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Solidarnosc ist in einer Identitätskrise

Adam Michnik, intellektueller Führer der ehemaligen Opposition, will die Spaltung des „politischen Arms“ der Gewerkschaft, des Bürgerklubs, verhindern / Fraktion vereinigt viele politische Strömungen / Lech Walesa will Solidarnosc wieder stärker profilieren  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Warten wir noch mit der Spaltung“, forderte Adam Michnik vor kurzem in einem aufsehenerregenden Kommentar der 'Gazeta Wyborcza‘. In einer geschlossenen Sitzung des Bürgerklubs hatten einige Abgeordnete vorgeschlagen, den Klub in eine Dachorganisation verschiedener politischer Parteien umzugestalten. „Dafür“, hielt Michnik dem anschließend öffentlich entgegen, „hat keiner von uns ein Mandat erhalten. Wir sind alle als Solidarnosc-Leute gewählt worden, nicht als Nationaldemokraten, Sozialdemokraten oder Konservative.“ Wer unbedingt einen eigenen Verein aufmachen wolle, könne dies ja außerhalb des Bürgerklubs tun.

Seither ist die Debatte um die Spaltung der ehemaligen Oppositionsbewegung und jetzigen Regierungspartei nicht mehr abgebrochen. Die Mehrheit der Bürgerklubs im Lande scheint wie auch die Mehrheit der Abgeordneten - für die Beibehaltung der alten Struktur zu sein. Doch zugleich sind sich alle darüber im klaren, daß diese Einheit zeitlich begrenzt sein wird. Denn innerhalb des Bürgerklubs haben sich von Anfang an die Anhänger der verschiedensten politischen Optionen zusammengefunden, die von ganz rechts, von einem nationalistischen Flügel, bis ganz links, bis hin zu einer sozialistischen Strömung reichen. Was Solidarnosc und die Bürgerklubs bisher zusammenhielt, war vor allem der Gegner: Die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei und die Gefahr, daß die alte Staatspartei politisch wieder Tritt fassen könnte.

Doch inzwischen hat sich die „Partei“ aufgelöst, ihre Nachfolgerin, die „Sozialdemokratie“, hat sich gespalten und ist finanziell am Ende. Selbst der „Klub der Vereinigten Linken“, in dem sich nach dem Ende der PVAP deren Abgeordnete noch zusammengefunden hatten, ist inzwischen in die Brüche gegangen. Tadeusz Fiszbachs „Sozialdemokratische Union“ ist ausgetreten. Viele Ex-Kommunisten sind weder in die „Union“ noch in die „Sozialdemokratie“ eingetreten.

Jetzt, da der gemeinsame mächtige Gegner fehlt, stellt sich auch bei den Solidarnosc-Abgeordneten die Frage nach „Einheit oder eigener Identität“ stärker als vorher. Einige Abgeordnete aus dem Umfeld der Landsolidarität haben daraus bereits die Konsequenzen gezogen und sind aus der Fraktion ausgetreten. Neuentstanden ist dafür die „Polnische Bauernpartei“. Viele der unter dem Schild von Solidarnosc gewählten Abgeordneten sind zugleich in konservativen, liberalen oder sozialdemokratischen Klubs engagiert. Von daher ist es abzusehen, wann sich die Bürgerklub-Bewegung in verschiedene Parteien aufspaltet. Viele Mitglieder, besonders wenn sie rechts stehen, wünschen sich die Spaltung sogar so schnell wie möglich. In ihren Augen gewinnen, wenn die Einheit aufrechterhalten wird, vor allem die Linken, das heißt die eher sozialdemokratisch orientierten Abgeordneten um Adam Michnik oder Ryszard Bugaj. Diese nämlich, so die Argumentation, hätten bisher den politischen Ton für alle angegeben. Und das könne nicht mehr hingenommen werden.

Um der Spaltung noch einmal zuvorzukommen, wurden für die anstehenden Kommunalwahlen 22 zusätzliche Vertreter in das zentrale Bürgerkomitee von Lech Walesa aufgenommen. Im Sommer, bei den Parlamentswahlen, waren so die Christdemokraten oder die „Konföderation Unabhängiges Polen“ außen vor geblieben. Die letztgenannte Gruppierung fordert, wie viele außerparlamentarische Gruppen, sofortige Neuwahlen. Sie rechnen dabei auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Wirtschaftspolitik. Genau aus diesem Grund ist Michnik auch gegen frühzeitige Wahlen: „Es ist vollkommen klar, daß das zu Destabilisierung führt - aber für die Wirtschaftsreform brauchen wir gerade politische Stabilität.“

Auch Lech Walesa steckt in einem Dilemma. Bisher hat er mit seiner nach wie vor ungebrochenen Autorität der Regierung bei der Arbeiterschaft den Rücken frei gehalten, was ihm angesichts der weitverbreiteten Angst vor Arbeitslosigkeit in letzter Zeit zunehmend schwerer fällt. In drei Wochen wählt der erste Solidarnosc-Gewerkschaftstag nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 in Danzig eine neue Gewerkschaftsführung. Und dann steht auch für die Gewerkschaft die Frage auf der Tagesordnung, ob die Gewerkschaft Arbeitnehmervertretung oder Hilfstruppe der Regierung ist. Daher wird aus Danzig schon seit einigen Wochen öffentlich Druck auf die Regierung Mazowiecki ausgeübt. Walesa: „Unsere Wege trennen sich.“ Die Regierung sei konsequent bei der Wirtschaftsreform, die den kleinen Leuten zu schaffen mache, aber sie verhalte sich zögernd und inkonsequent, wo es um die Polizei, die Geheimpolizei, die Nomenklatura gehe.

Solidarnosc hatte 1980 noch zehn Millionen Mitglieder, damals gab es kaum Beschäftigte, die ihr nicht beigetreten waren. Heute sind die kommunistischen Gewerkschaften OPZZ des Ex-Politbüromitglieds Alfred Miodowicz (inzwischen parteilos) stärker als die ehemalige Oppositionsbewegung. Solidarnosc hat nämlich nicht einmal zwei Millionen Mitglieder, die OPZZ aber haben nach eigenen Angaben knapp sieben Millionen Mitglieder in ihren Reihen. In kleineren Betrieben ist Solidarnosc oft gar nicht vertreten, in größeren ist sie meist nur die zweitstärkste Gewerkschaft. Neben dieser organisatorischen Schwäche kommen noch Querelen mit der Anti-Walesa-Fronde um Marian Jurczyk oder Andrzej Gwiazda. In Stettin, Bydgoszcz, Lodz und Danzig gibt es die „Solidarnosc80“, die sich erst vor kurzem gerichtlich registrieren ließ. Viele der führenden Köpfe mußte die Gewerkschaft bei den Wahlen gewissermaßen dem Parlament abgeben.

Walesa will jetzt offensichtlich wieder das Profil der Gewerkschaft schärfen. Die Gesetzgebungsprozeduren dauerten zu lange, „und in der Zwischenzeit rauben uns die Spekulanten das Land aus“, kritisierte Walesa „seinen Premier“ Mazowiecki vor laufender Kamera. Und der hatte der Kritik des Arbeiterführers kaum etwas entgegenzusetzen.

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