Tödliches Ende einer Beziehung

■ Hinter dem Mord an einer Italienierin und dem Selbstmord des Täters verbirgt sich ein alltägliches Flüchtlingsschicksal

„Mein Name ist Alemu Worku. Ich bin am 28. Januar 1961 in Dessie geboren. Mein Vater war Bauer. Meine Mutter heißt Mari Unetu. Meine Mutter und mein Vater sind aus Eritrea. Meine Eltern sind beide von äthiopischen Soldaten ermordet worden. Danach wollten sie mich auch töten, aber ich flüchtete nach Assab, einer Hafenstadt Eritreas.“ Mit diesen Worten begründet am 16. Februar 1983 der Äthiopier Alemu Worku seinen Antrag auf Asyl in der Bundesrepublik Deutschland. Acht Tage zuvor hatte der Weserkurier unter der Überschrift „Hilfsschiff Flora war Rettung für drei Eritreer“ über Workus abenteuerliche Flucht als blinder

Passagier auf einem Rotkreuzschiff berichtet. Gut sieben Jahre später macht Worku wieder Schlagzeilen: „Mordmotiv: Äthiopier konnte Trennung nicht verwinden.“ Mit drei Messerstichen hatte Alemu Worku am Mittwoch morgen seine 41jährige italienische Freundin, Lucia Valente, erstochen und sich anschließend durch einen Sprung vor einen 33 Tonnen schweren Laster das Leben genommen. Zwischen den Schlagzeilen lagen sieben Jahre des zerbürbenden Wartens: Zunächst auf das Asylverfahren, dann, nachdem der Antrag abgelehnt war, wenigstens auf eine Duldung des Aufenthaltes und zuletzt der geschei

terte Versuch eine Arbeitser laubnis zu erhalten.

„Das Wort Abwarten hat sich zwei Jahre durch unsere Beziehung gezogen“, sagt Harald Lommel vom Verein Hoppenbank. Sozialpädagoge Lommel war Betreuer von Worku, nachdem dieser wegen des Verdachtes einer Vergewaltigung und sexueller Nötigung neun Monate in Untersuchungshaft war. Worku, so behauptete eine frühere Freundin des Äthiopiers, habe sie vergewaltigt. Das Verfahren endete mit Freispruch. Begründung der Hilfsstrafkammer 1 des Bremer Landgerichtes im Juni 1989: „Nach der durchgeführten Beweisaufnahme hat die Kammer

zugunsten des Angeklagten nicht ausschließen können, daß die Zeugin B., deren Aussage nicht unerhebliche Widersprüche enthalten hat, möglicherweise aus Enttäuschung darüber, daß der Angeklagte sie verlassen hat, ihn falsch belastet hat.“

Zu jener Zeit lebte Worku bereits mit der Italienerin Lucia Valente zusammen. Doch immer wieder gab es Ungewißheit, ob seine Duldung verlängert würde. Selbst eine Petition an die Bürgerschaft, mit der Betreuer Lommel die Ungewißheit beenden wollte, blieb vom Juli 1988 bis heute ohne Antwort. Lommel: „Der Zustand war erniedrigend.“ Besonders litt Worku darunter, nicht arbeiten zu dürfen. Anträge lehnte das Arbeitsamt bis zuletzt ab. „Er war schon froh, wenn er bei uns das Treppenhaus saubermachen konnte.“

Auch eine andere Hoffnung auf Verbesserung seines sozialen Status zerschlug sich. Im Herbst letz

ten Jahres hatten Worku und Valente beschlossen, zu heiraten. Das Problem: Worku war in Äthiopien schon einmal verheiratet gewesen, und trotz Einschaltung aller möglichen Stellen war die Scheidungsurkunde nicht aufzutreiben. Auch letzte Bemühungen, sich in Italien oder Dänemark trauen zu lassen, schlugen fehl. Damit war auch der Versuch gescheitert, leichter an eine Arbeitserlaubnis heranzukommen.

„Er war ein einfühlsamer, weicher Mensch, der sich aber immer wieder erniedrigt fühlte“, charakterisiert Lommel seinen Klienten. Zu den Motiven vermutet die Polizei, daß er die Trennung von der Italienerin nicht verwinden konnte. Seine letzten Worte fanden sich auf einem Kuvert in seiner Jacke: „Bitte den Fahrer nicht fragen kommen. Ich hab Lucia Valente getötet am Hulberg 107 Geschäft. Ich bin Selbstmord. Mein Unterschrift Alimu Worku.“

Holger Bruns-Kösters