdruck der Stimmung im Lande? Oder sind sie vielmehr eine Folge der Thematik „Rassismus“, die Ausgrenzungen gerade zurücknehmen will, indem sie Trennendes aufzeigt? Oder rührt die Aggressivität daher, so die These der Organisatorin Lale Direkoglu, daß das Thema vielen Angst macht und zusetzt? Wer will schließlich schon gerne als Rassistin entlarvt werden? Oder liegt es am Um-Sich-Schlagen einzelner „weißer“ Lesben, die Angst haben, daß ihnen von den Ausländerinnen ihr Status als die am meisten unterdrückteste Frauenkaste streitig gemacht werden soll? Ohne zu realisieren, daß um sie herum auf der Frauenwoche „schwarz/weiße“ Lesbenpaare turteln. Oder aber sind wieder „die Typen“ schuld? Denn Männergewalt ist da: Eine Teilnehmerin wird am zweiten Tag der Frauenwoche in ihrer Wohnung von einem unbekannten Eindringling vergewaltigt. Beim Infostand der Frauenwoche landet nachts eine Stinkbombe: Buttersäure. Ein Mann besetzt provozierend einen Veranstaltungsraum, wird unter Handgreiflichkeiten daraus entfernt. Das uralte nervige Ausgrenzungsgezeter über „die Typen, die sich breitmachen“, bestimmt die Plena mehr als in den sieben Jahren zuvor, was dazu führt, daß in den nächsten Tagen nichts ahnende Unimänner angefahren, angerempelt und angezischt werden. “'Sexismus‘ - das ist ein Ausweichthema, sagte die Organisatorin Silke Ahrens, „mit 'Sexismus‘ beschäftigt sich die Frauenbewegung schon Jahrzehnte. Rassismus aber ist ein Thema, vor dem alle Schiß haben.“

Den Anstoß zum Thema der 8. Bremer Frauenwoche hatte die erste überregionale „Frauenarbeitstagung“ zu „Frauen und Rassismus“ gegeben. Im November 1989 hatten sich in Bremen 120 „weiße“, deutsche Frauen, „schwarze“, deutsche Frauen, ausländische Frauen und Jüdinnen fünf Tage lang auseinander -gesetzt. (Die Begriffe „weiß“ und „schwarz“ wurden von der holländischen Antirassismusbewegung übernommen, „schwarz“ meint nicht einfach Frauen schwarzer Hautfarbe, sondern umfaßt afro- deutsche Frauen und alle Zuwanderinnen aus armen Nicht-EG-Ländern: koreanische Studentinnen, libanesische Flüchtlingsfrauen, philippinische Prostituierte, türkische Arbeiterinnen.) Auf dieser ersten Tagung hatte sich eine tiefe Kluft zwischen „schwarz“ und „weiß“ aufgetan. Die Kritik der „schwarzen“ und der „jüdischen“ Frauen, die oftmals schroff anklagende Form dieser Äußerungen und die Art der „weißen“ Frauen, mit dieser Kritik umzugehen, erinnerten dabei in geradzu grotesker Form an die Gefechte, die sich „weiß„ -feministische Frauen einst mit ihren Männern geliefert hatten. Da sagten auf der Herbsttagung „schwarze“ Frauen, daß sie es langsam satt hätten, die „weißen“ Schwestern immer wieder auf alternativ-deutsches rassistisches Verhalten aufmerksam zu machen, ohne daß die „Weißen“ aus der Rolle der Zuhörerin herausträten, bereit wären zur schonungslosen Konfrontation oder auch dazu, den „schwarzen“ Frauen Stellen in den feministischen Ausländerinnenprojekten abzutreten. Die „weißen, christlichen“ Frauen reagierten nicht anders, als einst „ihre“ Männer und fragten etwa verständnislos, warum es denn nötig sei, daß sich die Ausländerinnen unter sich träfen. Es gab auch noch eine andere Variante des Reagierens, und die wäre früher den Softies zugeschrieben worden. Nämlich die, sich ganz schnell den neuen Anforderungen anzupassen. Inländerinnen mit neuer Schnellidentität gingen ans Mikrophon und stellten sich mit dem Einleitungssatz vor: „Ich bin eine weiße, deutsche, nicht-jüdische Frau.“ Eine jüdische Teilnehmerin („Ich find's schön, daß Ihr mal einen Zorn fühlt.“) ging auf der Herbsttagung noch weiter, forderte die „weißen, deutschen, nicht-jüdischen Frauen auf, sich doch um der Klarheit willen Arierin“ zu nennen. Und tatsächlich trieb eine der Angesprochenen die Selbstverleugnung zynisch auf die Spitze: „Ich spreche als arische Frau“, stellte sie sich zu Beginn ihres Redebeitrages vor. „Schwarz/Weiß“ quotieren

Bremer Konsequenz aus diesen herbstlichen Debatten: Die Frauenwoche soll fortgesetzt werden, aber auf höherem Niveau. An der Vorbereitung waren dann auch erst eine, dann zwei „schwarze“ Frauen mitbeteiligt: Das war ein Einstieg in die „Schwarz/Weiß-Quotierung im Projekt“ Bremer Frauenwoche, denn in den sieben Jahren davor war bei der Stellenvergabe nur auf Parität zwischen „Heteras und Lesben“ geachtet worden.

Das Programm zur 8. Bremer Frauenwoche geriet so dick wie nie zuvor, frau hatte die Auswahl zwischen hundertfünfzig zum Teil recht verheißungsvoll klingenden Veranstaltungen, von denen nachher allerdings fast ein Drittel ausfiel. Die Vielfalt war dennoch groß: Da gab es den psychoanalytischen Zugang („Uns selbst fremd“) und das Sensibilisieren („Der alltäglich Rassismus“). Da gab es handfeste ökonomie („EG -Binnenmarkt, Risiken und Chancen“) und Nachhilfe im Ausländerrecht. Da gab es Erfahrungsaustauch („Rassistische Machtstrukturen in interkulturellen Frauenprojekten“) und Analysen („Zum Egozentrismus von Frauen“). Da gab es Workshops nur für „schwarze“ Frauen und Veranstaltungen, in denen „weiße“ ihr faschistisches Familienerbe aufarbeiten konnten. Da gab es auch Angebote für DDR-Übersiedlerinnen und für Aussiedlerinnen. Zur Freude vieler in Bremen lebender Migrantinnen kamen zudem zahlreiche Gastreferentinnen eingeflogen etwa aus Marokko (Fatima Mernissi) und aus der Türkei, aus Großbritannien, aus Holland und aus der Westsahara. Und natürlich: Es gab im Programm angekündigte inländische Stargäste, die bis auf die Berliner Hochschullehrerin Christina Thürmer-Rohr allerdings fast alle absagten.

Rund 800 Teilnehmerinnen pro Tag saßen in den Veranstaltungen, 300 davon in einwöchigen Bildungsurlauben. Ungewohnt viele Teilnehmerinnen waren mitsamt ihren Gruppen von außerhalb angereist, aus Freiburg, Amsterdam, Kassel, Göttingen. Und zum ersten Mal nahmen viele Ausländerinnen Frauen an einer bundesdeutschen Frauenwoche teil.

Die Hamburger Autorin und Pädagogin Annita Kalpaka („Rassismus als Thema für Feministinnen“) war zusammen mit Nora Räthzel bemüht, das Thema so anzugehen, daß es bei den „weißen“ Frauen nicht gleich lähmende Schuldgefühle und Abwehr auslöste. Ihr Ansatz: Rassismus funktioniert ähnlich wie Sexismus, durch Zuschreiben bestimmter Eigenschaften, durch die Reduktion von Personen auf bestimmte Merkmale. (Männer sind „rational, Frauen „emotional“ - parallel dazu: Inländerinnen sind „rational“ - Ausländerinnen „emotional“). Antirassismus sei im ureigensten Interesse der deutschen Frauenbewegung: „Denn wenn man andere so festlegt, legt man sich selbst auch fest.“ Doch nur selten gelang es, während der Woche zu zeigen, welches Interesse Inländerinnen an einer antirassistischen Bewegung haben könnten, wenn nicht das, ihrem Helferinnensyndrom Genüge zu tun. Ohne Schuldbewußtsein, aber dafür mit Humor und Scharfsinn ging es ebenfalls nicht allzu oft her, eine der Ausnahmen: Der Film aus dem Jahr 1982 von Peter Heller und Diana Bonnelamme: „Wie andere Neger auch.“ Eine „schwarze“ Ethnologin erforscht die Deutschen.

Nach fünf Tagen blieb der diffuse Eindruck: Was das spezifisch Weibliche am Rassismus ist, weiß keine so ganz genau. Selbst Gaststar Christina Thürmer-Rohr konnte da nicht viel weiterhelfen, sie geißelte in ihrem Referat „Befreiung im Singular“ den Egotrip der „weißen“ Frau, der auch dadurch verstärkt werde, daß die Frauenbewegung dazu aufrufe, der weiblichen „Selbstaufopferung“ für andere Ade zu sagen und das eigene „Ich“ zum Programm zu machen. Geprägt durch den von ihnen finanzierten Therapismus herrsche unter den Frauen der Irrglaube vor, das „Ich“ im „Ich“ finden zu können und nicht in der Begegnung. Die weiße Frau von heute sei daher wenig in der Lage sich der „Fremden“ zuzuwenden. Thesen über den „Ethnozentrismus“, über den weiblichen Rassismus hatte sie aber nicht parat. Hoffnung auf Solidarität

Zu „schwarz-weißen“ Zusammenstößen kam es im Vergleich zur Herbsttagung seltener, denn seit der Herbsttagung hatte sich so manche „Weiße“ ihre Gedanken gemacht, über die übertriebene Freundlichkeit mit der sie Ausländerinnen zu behandeln pflegt oder über ihr holzschnittartiges TürkInnenbild oder darüber, warum ihr autonomes Projekt ebenso feministisch wie „weiß“ ist. Aber im Lauf der Woche machte sich bei den „schwarzen“ Frauen Enttäuschung breit, darüber, daß sich die „weißen“ Frauen in Abgrenzungsmanövern untereinander oder gegen „die Typen“ verfingen, anstatt mit ihnen gemeinsam sich gemeinsame Strategien auszudenken (gegen das Ausländergesetz vorzugehen, Komitees gegen Abschiebungen zu bilden). Seinen Höhepunkt erreichte der Unmut auf dem Abschlußplenum am Freitag, wo wieder einmal ergebnislos über den weiblichen Rassismus und Strategien gestritten wurde. Stattdessen trieben „weiße“ deutsche Teilnehmerinnen das Ausgrenzen soweit, daß diesmal die ABM -Organisatorinnen die Betroffenen waren, sie wurden verdächtigt, sich zwar nicht als „Buletten“, aber als „Geldabzockerinnen“ betätigt zu haben. Bei den enttäuschten Ausländerinnen überwog schließlich die Tendenz, sich ebenfalls scharf abzugrenzen, die eigenen Rassismen und Stigmatisierungen (gegen Kurdinnen, gegen Indios, gegen „die Deutschen“) kaum mehr in Gegenwart der „Weißen“ zu benennen. Auch die taz-Berichterstatterin bekam ihr Fett ab: „Für die DDR habt ihr massig Platz, für uns nicht.“ Organisatorin Silke Ahrens war am Ende der „Ausgrenzungswoche“ überzeugt: „Es gibt nicht mehr 'wir Frauen‘ oder 'die Frauenbewegung'“. Das Thema „Rassismus“ brennt den Ausländerinnen in Zeiten der „Deutschtümelei“ jedoch unter den Nägeln. Und die Hoffnung auf „Solidarität“ ist noch nicht begraben. Die nächste, die 9. Bremer Frauenwoche, soll sich deshalb erneut den weiblichen „Rassismus“ vornehmen. „Dann aber ohne die Sexismusdebatte“, sagte Lale Direkoglu.

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