Ein guter Monarch, zittrige Grüne und ein lauter Blüm

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird durch das DDR-Wahlergebnis wider erwarten interessant / CDU neu motiviert, Grüne am Abgrund und FDP auf der Kippe  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Bei der Kommunalwahl am 1.Oktober gehe es längst nicht mehr um Sieg oder Niederlage, tönte der SPD-Landesgeschäftsführer Bodo Hombach, sondern nur noch darum, die Überlegenheit der Sozialdemokraten strukturell so zu verankern, daß die CDU sich nie wieder erholen könne. Ein Endresultat nahe dem letzten Landtagswahlergebnis von 52,1 für die SPD hielt der Oberstratege der Regierungspartei für realistisch - und wollte jede Wette eingehen, daß die SPD in keiner Ruhrgebietsstadt würde Federn lassen müssen.

Das war vor einem Jahr. Hombach stellte damals in Düsseldorf die SPD-Wahlkampagne zur Kommunalwahl im Herbst 1989 vor. Am 1.Oktober ging der süße Traum jäh zu Ende. Zwar mußte sich die CDU mit 37,5% bescheiden, aber die SPD verlor in allen Ruhrgebietsstädten und kam landesweit nur noch auf magere 43%. Jetzt, sechs Wochen vor der Landtagswahl am 13.Mai, klingen Töne aus der Parteizentrale verhalten: „Wir können es schaffen, aber wir müssen kämpfen.“ Zwar prognostizierte Infas noch in der vergangenen Woche 50% für die SPD, 35% für die CDU, 7% für die FDP und 5% für die Grünen, aber nach der für die SPD desaströsen DDR-Wahl sind die Sozis verunsichert. Ginge es nur um Landesthemen, nur um die Alternative Rau oder Blüm, hätte der Herausforderer keine Chance. Deshalb versucht die SPD die Deutschlandpolitik im Wahlkampf kleinzuspielen, setzt allein auf ihren Spitzenkandidaten Johannes Rau. Der ließ schon am Montag nach der Wahl im Osten einen sechsseitigen Brief an sechs Millionen Haushalte verteilen. Textprobe: „So wichtig die Ereignisse in der DDR auch sein mögen: Jetzt geht es um unser Nordrhein-Westfalen!... Wir in Nordrhein-Westfalen müssen auch an unsere eigenen Interessen denken.“ Und wer nimmt die wohl am besten wahr? Genau, „unser“ Ministerpräsident, der dafür sorgt, daß „unser Land eine gute Zukunft hat“. Bei der Wahl am 13.Mai, „bei der vier Parteien gegen mich antreten“, schreibt Rau in der Pose des gütigen Monarchen, stehe diese „gute Zukunft“ zur Abstimmung. Plakatmäßig wird die Botschaft so umgesetzt: „Wir in Nordrhein-Westfalen wählen Johannes Rau.“ Basta! Welche Partei den von den Großflächen lächelnden Rau ins Rennen schickt, verrät das Plakat nicht. Penetrant auf die SPD zu verweisen, würde auch nur die letztlich entscheidenden Wählergruppen verunsichern, die von der SPD nicht viel halten, den jovialen Rau aber wieder gern im Amt sähen. Daß man dazu notgedrungen die SPD ankreuzen muß, wissen „Wir in NRW“ nach 12jähriger Rau-Regentschaft ohnehin.

Sollte die CDU es dennoch schaffen, die Deutschlandpolitik ins Zentrum zu rücken, hofft man auf die Geheimwaffe Lafontaine. Die Art und Weise, wie Lafontaine das Thema aufbereite, sei für den NRW-Wahlkampf sehr „hilfreich“, meint Hombach. Die NRW-SPD sei mit Lafontaine, der elfmal im Wahlkampf auftreten wird, „voll im Reinen“. Das klang im Dezember 1989 noch ganz anders. Lafontaines damalige Überlegungen, den Zuzug von DDR-Bürgern mittels administrativer Hürden zu begrenzen, führten an Rhein und Ruhr zu barschen Reaktionen. Vorstandsmitglieder der Düsseldorfer SPD-Landtagsfraktion wie der Abgeordnete Trinius warfen ihm vor, jede deutschlandpolitische Kompetenz verspielt zu haben. Trinius damals wörtlich: „Für mich ist Oskar als Kanzlerkandidat nicht mehr wählbar.“ Daran will jetzt niemand mehr erinnert werden. Denn nachdem der Übersiedlerstrom die deutschlandpolitische Euphorie in vielen Gemeinden in Angst um soziale Besitzstände hat umschlagen lassen, glaubt man mit dem Saarländer wieder Wahlen gewinnen zu können.

Ungeachtet der Tatsache, daß sich inzwischen selbst die CDU -Landesregierungen in Niedersachsen und Bayern den Lafontainschen Vorstellungen nähern, hält Blüm voll dagegen. Den Saarländer titulierte Blüm als „republikanisches Extrem“, der „Sozialneid“ schüre und sich als „Oberspalter“ gebärde. Blüm erklärte die NRW-Wahl inzwischen zur „Richtungswahl“ um Deutschland: „Mit Kohl und Blüm gegen Lafontaine und Rau.“ Angesichts der ungünstigen Ausgangslage hält Kohl sich mit derlei Festlegungen zurück. Das Wort „Richtungswahl“ oder gar „Testwahl“ für Bonn kommt ihm der sieben Mal in der heißen Wahlkampfphase auftreten will, bisher nicht über die Lippen.

Während Blüm NRW für „reif für den Wechsel“ hält, werben die bisher nicht im Landtag vertretenen Grünen mit dem Slogan: „NRW braucht Bewegung.“ Ob der Einzug in den Landtag beim dritten Anlauf endlich gelingt, ist derzeit aber völlig ungewiß. Nachdem Infas die Ökologen, die bei der Kommunalwahl noch 8,3% erzielten, wochenlang bei 6% wähnte, sackte die Partei in der letzten Woche noch einmal auf jetzt nur noch 5% ab. Das sind gerade für die Grünen, deren Wahlprozente - wie die keiner anderen Partei - direkt vom gesellschaftlichen Trend, von einer ökologisch sensiblen Stimmung abhängen, alarmierende Werte. Heute sind die NRW -Grünen, deren linker Flügel vor fünf Jahren eine glaubwürdige Bündnisaussage in Richtung SPD mit einem überzogenen Forderungskatalog verhinderte und so den Einzug in den Landtag leichtfertig verspielte, kaum mehr in der Lage, sich aus eigener Kraft Gehör zu verschaffen. Zwar hat sich die Partei inzwischen zu einer rot-grünen Koalitionsaussage durchgerungen, aber die guten SPD -Prognosen und die definitive, wahltaktisch geschickte Absage durch Rau verhindern, daß Rot-Grün zum öffentlichen Diskussionsgegenstand wird. Selbst die CDU, die das Thema Rot-Grün eigentlich nach altem Muster spielen wollte, um die bürgerlichen Wähler von Rau fernzuhalten, verliert darüber kein Wort mehr.

Keine „Prommis“ auf

der grünen Liste

In dieser Situation wiegt der vom Landesparteitag beschlossene Verzicht auf jede grüne Prominenz auf der Landesliste besonders schwer. Die LandtagskandidatInnen sind außerhalb des inneren Parteizirkels so gut wie unbekannt. In der ohnehin für die Grünen schwierigen nordrhein -westfälischen Medienlandschaft haben sie keine Chance. Die törichte Absage an die „Prommis“ könnte sich bitter rächen, zumal der innergrüne bundespolitische Streit den Wahlkampf zusätzlich belastet. Den Mangel an profilierten Köpfen will die Partei durch einen „aktionsorientierten Wahlkampf“ wettmachen. Ein „Tanzrapid“ soll entlang der vorgesehenen „Transrapidstrecke“ ebenso für Aufmerksamkeit sorgen wie der Berliner „Ufa-Circus“, der für die Grünen durchs Land tourt. Beenden wollen die Grünen ihren eine Million Mark teuren Wahlkampf am 11.Mai mit einem Biermann-Konzert in Düsseldorf.

2,2 Mio. DM wird die FDP (CDU: sechs; SPD: neun) einsetzen, die in den letzten Wochen vor allem mit Lockerungsübungen in Richtung SPD für Schlagzeilen sorgte. Blüm sieht die FDP schon „mit dem linken Fuß unter der Bettdecke der SPD“. Liberale Politik „sei zwar leichter mit der CDU zu verwirklichen“, aber wenn es für eine CDU-FDP-Regierung nicht reicht, ist die FDP „bereit“, so der Parteitagsbeschluß, eine rot-grüne Koalition zu verhindern und „auf ein Verhandlungsangebot der SPD einzugehen“. Eine für die FDP nicht ganz ungefährliche Option. Nun sei klar, trommelt Blüm, daß „allein die CDU die sichere Alternative“ zu Rau verkörpere. Völlig weg vom Fenster, scheinen im übrigen in NRW die Reps zu sein. Zwischen 2 und 3% trauen die Meinungsforscher der rechtsradikalen Truppe unter der Führung des ehemaligen CSU-Abgeordneten Ekkehard Voigt nur noch zu.

Neben Blüm wird am Ende des Wahlkampfes wohl der CDU -Bundestagsabgeordnete Dr.Hüsch der bekannteste nordrhein -westfälische Christdemokrat im Lande sein. Dafür sorgt die SPD, die Hüsch auf hunderttausenden von Flugblättern groß aufgemacht als Kronzeugen gegen Blüm ins Feld führt. Hüsch über Blüm: „Der nimmt dem Alters- und Pflegeheiminsassen das Geld für Zigaretten oder's Bier weg - ja, warum sollen die uns denn wählen? Der alte oder kranke Mensch fühlt sich doch von Blüm verarscht.“